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Cover Niente

Wanda

Wanda sind wohl nachdenklicher, aber nicht weniger überschwänglich

Auf „Niente“ umarmen sie die Komplexität des Lebens erneut auf vielfältige Art. Und ohne Schnaps.

Von Boris Jordan

Keine Cousinen gibt es mehr bei Wanda, weniger Schwestern, nahezu keine Trinkreferenzen, keine Bussis, kein Baby, weniger Amore.

Das “difficult third Album“, das viele der hypegebeutelten Jungmännerclique nicht mehr zugetraut hatten, ist aber (dennoch oder deshalb?) ein ganz toller Wurf, wenn auch auf einer weniger naheliegenden Ebene. Mit „Niente“ treten Wanda in eine selbstbezügliche, nachdenkliche und nostalgische Phase ein.

Die Kindheit, die verlorene, ist eines der großen Themen auf Niente. Es ist ja ein Irrtum, dass junge Menschen nicht nostalgisch seien. Man kann Siebenjährige beobachten, die lieber wieder Vier wären, weil ihr aktuelles Alter sie in eine vorgegebene Richtung drängt, ihr ein „Weiter, weiter“ (Wanda) aufzwingt - dabei würden sie viel lieber unschuldig bleiben und weiter Playmobil spielen, als das Ein-mal-Eins lernen zu müssen, schön war die Zeit, wer verdenkt es ihnen? So wie die Unschuld der Kindheit schnell schwindet, lässt sich auch „Amore“ und „Schnaps“ kaum mehr in dieser Unschuld zelebrieren, nach diesen letzten Jahren, wo die Band mehr geliebt wurde als jede andere - und mehr Schnaps trinken musste als ein Provinzbürgermeister. Man ist nicht mehr vier, man ist jetzt eben sieben.

Das heißt im Gegenteil nicht, dass sich die große Geste verloren hätte, mit der man die Komplexheit des Lebens umarmen möchte. Es geht wieder um das eigene Milieu, in dem man zwar torkelt, aber fest steht, keinen Fußbreit hergebend und nicht schwächelnd, nur muss man halt öfters gedanklich inne halten.

Ich glaube ja, dass Wanda zwei, drei textliche Eigenheiten haben, die man schon in der Vergangenheit beobachten konnte. Strategischer als das all die Songwriter-Bauchmenschen tun, wird rund um wenige Worte und Akkorde ein komplexes Wiederholungssystem durchgezogen.

Dass Marco Michael Wanda stets nach dem perfekten Wort sucht, hat er schon zugegeben. Das eine Wort, an dem er sich zuspitzen kann, auf das sich seine offensiv-verworrene, euphorische Gefühlswelt in all ihrer Ausbreitung einlassen kann, und neben dem noch Platz für Sophisication, Selbstironie und auch Sprachkunst bleibt,und das Wort dabei nicht an Kraft verliert. Man muss es rausschreien und flüstern können, überschwänglich und intim konnotieren, achtlos wegwerfen und an einer anderen Stelle vielleicht wiederfinden, all das ohne dass es schrumpft. Funktioniert haben bisher „1,2,3,4,“ „amore“, „okeeh“, “Schnaps“, „Cousine“, „Schwester“.

Dabei ist es unerheblich, ob Stein auf Bein gereimt wird, was sonst gesagt oder verschwiegen wird: Das eine Wort, an dem man sich festhalten kann, kreiert einen Großteil der Heimeligkeit, die diese Band bei Live-Events zigtausenden Menschen locker geben kann.

Wie Morrissey sucht auch er nach dem perfekten Anfang, dem besten ersten Satz, die Einleitung in eine Welt. Bisher war das „Es ist wahrscheinlich etwas Wahres dran“, „Ich bin ein trauriger europäischer Geist“ auch „Du weißt es, wenn du dir ehrlich bist, genau“ (mit charmant- österreichischem Grammatikfehler), „Gib’s uns bei Tag, Gib‘s uns Bei Nacht“, „Es ist egal, ob das Kreuz in der Kirche hängt oder im Spital“ - einige von diesen Sätzen haben eine Strahlkraft, die den Einstieg in die Nummer erleichtert, manche sind eher zum Daran-vorbei-Schwindeln gemacht, damit man zum „chant“ kommt. „Niente“ hat derer viele.

Und schließlich machen Wanda aus dem, was im klassischen Songwriting „middle Eight“ heißt, also dem nicht eben zur Hauptmelodie gehörigen zweiten Refrain, so etwas wie einen Geschenkteil für das Publikum. „Wenn man dich fragt wohin du gehst…“ ist sicher der gelungenste.

Wie ist das mit „Niente“?

Nicht immer kommen alle Tricks zum Einsatz, schauen wir mal:

„0043“ ist die Vorab- Single von „Niente“. Ausgerechnet die musikalisch-kontemplativste Nummer dafür zu verwenden und den Zugang zur Platte ein erstes Mal zu erschweren, hat etwas von einer großen Geste, die sich große Bands leisten. Wie beim letzten Interview angedeutet, hält Marco Wanda „das Unbewusste“ für den interessantesten Ort in Wien, und nimmt uns mit auf seinen traumwandelnden nostalgischen Trip. „Traurigschön“ ist vielleicht eine gewagte Weiterführung der Hölderlin’schen Wortschöpfung „Traurigfroh“, die mit Depression / Schwermut konnotiert wird.

Opener: „Es war ein schöner Wind und deine Haare war’n auf"
Kernwort: Traurigschön

"Columbo“ bedient sich der kollektiven Erinnerung an die vielleicht am meisten totgespielte Fernsehserie und nimmt dazu die vielleicht am meisten totgespielte Melodie der 1980er Jahre, „Every breath you take“. Wie Wanda erkannt zu haben scheinen, lebt dieses weniger von dem sehr naheliegenden Bassriff, als von dem Flageolett Gitarrenlick von Andy Summers. Hier wird es hittig, es gibt wenig Österreich-verbindlicheres zwischen den Generationen, als die sture wöchentliche Wiederholung einer Sixties-Serie, neben der man sich nicht übertrieben konzentrieren muss. Und der vielleicht netteste Italiener der Fernsehwelt wird so nebenbei auch noch zum Wanda-Zeugen.

Opener: „Heute gehen wir gar nicht raus“
Chant: „Am Ende fällt Columbo etwas ein“
Gegenchant: „Wir passen gar nicht rein“

Bei „Weiter weiter“ pfeifen sie sich endgültig nichts mehr. Wie sonst bei großen Romanen üblich, wird uns mit diesem Opener erneut der Einstieg in die eigentliche Platte verwehrt. Man muss sich erst durch den Grießbreiberg von Schunkel-Banalitäten durchfressen, um es sich mit der Band in der Mitte dieser dicken Platte gemütlich machen zu können. Wanda verarschen uns. Sie spielen mit jenen, die ihnen „Schlager“ vorwerfen, indem sie einen Schlager spielen, sie verstören jene, die pseudo-tolerant „eh gut mit Schlager können“, indem sie einen Schlager spielen. Und dabei versuchen sie sich aber so daran, als ob sie es drauf ankommen lassen wollen würden, mit Silbereisen am Weihnachtsmarkt zu stehen. Dieses schmierige Anfangsgitarrensolo ist so haarknapp an Brunner und Brunner oder Peter Cornelius vorbei, dass man es kaum aushält. Dazu ein bierseeliger Polterbeat, ein Alleinunterhalter-Gitarrensolo, mit soviel Heller’schem Bürgerraunzen wie nur möglich eingespielter Gesang, das mutwillige Reimen von Bauch auf auch, mehr auf schwer, heiter auf weiter,... die Zeile „sie ham an Krieg gesehen, sie werden uns nie verstehen“ trifft jedenfalls auf mich voll zu, angewandt auf die bedeutungsvolleren musikalischen Zeiten, bei denen sich Wanda sonst gern bedienen. Unbegnadigte Frühgeborene haben plötzlich Falcos „Brillantine Brutal“ im Ohr, hätte man das nicht eher bei Bilderbuch erwartet?
Fun Fact: „Weiter weiter“ ist auch einer der Slogans der Hippie-Bewegung, das „Further, Further“ von Ken Keseys „Merry Pranksters“, der kategorische Imperativ der Hippie-Bewegung, die Forderung nach der Selbstfindung, Selbstbestimmung, Selbstveränderung und schließlich Selbstverwirklichung und der dazu nötigen Weiterreise.

Opener: „Du suchst ein wahres Wort, an einem anderen Ort"
Kernwort: weiter
Chant: "Vielleicht dauert‘s nimmer lang"
Gegenchant: "Alles wirft mich aus der Bahn“

Lieb sein ist schwer? Das versteh’ ich ja nicht so, dagegen spricht die gesamte Erfahrung. Es ist doch gar nicht so schwer lieb zu sein, aber wenn ihr meint. Zwanghaftes Rausschreien von zwanghaften Lebenseinschränkungen ist des Dichters erste Pflicht.

Opener: Unglaublich gern sind wir hier“
Chant: „Lieb sein ist schwer, lieb sein ist anstrengend, lieb sein tut weh“
Gegenchant: „Wie schön das wär, wenn alles anders wär“

Wenn du schläfst. Wieder sind wir in der die Kindheit: Alles hier erinnert, aber nichts davon bleibt … hier wird „0043“ nachzitiert.

Opener: „Alles hier erinnert, aber nix davon bleibt“
Kernwort: „Oh“ (Das ist kein Wort? Oh ja)
Chant: „Oh, wieso geht’s weiter immer weiter"
Gegenchant: „Wasser wäscht das alles raus, wie vor zwanzig Jahren, als wir Kinder waren“

Schottenring: Oh wie schön??? Warum es schön ist „Nie mehr wieder Schottenring am Freitag Abend [zu] gehen“ kann ich als Nicht- Wienerin nicht so recht erklären. Hier kommt die „Schwester“, eines der Motive von "Amore“ zurück, hier haben wir mit „Oh wie schön“ den besten Chant der ganzen Platte.

Opener: „Einen Fetzen Kindheit mit geschlossenen Augen sehen“
Kernwort: „Schön“
Chant: „Sommer wird vorbei sein, bald …"
Gegenchant: „Oh wie Schön“

Lascia mi fare (auf deutsch etwa "Lass mich machen“) hat ein gut geklautes Lick, das von „Run“ von Snow Patrol (doppelt so schnell gespielt) und endlich einen richtigen italienischen Refrain, („lass mich nicht nichts machen“). „Amore“ ist wieder da, bezeichnenderweise bedeutet es hier nicht „Liebe“ (machen), sondern ist die Bezeichnung für die Geliebte. Vom Allgemeinen zum Besonderen ist’s oft nur ein kurzer Weg, der ohne Worte auskommt.

Opener: „Einmal fällt dir was und danach fällt mir was ganz besonders ein, wir werden die besten einsamen Menschen aller Zeiten sein“
Kernwort: „Niente“
Chant: „Non lascia mi fare niente“

So zieht es sich durch „Niente“. Man muss das musikalisch nicht für spannend halten, man kann schon mal vor dem selbstähnlichen Beat und den teilweise absichtlich geschmacklosen Gitarrensoli in die Knie gehen - textlich macht dieser Band derzeit niemand etwas vor.

Das taumelnde Glück, das Kapital von Wanda, ist in guten Händen.

Der FM4 Wandatag am 10. Oktober

Dienstag, 10. Oktober, feiern wir gemeinsam mit der Band großen Wanda-Tag. Dann übernimmt die Wiener Ledejacken-Combo FM4!

Das wird speziell werden!

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