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The Horrors

The Horrors

V steht für Fuck You

Auf ihrem fünften Album vereinen die Horrors ihre gesamte musikalische Bandbreite auf einer Platte.

Von Christoph Sepin

Wenn man den Horrors eines nicht vorwerfen kann, dann ist das, immer das Gleiche zu machen. Mit „Strange House“ tauchte die Band aus Essex vor zehn Jahren zum ersten Mal auf der Bildfläche auf und präsentierte sich mit Skinny-Jeans, großen Haaren und schwarzen Augen als überstylte Neo-Goth-Erscheinung, als grantige Punk-Truppe, die auf Liedern wie „Sheena Is A Parasite“ Vorbilder wie die Ramones und die Cramps zitierte.

So weit, so gut, so klingt das halt, dachte man sich damals. Punkrevival, rohe Produktion und ganz viel Wut und Noise. Und dann kam alles ganz anders: „Primary Colours“ hieß das zweite Album der Horrors, das es gerade noch schaffte im Jahr 2009 rauszukommen und damit eine der besten Platten des Jahrzehnts zu werden. Vorbei war die blinde Noisigkeit, sie wich einer durchdachteren Melancholie, dem kalten Post-Punk, der Verweise auf Joy Division und dem gebrochenen Herzen, das so schnell nicht wieder zusammenwachsen will.

The Horrors live auf Tour:
- 17.11.2017, Backstage Halle, München
- 1.12.2017, Kino Šiška, Ljubljana
- 4.12.2017, Flex, Wien

Universelle Anerkennung, das Album des Jahres im NME und die Shortlist für den angesehenen Mercury Prize gab es für „Primary Colours“. The Horrors schienen angekommen zu sein, das schwierige zweite Album bravourös gemeistert, ein Sound, in dem sich die Band zuhause fühlen konnte. Und dann kam es doch wieder ganz anders.

„Wir wissen, dass viele Bands lieber jahrelang am selben Fleck bleiben. Das ist einfach nicht besonders interessant,“ sagt Tom Furse, Keyboarder der Horrors. „Wenn man sich als Künstler sieht, ist es nur natürlich, sich weiterentwickeln zu wollen, statt immer auf Nummer sicher zu gehen.“ „Skying“ nannte sich das dritte Album der Band aus dem Jahr 2011, das wieder im Widerspruch zu den ersten beiden Platten stand und diesmal in psychedelische, ätherische Klänge abdriftete. Genres wie Psych-Rock und Shoegaze wurden von der Musikpresse in den Mund genommen und die Horrors bewiesen endgültig, dass Stagnation für sie ein Fremdwort ist.

Something To Remember Me By

Wie ein neues Album von einer Band klingt, die sich so gerne neukonzipiert und herumexperimentiert, weiß man im Vorfeld nie so genau. Und das macht die Horrors auch so besonders. Dieser Tage erscheint mit „V“ das fünfte Album und tatsächlich geht die Band darauf wieder einen Schritt weiter, während gleichzeitig Elemente der Vergangenheit verknüpft und vereint werden.

„Ich dachte, V stehe für Fuck you“, sagt Sänger Faris Badwan mit Verweis auf die britische Version des Mittelfingers, das mit den Fingern gezeigte Victory-Zeichen. „Eine Art ‚Fuck You, wir sind wieder da‘.“ Zurück aus der dreijährigen Pause nach dem vierten Album „Luminous“, zurück mit einer weiteren herausragenden Platte, auf der sich die Band einfach gehen lässt, mal wütend, mal ruhig, mal introvertiert, mal in der Melancholie schwelgend.

Ausprobiert wurde schon in der frühen Produktionsphase viel. Man zog sich in eine einsame Hütte in Island zurück und schrieb Lieder auf der Akustikgitarre, die im Endeffekt gar nicht danach klingen, sondern die verwaschenen, übersteuerten Elemente zwischen Noiserock und Elektronik der letzten paar Platten auspacken. Orgelklänge, wie sie damals auf „Primary Colours“ so wichtig waren, und verzerrte Gitarren gibt es trotzdem auf „V“ zu finden.

Sea Within A Sea

Die Horrors lassen sich auf der neuen Platte treiben, haben keine Berührungsängste vor weichem Pop, vor dem repetitiven Geplänkel der Arpeggios oder sanften Streichern. Ein starker Fokus liegt auch auf den Psychedelic-Rock-Einflüssen, was dann teilweise an den Manchester-Sound von so großen Bands wie den Stone Roses erinnert.

Verwundern sollte das nicht, haben die Horrors das Album doch gemeinsam mit Paul Epworth produziert, der in der Vergangenheit nicht nur mit Death from Above 1979, Florence & The Machine und den Glass Animals gearbeitet hat, sondern eben auch als Producer für die letztes Jahr veröffentlichten neuen Lieder der oben genannten Stone Roses verantwortlich war. Und daneben auch Mainstream-Acts wie Adele produziert.

„Um ganz ehrlich zu sein, war ich ein bisschen skeptisch“, sagt Tom Furse über Epworth. „Adele war so ein großes Phänomen, dass es ihn komplett definiert hat. Aber ich war auch neugierig.“ Ausgezahlt hat sich die Neugier für die Band: „V“ ist durch und durch ein Horrors-Album. Aber eines, das nicht nur die Sounds der Vergangenheit kopiert, sondern gekonnt damit spielt, neuinterpretiert und darauf aufbaut.

„V“ von The Horrors ist auf Caroline International erschienen.

Nur drei Lieder auf dem Album sind unter fünf Minuten lang, die Band lässt sich Zeit für die großen Momente, die Hymnen, die Hooks, die teilweise kaum hörbar in den Soundwänden untergehen. Am Opening-Track „Hologram“ lamentiert Faris Badwan über elektronische Bässe Zeilen wie „Raise your head up high, and see this ordinary world now“, während er auf „It’s A Good Life“ an Depeche Modes Dave Gahan erinnert. Der Track „Machine“ klingt wie von ebensolchen Maschinen konstruiert, „Point of No Reply“ ist im soften Synthpop zuhause und „Gathering“ stellt Piano und akustische Gitarre in den Vordergrund, wie man das von den Horrors so überhaupt noch nicht gehört hat.

Eine Platte der Vielseitigkeit. Eine Platte auf der überschwänglicher Optimismus und verträumte Wunschvorstellungen genauso zu hören sind, wie triste Lebensrealitäten und der gesamte Mikrokosmos der menschlichen Emotionswelt. Und dann hat man auch noch die großartige Frechheit, die Platte mit nichts geringerem als der großen Single „Something To Remember Me By“ zu beenden. Das sind die Horrors 2017, so klingt das jetzt. Und spätestens mit dem nächsten Album ist dann wieder alles ganz anders.

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