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David Sedaris

Ingrid Christie

Niemand interessiert sich für Rezepte und Gespenster

Die unerträgliche Seltsamkeit des Seins. David Sedaris hat mit „Theft by Finding“ Auszüge seiner Tagebücher von 1977-2002 veröffentlicht. Ein Gespräch über Zeitmaschinen, Müll und urinierende Einhörner.

Von Pia Reiser

Don’t you just hate Bulgari bath products, sagt Sedaris, in der Hand ein Sackerl von einem Seifengeschäft ums Eck vom Luxushotel am Wiener Ring. Sedaris’ Flieger hatte Verspätung, doch die wenigen Minuten bis zum Interview nutzt er zum Seifeneinkauf, denn, wie er später ausführen würde, alle Hotels hätten diese furchtbaren Bulgari-Seifen und die würden riechen as if a unicorn urinated. Da ist sie, die Sedaris’sche Angewohnheit, Beschreibungen aus dem Ärmel zu schütten, die hängen bleiben. „With her fierce make up she looks like a child’s drawing of an angry babysitter“ schreibt er über Eiskunstläuferin Tonya Harding in seinem neuen Buch „Theft by Finding“. Quasi ein Phantombild in Textform.

Theft by Finding

“Theft by Finding” – auf Deutsch “Wer’s findet, dem gehörts” versammelt Auszüge aus David Sedaris Tagebüchern aus den Jahren 1977-2002. Eine Chronologie, wie Sedaris vom Möbelpacker und Apfelpflücker zum Bestseller-Autor wurde. Die rags to riches-Komponente kommentierend, nennt Sedaris Lebensgefährte Hugh das Buch „David Copperfield Sedaris“. Der zweite Band der Tagebücher – die Jahre 2003 bis 2018 – soll in zwei Jahren erscheinen. Sedaris stimmt mir zu, dass es bei Band Zwei mit Analogien zu Charles Dickens wohl schwierig werden wird. Now I just go from shopping to Paul Smith to shopping at Comme de Garçons“, so Sedaris, während der Kristallluster im Hotelzimmer klirrt, weil eine Straßenbahn vorbeirattert.

Es war ein langer Weg von den schäbigen Motels, in denen Sedaris Ende der 1970er Jahre immer wieder wohnt, in die Fünf-Sterne-Burgen, doch in seinem Kopf drehe sich hauptsächlich alles um Müll, erläutert er. Bis zu sechs Stunden am Tag verbringt der Autorag damit, in West Sussex, wo er momentan wohnt, Müll vom Straßenrand aufzusammeln, inzwischen wurde auch eine Müllabfuhr nach ihm benannt. Er ist wie eine Figur aus seinen Büchern, möchte man sagen, wäre er nicht tatsächlich eine Figur in seinen Büchern.

David Sedaris ist wie eine Figur aus seinen Büchern, möchte man sagen, wäre er nicht tatsächlich eine Figur in seinen Büchern.

Seit Ende der 1990er Jahre veröffentlicht der in Raleigh, North Carolina, geborene Sedaris Geschichten-Sammlungen, die mehr als nur autobiografisch angehaucht sind. Wer „Nackt“, „Fuselfieber“ oder „Dress your family in cordouroy and denim“ gelesen hat, der kennt die Kindheitsticks des kleinen David genausogut wie seine dauerrauchende Mutter, seinen schrulligen Vater, seinen Raubaukenbruder Paul „The Rooster“ und seine Schwestern Amy, Lisa, Gretchen und Tiffany. Auch über Tiffanys Selbstmord schreibt er einen Text für den „New Yorker“. Bei der Lesung im Gartenbaukino am 26. September fragt jemand, wie seine Familie dazu stehe, in seinen Büchern verewigt zu werden. I bought them a beachhouse, sagt Sedaris. „Theft by Finding“ zieht auch seinen Reiz daraus, dass man all diese Figuren wiedertrifft - und feststellt, dass Sedaris in seinen Geschichten weniger übertrieben hat, als man vielleicht angenommen hat.

Über die Seltsamkeiten des Alltags

Es ist erstaunlich, wieviel Komik in den oft kurzen Einträgen steckt, die ja ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren. Die Tagebücher sind voll mit Beobachtungen über die Seltsamkeiten des Alltags, das sogenannte Weltgeschehen bleibt außen vor, Ausnahmen sind 9/11 und der Tod von Lady Di. Er würde durchaus öfter über Politik und Kriege schreiben, er hat nur beim Durchsehen der Einträge beschlossen, dass er nicht wirklich Wichtiges darüber zu sagen hat, und vieles rausgestrichen. Als er bei einer Lesung in Washington DC auf die Frage nach seiner Meinung zu Donald Trump sagt, dass er ihn verachte und sich eine Zeitmaschine wünscht, to smother him in his crib, stellt sich die Fragenstellerin als CNN-Journalistin heraus, die Sedaris Reaktion tweetet. Als er abends ins Bett geht, gibt es bereits Morddrohungen.

buchcover

Blessing Verlag

„Theft by finding“ ist bei Little Brown Company, die deutsche Ausgabe „Wer’s findet, dem gehörts“ in der Übersetzung von Georg Deggerich im Blessing-Verlag erschienen

In „Theft by Finding" schreibt er, dass er sich eine Zeitmaschine wünscht, um all den Leuten in dem spanischen Bergdorf Schuhe und Reis zu bringen, die er in einem Luis-Buñuel-Film gesehen hat. Angenommen, das ist erledigt, frage ich, was könnte man dann mit einer Zeitmaschine anstellen? Er würde zurückreisen und sich selbst dazu bringen, die rausnehmbare Zahnspange zu tragen, damit sich seine Zähne nicht wieder verschieben würden. Wars would still go on, but I would have straight teeth“. Auch im gesprochenen, nicht nur im niedergeschriebenen, ist Sedaris lakonisch und komisch. Naheliegend, dass sowhol „The Simpsons“ als auch „Modern Family“ und „Gilmore Girls“ ihn in einer Episode verewigt haben. Ob er auch mal eine Gastrolle übernehmen würde? Er habe einen Freund, der Regisseur ist und der schreibt gerade an einer Serie und hätte gern, dass Sedaris eine Rolle übernimmt. Da Sedaris nicht weiß, was er bei der Schauspieleri mit den Händen machen soll, werde es eine Rolle für einen Mann ohne Arme werden.

Sedaris redet gern über Filme, erzählt wie ihn „Bone Tomahakw“ fasziniert hat und dass an weniger guten Tagen ihn die Aussicht, einen Film der Coen-Brüder zu sehen, aufheitern würde. Im Februar 1988 hält er eine Liste der „Reasons to live“ in seinem Tagebuch fest, auf Platz Eins: Christmas. Und das noch Jahre bevor eine Geschichte namens „Santaland“ ihm den Durchbruch verschaffen würde. Weihnachten sei immer noch ganz oben auf dieser Liste, erzählt er, schon im September denke er drüber nach, was er zu Weihnachten wohl anziehen würde.

Überhaupt beherrscht er die Kunst der guten Liste ziemlich gut. Gefragt nach den schrecklichsten Gesprächsthemen folgen ghosts, recipes, computer problems. Nobody wants to hear about that. „To Pia. We both hate recipes & ghosts“ steht nun in meiner Ausgabe von „Theft by finding“. Auch die Autoren-Widmung hat er zur Kunstform erhoben. Neuerdings versuche er öfter einen Satz bei Widmungen unterzubringen, den er in einer „Real Houswifes“-Episode gehört hat. „Go back to whore island“. Fernsehen würde er allerdings nur während er auf dem Fitness-Gerät betätige, ansonsten geht sich das mit dem sechs Stunden Müll aufsammeln ja auch gar nicht aus. Irgendwann muss ja auch noch geschrieben werden.

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