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Son of the Velvet Rat in Joshua Tree

Robert Rotifer

rotifer

Schlangen und Kaninchen, Rednecks und Freaks

Meine Woche zu Besuch bei Son of the Velvet Rat in der kalifornischen Wüste.

Von Robert Rotifer

An meiner Hose und meinen Schuhen ist immer noch Sand. Ich hätte fast „klebt immer noch“ geschrieben, aber dieser Sand klebt nicht, er „haftet“ höchstens, er kommt nämlich von einem der trockensten Orte, die ich je betreten hab. Aus der kalifornischen Wüste, genauer gesagt aus dem Yucca Valley, noch genauer gesagt aus Joshua Tree.

Dort verbrachte ich die letzte Woche, und zwar auf vom Austrian Cultural Forum in Los Angeles unterstützte Einladung von Georg Altziebler und Heike Binder, ihres Zeichens der Kern von Son of the Velvet Rat, einer Band, deren Schaffen sich nun schon seit Jahren zwischen zwei Heimaten (sehr schön, dass mein Rechtschreibprogramm diese Mehrzahl akzeptiert) in Graz und Joshua Tree aufteilt.

Joshua Trees ums Eck von den Altziebler-Binders

Robert Rotifer

Grundsätzlich war ich dort um ein Konzert zu spielen, aber mindestens genauso sehr interessierte mich der Ort, wo der Sohn der Samtratte so durch und durch schlüssige Werke wie das heuer erschienene Album „Dorado“ hervorgebracht hat. Mir waren Georgs Songs seit den 1990ern geläufig, als er erst mit der Band Pure Laine, dann mit Bloom 05 schon in Österreich so überraschend überzeugend einen Sound verfolgte, den man später Americana nennen sollte.

Als einer, der sich damals selbst am falschen Ort geboren wähnte und irgendwann dieser gefühlten Dislokation/Dislozierung (beide Worte kennt das Rechtschreibprogramm leider nicht) ebenfalls mittels Umzug nach London Abhilfe zu verschaffen glaubte, kann ich mit dieser Ausgangslage einiges anfangen. Soviel darf ich vorausschicken, man entkommt diesem Gefühl der Entwurzelung dann auch durch Auswanderung an den Sehnsuchtsort nicht. Das geht auch Georg und Heike so, die – so wie ich selber – in der heimatlichen Fremde ihrer europäischen Seite (lassen wir das Wort „Identität“) eher näher gekommen sind als sich davon zu entfernen. Gleichzeitig wurden Dinge, die wohl auch in ihren Köpfen als Mythen herumgegeistert sein mögen, als Alltag entzaubert. Heike und Georg erzittern also schon lange nicht mehr vor Ehrfurcht, jedesmal, wenn sie am Joshua Tree Inn vorbei fahren, wo einst Gram Parsons aus dieser Welt schied.

Das Joshua Tree Inn, wo Gram Parsons starb

Robert Rotifer

David Thomas von Pere Ubu spricht immer gern davon, dass es bei amerikanischer Rockmusik im Gegensatz zum Parallelwelten postulierenden, europäischen Pop vor allem um Geographie ginge. Er hat grundsätzlich recht, aber Son of the Velvet Rat sind ein hervorragender Beweis dafür, dass das Anwesend- und das Abwesendsein an bzw. vom in der Musik verhafteten Ort dabei gleich wichtig sein können.

Typen reparieren Auto vor einem Waffenladen

Robert Rotifer

Letzten Dienstag also kam ich an einem immer noch sommerlich warmen Abend in Los Angeles an, setzte mich in ein Mietauto und fuhr, den Anweisungen des Satnavs folgend, über nächtliche Freeways durch die grell blinkende Stadt und über sie hinaus in die absolute Dunkelheit. Ungefähr drei Stunden später kam ich an einem für diese Gegend, wo Baugrund billig und im Überfluss vorhanden ist, typisch überbreiten Bungalow zum Stehen. Das Wiedersehen mit Heike und Georg verlief erstaunlich unspektakulär, nicht nur wegen der beneidenswert phlegmatischen Art, die die beiden pflegen, sondern auch weil sich alles an dem Haus, das ich da betrat, so ganz wie erwartet anfühlte, vom dunklen Seventies-Holzimitat-Boden im ausladenden Wohnzimmer samt steinernem Kamin (im Winter wird es in der Wüste ganz schön kalt) bis hin zur amerikanisch dimensionierten Garage, in der die Zweierbesetzung täglich an ihren Songs arbeitet. Es war, als wär ich in eines ihrer Plattencover gestiegen.

Heike in der Garage

Robert Rotifer

Am nächsten Morgen dann offenbarte sich im Sonnenlicht die Landschaft. Die kargen Berge, endloser Sand und Geröll, die stacheligen Gewächse. In der Nacht hatte ich von oben jenseits des verbauten Gebiets die Koyoten bellen gehört, und nun hoppelten im staubigen Vorgarten ungewöhnlich drahtige Kaninchen mit – vielleicht zur besseren Kühlung? - übergroßen Ohren herum. Dazwischen liefen Wachteln durchs Bild, und einmal zeigte mir Georg einen vor einem Busch schwebend schwirrenden Kolibri.

Was ich an meinem ersten Tag in Joshua Tree lernte, war, dass überall, wo du im Schlepptau von Heike und Georg hinkommst, die Leute sie erkennen und begrüßen. Nicht zuletzt, weil dieses glamouröse europäische Paar an all diesen Orten schon mehrmals aufgetreten ist. Son of the Velvet Rat sind keine Besucher_innen hier, sie sind Teil der Landschaft, wie auch im Foto hier eindrücklich zu sehen.

Heike und Georg

Robert Rotifer

Nach diesem kleinen Abstecher in die Wüste – wichtig, nicht die in die schattigen Höhlen unter den Steinen greifen oder durch die Büsche laufen, wegen der Klapperschlangen – fuhren wir ins Pappy & Harriet’s, ein äußerst populäres Biker- und Musik-Lokal am Rande der nahegelegenen Pioneertown.

Biker

Heike Binder-Altziebler

Selbige ist eine 1946 von der Filmindustrie aufgebaute Kulissenstadt, ein potemkinsches Westerndorf also, und um ehrlich zu sein, macht auch Pappy & Harriet’s ein bisschen diesen Eindruck, selbst wenn die Biere, die man dort aus dem Marmeladeglas trinkt bzw. die Ribs, die man dort isst, eindeutig tatsächlich existieren.

Heike und Georg betreten das Pappi & Harriet's

Robert Rotifer

Wie die Weltöffentlichkeit weiß, hatte hier letztes Jahr Paul McCartney eine Warm-up-Show für seinen Slot beim Veteranenfenstival Desert Trip gespielt (Freunde von Georg und Heike, die dort waren, berichteten von einem lebensverändernden Ereignis). Gleich neben der Tür hing aber auch ein Poster, das unter dem Motto Kick the shit out of cancer einen Gig von Mark Lanegan samt speziellen Gästen ankündigte. Eine Benefiz-Show, wie sich herausstellte, für Brian O’Connor, den an einer seltenen Form von Krebs erkrankten Ex-Bassisten von Eagles of Death Metal bzw. als solches Teil dessen, was man in der Gegend landläufig als die „rock star crowd“ rund um die von Josh Homme frequentierten, nur ein paar Kaktusschatten weit entfernten Rancho De La Luna Studios bezeichnet.

Das Yucca Valley scheint übrigens voll von – wohl wesentlich günstigeren – Studios zu sein, es gibt also für nicht aus dem Füllhorn der noch existierenden Musikindustrie genährte Bands keinen Anlass, sich im Rancho um einen Termin anzustellen, aber grundsätzlich hatte ich den Eindruck einer ausgeprägten Distanz zwischen zwei Szenen, die kaum zusammen kommen. Außer eben im Pappy & Harriet’s, wo örtliche Bands wie etwa die Shadow Mountain Band regelmäßig die im Vollholz-Saloon-Look ausgestattete Bar bespielen.

Die Besetzung der ehemaligen Sunday Band, die bis vor Kurzem ebenda die Sonntagnachmittage zu beschallen pflegte, versammelt sich heutzutage übrigens in der erweiterten Bandbesetzung von Son of the Velvet Rat, inklusive Drummer Danny Frankel, der unter anderem in Lou Reeds Band spielte, Gitarrist Gar Robertson, der mit dem Red Barn (siehe folgende zwei Bilder) eines jener erwähnten, charmanten Studios betreibt, und der auch auf dem „Dorado“-Album mitsingenden Victoria Williams (ja, DIE Victoria Williams).

Gar Robertsons Red Barn Studio

Robert Rotifer

Gar Robertson im Studio

Robert Rotifer

Diese Spielgemeinschaften sind übrigens keineswegs wohltätige Gesten, Son of the Velvet Rat sind vielmehr eine der wenigen lokalen Bands, die nicht zur Rock Star Crowd gehören aber trotzdem ein Label haben (nämlich Mint 400 in New Jersey am anderen Ende der USA) bzw. für einen begehrten Auftritt beim jährlichen Joshua Tree Music Festival auserwählt wurden. Ihr Stellenwert hier wurde mir endgültig klar, als wir zwei Abende drauf unseren gemeinsamen Gig in der Furstwurld Gallery spielten.

Aber davor gab es noch ein kleines Hindernis zu bewältigen. Meine das feuchte England gewohnte Gitarre war im Klimaschock der trockenen Wüstenluft in sich zusammen gesunken, und ich konnte ihr nicht mehr als ein stumpfes Schnarren entlocken. Also musste ich zum nächstgelegenen Gitarrendoktor, Dey Martin in Palm Springs, der mir die Wichtigkeit der Gitarrenbefeuchtung in dieser Umgebung erklärte. Wir sprachen auch über seine musikalische Vergangenheit (eine mir unbekannte Band, die in den Neunzigern einen Beggars’ Banquet-Deal hatte), während er authentischen Leim aus Tierhäuten erwärmte, der dementsprechend zum Himmel stank (ich hatte mir auch einen Riss in der Gitarrendecke zugezogen). Dabei trug Dey ein gelbes T-Shirt mit einer grünen Klapperschlange drauf, dazu die Aufschrift „Right Wing Extremist – 1776-2010 – Don’t tread on me“. Ironisch oder ernst? Ich brachte nicht den Mut auf, ihn darauf anzusprechen.

Gitarrendoktor Dey Martin

Robert Rotifer

Mittels feuchter Tücher im Gitarrenkoffer und Zahnstocher unter dem Steg (danke, Heike!) konnte ich die Gitarre am nächsten Tag wieder zum Klingen bringen, und wir fuhren (dauernd fährt man, gehen tun in der Wüste nur die Meth-Heads, sagte man mir, jedenfalls sind es nur arme, verwahrloste Leute, die man zu Fuß gehen sieht) zu unserem nur über einen Sandweg erreichbaren Auftrittsort, der von einem alten Freak namens Bobby Furst aus vernieteten Blechbögen erbauten Furstwurld Gallery.

Die Furstwurld Gallery von der Wüste aus

Robert Rotifer

Wir betraten diesen erstaunlichen Ort durch eine offene Rolltür, die direkt auf die Bühne führte, vor uns eine Bar und Reihen von Kinosesseln, darüber ein Balkon, auf dem übrigens auch ein Doppelbett stand.

Blick in die Furstwurld Gallery aus der Vordereinfahrt bzw. von der Bühne aus.

Robert Rotifer

Überall an den Wänden und rund um das Hauptgebäude wimmelte es nur so vor Kunstwerken, die Bobby Furst aus allerlei Schrott hergestellt hat.

Die Furstwurld Gallery von innen

Robert Rotifer

Wie unschwer zu erkennen, ist der Frieden dabei ein großes Thema. Schließlich lebt ein großer Teil der Leute in der Gegend vom Krieg. In der Wüste befindet sich nämlich eine Basis der Marines, in der zu Trainingszwecken ganze irakische Dörfer aufgebaut sind.

Friedenszeichen vor der Furstwurld Gallery

Robert Rotifer

Viele der dort stationierten Marines haben auf den Fahnenstangen vor ihren Häusern unter den Stars & Stripes auch die Fahnen ihrer Regimente gehisst.

Bei Bobby Furst dagegen prangt von der Spitze eines rostigen alten Laternenpfahls ein Friedenssymbol, bestehend aus einem von zwei Speichen befreiten Wagenrad. Und neben seiner Galerie wacht ein Plastiksoldat über eine amerikanische Fahne, auf der Patronenhülsen befestigt sind, die zusammen das Wort „PEACE“ ergeben.

Peace Schriftzug aus Patronenhülsen, eine pro amerikanisches Kriegsopfer.

Robert Rotifer

Jede Patronenhülse steht für eine_n im Irak-Krieg gestorbene_n Soldaten bzw. Soldatin. Und ja, ich hab mich auch gefragt, ob es bei der Gelegenheit nicht auch ein Gedenken für gestorbene Iraker_innen geben sollte, aber nein, das hab ich mich bei der Gelegenheit dann auch nicht zu fragen getraut.

Die Silhouette von Son of the Velvet Rat

Robert Rotifer

Georg und Heike checken Sound

Robert Rotifer

Gegen Sonnenuntergang begann sich der mitten in der Wildnis gelegene Ort tatsächlich mit Menschen zu füllen. Ein unglaublich aufmerksames und sehr begeisterungsfähiges Publikum, wie man es sich besser nicht wünschen könnte. Es wäre allerdings unbescheiden, über den eigenen Auftritt zu schreiben (obwohl, wenn einem Victoria Williams nachher gar so enthusiastisch zu seinen Songs gratuliert, will man das dann auch nicht verschweigen...). Erwähnt gehört in jedem Fall das hervorragende erste Set von Joe Garcia alias Urban Desert Cabaret, ganz zu schweigen vom Konzert von Son Of The Velvet Rat am Ende des Abends.

Son of the Velvet Rat in voller Fahrt

Robert Rotifer

Ich sah mir Heike und Georg von einem der Kinosessel aus an. Hinter mir saß einer dieser Fans, die es sich nicht verbeißen können, vor ihren Freund_innen anzugeben, indem sie jeden Song Wort für Wort mitsingen. Irgendwann mittendrin sagte er: „Oh no, he’s changed it, he’s changed it!“

Wie Georg mir nachher erklärte, hatte er sich im Text vertan und spontan was Neues zusammen gereimt. Der Mann hinter mir nahm das allerdings sehr ernst. So soll es auch sein. Georg Altziegler ist einer der besten Songwriter des an Songwriter_innen gar nicht armen Yucca Valley, und die Leute, die dort wohnen, wissen das auch.

Wir fuhren dann übrigens am nächsten Abend noch hinaus zu Pappy & Harriet’s, um ein bisschen was von dem Benefiz-Gig mit Mark Lanegan mitzukriegen. Allerdings hatten wir uns vorher noch weiter draußen in einem offenbar legendären Absturz-Pub namens „Landers Brew“ Joe Garcia angesehen und auf seine Aufforderung hin mit ihm die Bühne geteilt. Wir waren also zu spät dran im Pappy’s, und die Rock Star Crowd dort war bereits mit dem Konzertieren fertig.

Nach Mark Lanegan hatten Eagles of Death Metal einen Überraschungsgig gegeben, und nun standen im Open Air-Areal ein paar Leute in kurzen Hosen desorientiert herum. Im Lokal selbst dagegen war die Hausband bereits in der vierten Stunde ihres Sets angelangt. Alle spielten teure amerikanische Gitarren und trugen Variationen von Cowboy-Hüten, mit Ausnahme des Schlagzeugers allerdings, der nach einem indigenen Amerikaner aussah.

Ich wurde Zeuge, wie junge Leute zu „You Ain’t Going Nowhere“ von Bob Dylan und „The Weight“ von The Band tanzten und die Texte auswendig mitsangen. Und es sah so aus, als könnte die alte Rockmusik hier vielleicht als eine Art Volksmusik überleben. Bis dann der junge Sänger im beigen Stetson über ein Blues-Rock-Riff einen ziemlich flüssigen Rap improvisierte. Man merkte ihm an, dass er in dieser Welt seelisch und musikalisch wirklich zuhause ist. Der Country Rock dagegen ist sein Job bzw. das örtliche Brauchtum.

Ein paar Tage später fuhr ich durch die Wüste zurück bis nach Santa Monica und von dort zum Flughafen und hörte den Talk Radio-Moderatoren dabei zu, wie sie für Donald Trump Propaganda machten. Und mir wurde klar, was für eine Oase die Szene in Joshua Tree darstellt.

Im Dreamliner dann streifte ich meine Schuhe ab und hinterließ dabei auf dem nagelneuen Teppich einen gehörigen Sandhaufen.

Heller, ganz trockener Sand.

Autor in der Wüste

Heike Binder-Altziebler

PS: Es gibt auch einen Soundtrack zu diesem Blog: Am Wochenende nach dem Gig nahm ich dann in der Garage/dem Heimstudio mit Georg eine Ausgabe von FM4 Heartbeat auf, in der er eine Auswahl von Bands aus der Gegend spielte. Die Sendung lässt sich hier bis zum Wochenende im Stream hören.

Nicht ertrinken

Heike Binder-Altziebler

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