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Filmstills aus der Neuverfilmung von "It"

Warner

Im Fegefeuer der Pubertät

Der gehypteste und bislang erfolgreichste Horrorschocker des Jahres ist da: „It“ verspricht das gleichnamige Romanepos von Stephen King unverfälscht auf die Leinwand zu bringen.

Von Christian Fuchs

Die Erinnerung kann ganz schon verklären. Wer 1990 den TV-Zweiteiler „It“ gesehen hat und selber so circa im Alter der kindlichen Protagonisten war, hatte eventuell einen Schock fürs Leben. Erwachsene Zuseher, erst recht eingefleischte Horrorfans, schüttelten damals dagegen nur den Kopf. Der Terror, der in dem Film eine US-Kleinstadt erfasst, erinnerte nämlich bestenfalls an ein amoklaufendes Kasperltheater.

Eingeschränkt von den Zwängen eines geringen Budgets und den damaligen Zensurregeln des Fernsehens setzte Regisseur Tommy Lee Wallace auf lächerlichste Spezialeffekte aus der Mottenkiste. Nur „Rocky Horror Picture“-Star Tim Curry vermochte in dem unfreiwillig komischen Zirkus als fieser Clown im wahrsten Sinn des Wortes schmierenkomödiantisch herauszustechen.

Der Clown aus dem Original "It"

ABC Television

Mobbing-Wahnsinn und verrohte Erwachsene

Nun ist gegen billige Tricks und schleimige Gummimonster natürlich grundsätzlich gar nichts einzuwenden. Allerdings handelte es sich bei der Buchvorlage zu „It“ nicht um irgendeinen beliebigen Grusel-Groschenroman. Mit dem über 1.000-seitigen Wälzer schuf der Autor Stephen King ein für seine Fans fast schon sakrosanktes und ungemein vielschichtiges Epos. „It“ punktet nicht nur mit grimmigen Horrorsequenzen. Das Buch erzählt am Beispiel einer Gruppe kindlicher Außenseiter vor allem auf berührend authentische Weise vom ganz realen Schrecken des Heranwachens, vom Fegefeuer der Pubertät, von der Auseinandersetzung mit feindlichen Mitschülern, Eltern, Lehrern.

Erschienen 1986, ist „It“ größtenteils in den 50er Jahren angesiedelt, in einem muffigen Provinzkaff in Maine. In dieser Zeit und an diesem Ort (der genauso in der Steiermark oder in Bayern liegen könnte) spielen sich Dinge ab, die heutige Helikopter-Eltern sofort in helle Panik versetzen würden.

Und damit ist nicht einmal der mysteriöse Clown Pennywise gemeint, der in der Kanalisation haust und am liebsten die Seelen von lieben Kleinen verspeist. King, selber ein Kind der 50ies, formuliert in dem Roman eine ergreifende Anklage gegen den Mobbing-Wahnsinn, den sogenannte Sonderlinge ertragen mussten (und müssen), und zeichnet auch ein erschütterndes Bild von der verrohten Erwachsenengeneration der Nachkriegszeit.

Filmstills aus der Neuverfilmung von "It"

Warner

Enorme Erwartungshaltungen

Dass der Autor aber an entscheidenden Stellen strahlendes Licht in die Dunkelheit eindringen lässt, dass er Freundschaft glorifiziert und die kribbelige, pubertierende Gefühlswelt in treffende Sätze verpackt, verschafft „It“ erst recht seinen Kultstatus. Mit dem teuflischen Wesen, das gerne im Clownskostüm auftritt, erschafft er zudem eine Horrorfigur, die dem Buch einen fast schon überdeutlich psychoanalytischen Subtext verleiht.

„Es“, notierte Sigmund Freud einst, „ist der dunkle, unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit; das wenige, was wir von ihm wissen, haben wir durch das Studium der Traumarbeit und der neurotischen Symptombildung erfahren und das meiste davon hat negativen Charakter, läßt sich nur als Gegensatz zum Ich beschreiben. Wir nähern uns dem Es mit Vergleichen, nennen es ein Chaos, einen Kessel voll brodelnder Erregungen.“

Auf Regisseur Andy Muschietti, der für die Neuverfilmung des heiß verehrten Buchs ausgewählt wurde, lastete also im Vorfeld ein enormer Druck. Der gebürtige Argentinier, der mit dem Gespensterthriller „Mama“ ein sehr passables, wenn auch letztlich ein wenig im Kitsch versinkendes Debüt vorgelegt hatte, musste nicht nur all den hochgeschraubten Erwartungen gerecht werden. Neben Liebhabern des Romans und eingefleischten Tim-Curry-Fans galt es auch, all die jungen unbefangenen Zuseher abzuholen, die von der TV-Serie „Stranger Things“ (die wiederum massiv von King beeinflusst ist) mit einer ähnlichen Thematik angefixt wurden.

Filmstills aus der Neuverfilmung von "It"

Warner

Realistisches Porträt der 80er

Um es endlich auszusprechen: Die Gratwanderung ist ziemlich gelungen. Eine filmische Katastrophe wie „The Dark Tower“ bleibt uns bei der zweiten großen Stephen-King-Adaption in diesem Jahr glücklicherweise erspart. Muschietti verlegte zusammen mit seinem Team von Drehbuchautoren die Geschichte von den 1950ern in die späten 80er Jahre, womit sich der Film perfekt in die zugehörige, nicht enden wollende Nostalgiewelle einklinkt. „It“ bemüht sich aber, die idealisierte Ära realistisch zu porträtieren, inklusive akkurater Mode, Musik und dazugehöriger Farbpaletten.

Vor allem der Anfang geht wirklich unter die Haut. Wir folgen einem kleinen Buben durch die von einem Regenguss überfluteten Straßen des kleinen Städtchens Derry. Sein Papierschiffchen landet in einem Abwasserkanal, und dort lauert im Dunkeln auch eine Gestalt auf Georgie. Der berüchtigte Clown namens Pennywise lockt ihn mit freundlich-zischelnden Worten in sein Verderben. Muschietti und sein großartiger Kameramann Chung-hoon Chung („Oldboy“) verpacken die aus dem TV-Zweiteiler berühmt-berüchtigte Sequenz in beklemmende Bilder.

Georgies älterer Bruder Bill (Jaeden Lieberher, bekannt aus dem tollen Sci-Fi-Drama „Midnight Special“) will sich mit dem Verschwinden des Buben nicht abfinden. Zusammen mit seinen besten Freunden aus dem Losers Club versucht er, das Geheimnis rund um die verschollenen Kinder von Derry zu lüften. Gleichzeitig erscheint Pennywise der ganzen Gruppe von jungen Außenseitern in grässlichen Tagträumen. Es scheint, dass sich der diabolische Clown von kindlichen Ängsten ernährt.

Filmstills aus der Neuverfilmung von "It"

Warner

Hochbegabte Kinderdarsteller begeistern

Apropos Ängste: Echte Horrorfans werden sich bei „It“ letztlich wohl kaum fürchten. Dafür setzt der Regisseur, wie schon in „Mama“, das Grauen viel zu stylish in Szene, vertraut auf manieriert wirkende Computereffekte und Schreckensszenarien, die bereits perfekt für einschlägige Themenparks vorkonfektioniert wirken. Der talentierte Bill Skarsgård wiederum mutiert im Laufe des Films wahlweise zu einer Hommage an den 80ies-Kinderschreck Freddy Krueger, dann wieder zu einer klischeehaften Cartoonfigur, vor der sich wohl nur echte Clown-Phobiker fürchten.

Aber die gute Nachricht: Abseits der stereotypen Schocks erweist sich „It“ als wirklich wunderbares Coming-of-Age-Drama, was auch an den besten Kinderdarstellern seit „Stranger Things“ liegt. Nicht nur Finn Wolfhard, aus eben dieser Serie bekannt, begeistert als kleiner Nerd mit großem Redeschwall. Die ganze Gang der Loser, vom Übergewichtigen bis zum Jewish Kid und dem einzigen Afroamerikaner in der Klasse, brilliert. Sophia Lillis als forsche Beverly, das einzige Mädchen in der Runde, toppt ihre hochbegabten Kollegen aber nochmal und kündigt sich als zukünftiger Hollywood-Star an.

Filmstills aus der Neuverfilmung von "It"

Warner

Wenn die verschrobene Verliererbande von finsteren Bullys verfolgt wird oder auch nur mal einen gemeinsamen träumerischen Badeausflug macht, werden Erinnerungen an „Stand By Me“ wach, für viele ja noch immer die beste Stephen-King-Verfilmung.

Fazit: Auch wenn eine TV-Miniserie wahrscheinlich die bessere Option gewesen wäre, man kann mit dieser „It“-Adaption gut leben - und sich auf den zweiten Teil freuen.

FM4-Redakteurin Dalia Ahmed im Interview mit „It“-Regisseur Andy Muschietti

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