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Robert Rotifer

Wir ewig Anderen

Als der britische Schatzkanzler Philip Hammond die EU als „den Feind“ bezeichnete, durfte ich mich angesprochen fühlen. Als Feind im Inneren. Anlass für ein paar Gedanken über das Anders-sein vor der morgigen Nationalratswahl.

Von Robert Rotifer

Der gefährlichste aller Sätze ist bekanntlich: „Die werden schon wissen.“ Die Versuchung, auf höhere Einsicht aus höheren Sphären zu vertrauen, ist groß. Lässt sich ja auch schwer vorstellen, dass eine Zivilisation, die es gerade wieder einmal geschafft hat, mich erfolgreich durch die Luft von der Insel mitten ins Festland zu katapultieren, in ihrer Verhandlung des Zusammenlebens – auch Politik genannt – auf derart primitiven Stammesrivalitäten bestehen sollte.

Philip Hammond

APA/EPA/WILL OLIVER

Während ich nun grenzkontrollenlos im Zug von Deutschland nach Österreich fahre, lese ich nach, dass sich gestern zuhause in Großbritannien der britische Schatzkanzler (Finanzminister) Philip Hammond entschuldigen musste, weil er in einem Interview die EU als „den Feind“ bezeichnet hatte. Das, tweetete er, sei „a poor choice of words“, also eine ärmliche bzw. schwache Wortwahl gewesen. „Wir werden mit unseren Freunden und Partnern in der EU an einem gegenseitig zuträglichen Brexit-Abkommen arbeiten #noenemieshere.“

Verzeihung, Philip Hammond, wenn ich Wortklauberei betreibe, aber was soll der Hashtag „keine Feinde hier“? Gibt’s „dort“ etwa dann doch Feinde? Ich frag ja nur, weil das Originalzitat so ging:
„The enemy, the opponents are out there. They’re on the other side of the negotiating table.“
Der Feind, die Gegner, sind da draußen. Die sind auf der anderen Seite des Verhandlungstisches.

Hammond, der in Sachen Brexit als Vertreter einer vergleichsweise sanften Linie gilt, sagte das, weil er sich ins Eck gedrängt fühlt von seinen Feind_innen und Gegner_innen im eigenen Lager. Den Leuten, die es immer unverschämter auf einen harten Brexit anlegen, in dem Britannien der EU rein gar nichts von seinen (gern irreführend als „Scheidungsgeld“ bezeichneten) ausständigen Verpflichtungen bezahlt und sich unter Berufung auf sein früheres Weltreich als Freihandels- und Steuerparadies neu erfindet.

Der Schatzkanzler hatte neulich gemeint, er würde die Milliarden für die Kosten eines harten Brexit erst locker machen, wenn ein solcher unmittelbar bevorstünde. Das mag man leichtsinnig finden, in der hitzigen Welt der britischen Innenpolitik dagegen klang es wie eine Bestätigung des Verdachts, dass Hammond es mit der No Deal-Option gar nicht ernst nimmt. Die mangelnde Bereitschaft, sein Land über die Klippen in den Abgrund zu fahren, gilt heutzutage als unpatriotisch. Die Journalistin Julia Hartley-Brewer sah sich veranlasst zu tweeten: „Philip Hammond sollte nicht nur rausgeworfen, sondern wegen Verrat vor Gericht gestellt werden.“ So klingt die politische Alltagsrhetorik im Jahre 19.. äh... 2017.

Als Volksverräter wollte er jedenfalls auch nicht dastehen, also verwies Hammond eben zur Ablenkung auf die „da draußen“. Für mich selber ist das eine heikle Sache, denn die da draußen in Brüssel sind unter anderem dazu da, meine Interessen als EU-Bürger in Großbritannien zu vertreten. Ich kann sie nicht als die „andere Seite“ betrachten, und per Rückschluss macht mich das wohl zum „enemy within“, dem Feind im Inneren.

Man kann andere Worte dafür wählen, man kann mich einen Freund und Partner nennen, aber ich bleibe trotzdem der andere. Und zwar nicht nur, weil ich mich so fühle. Wann immer ich Kontakt mit dem britischen Staat habe und es dabei ein Formular auszufüllen gibt, bin ich angehalten, meine ethnische Zugehörigkeit zu deklarieren. Ich bin dann nicht White British, White Caribbean oder Black Caribbean, Gipsy or Irish Traveller, „Mixed other“, „Black other“, Pakistani, Bangladeshi, Indian, White Irish, Black African, Arab, „Asian other“ oder Chinese. Ich bin „White other“. Es fühlt sich nie gut an, sich derart klassifizieren zu müssen, aber das Argument ist ja, dass der Staat erforschen will, ob es Diskriminierung oder Benachteiligung von ethnischen Gruppen gäbe, und dafür braucht es halt Daten.

Statistik

Source: 2011 Census, Office for National Statistics

Am Dienstag hat nun die britische Regierung ihr „Race Disparity Audit“, also ein Dokument zur Prüfung der Rassenungleichheit auf der Insel herausgegeben. Da erfahre ich über meinesgleichen, dass nur 14,5 Prozent von uns „White others“ in Großbritannien geboren sind. Das unterscheidet uns stark von fast allen anderen Gruppen. Also eben nicht den Anderen, die Anderen sind ja schließlich wir.

Immerhin ein Drittel von uns Anderen hat das Gefühl, dass wir Entscheidungen beeinflussen können, die unsere Nachbarschaft betreffen. Im Vergleich dazu empfindet das nur ein Viertel der weißen Brit_innen so. Der Aussage, dass sie „zu Britannien gehören“ stimmen dagegen 85 Prozent dieser weißen Brit_innen zu, während wir Anderen uns mit 68% am eindeutig Wenigsten als Britannien zugehörig identifizieren.

Ich find das ja immer noch überraschend viel. Schließlich stammen diese Zahlen aus den Brexit-Jahren 2016/17. Wer sich da als Andere oder Anderer entgegen dem, was seine Medien und Politiker_innen uns täglich an den Kopf werfen, immer noch mit Britannien verbunden fühlt, muss über eine bewundernswerte Hartnäckigkeit verfügen. Andererseits: Was hätte ich selber gesagt, als einer mit in Großbritannien geborenen Kindern? Die sind Brit_innen, also gehöre ich wohl auf eine gewisse Weise wirklich zu diesem Land. Als ewig anderer Angehöriger.

Ich fahre also gerade von Augsburg in Richtung Salzburg, in musikalischer Mission, und in meinem Koffer ist meine Wahlkarte, die ich morgen, Sonntag, dort in einem Wahllokal abgeben werde, bevor ich wieder nach Hause in das Land fahre, wo ich „White other“ bin.
Und ich muss dabei wieder einmal an die Leute denken, die hier in Österreich – so wie ich in Großbritannien – nicht wählen dürfen, darunter übrigens auch einige FM4-Kolleg_innen, als wesentlicher Teil der Bevölkerung, der alles mitmachen soll, aber nicht mitbestimmen kann. Der somit von der Politik eines Landes nicht nur ausgeblendet, sondern als Blitzableiter verwendet werden darf. Als Wahlberechtigte_r erhält man daher viele Einladungen, diese Menschen als Feind im Inneren zu verstehen. Ich hatte ja beim Brexit-Referendum und bei der letzten Unterhauswahl gehofft, dass die in Großbritannien Wahlberechtigten diesen Einladungen widerstehen. Mehr als hoffen konnten weder ich noch die Anderen, die morgen bei euch nicht wahlberechtigt sind. Einst, als Frauen keine Stimme hatten, gab es das abstruse Argument, dass der Mann beim Wählen den Rest der Familie mitbedenkt.
Die Anderen in dieser großen Familie namens Bevölkerung hätten ihre eigene Stimme verdient. Da sie sie nicht haben, müssen die Wahlberechtigten sie und ihre Interessen zumindest mitbedenken.

No enemies here. Da, nur da, hat Hammond schon recht.

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