FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Stills aus dem Film "The Snowman"

Universal

FILM

Emotionale Vergletscherung

Ein paar Gedanken zur Verfilmung des Krimibestsellers „The Snowman“, inklusive weiterer schneeverwehter Thriller-Tipps

Von Christian Fuchs

Skandinavische Thriller scheinen ihre eigenen, fast schon zu Eis erstarrten Regeln zu haben. Nummer 1: Die Umgebung muss stets so frostig wie möglich wirken, weil sie ja für das Innenleben der vorkommenden Protagonisten steht.

Was uns zu Nummer 2 bringt: Jede Figur ist, frei nach Michael Haneke, emotional vergletschert, jede menschliche Beziehung erkaltet, jede und jeder kann ein Killer sein, außer dem desillusionierten Detektiv.

Regel Nummer 3: Dieser kaputte Cop schnappt am Ende verlässlich den mysteriösen Mörder, aber vorher muss man ultrakonstruierte Geschichten voller falscher Fährten ertragen, die dann natürlich pingelig aufgelöst werden.

Stills aus dem Film "The Snowman"

Universal

Head like a Hole

Ok, das war jetzt ein bisschen gehässig, aber vielleicht ist auch einfach nur dieser Film schuld. Der schwedische Regisseur Thomas Alfredson versucht in „The Snowman“ erst gar nicht, die skandinavischen Krimi-Gesetze aufzubrechen. Seine langerwartete Hollywood-Adaption von Jo Nesbøs Bestseller bietet wirklich sämtliche zu erwartende Klischees.

Bühne frei also für Michael Fassbender als schwer alkoholkranker, kettenrauchender Detektiv Harry Hole, der in Oslo einen geheimnisvollen Serienkiller jagt. Der diabolische Täter hat sich auf Mütter spezialisiert, dekoriert gerne mit abgetrennten Körperteilen den Tatort und hinterlässt dort gruselige Schneemänner als Markenzeichen. Für Harry, den nur die obsessive Arbeit von seiner Abhängigkeit ablenkt, ein idealer Fall. Auch wenn sämtliche sozialen Beziehungen, unter anderem zu seiner zermürbten Ex-Freundin (Charlotte Gainsbourg) und deren kleinen Sohn, nebenbei endgültig den (zugefrorenen) Bach runtergehen.

Der Norweger Nesbø verdankt dem maroden, aber gleichzeitig genialischen Harry, der durch mittlerweile 11 Romane geistert, seinen Status als literarischer Superstar. In über 40 Sprachen wurden seine Werke übersetzt, 30 Millionen Bücher verkaufte der Ex-Musiker weltweit. Zwar hat der Schreiber dieser Zeilen noch keinen Krimi von Jo Nesbø gelesen, aber Freunde schwärmen von süchtigmachender Lektüre mit wohl kalkulierten, rabenschwarzen Abgründen.

Still aus dem Film "The Snowman"

Universal

Große Namen auf dünnem Eis

Für einen Nichtkenner der Vorlage wirkt die Vefilmung von „Der Schneemann“ jedenfalls erstmal, wie erwähnt, wie ein geballtes Zusammentreffen sämtlicher Nordic-Noir-Stereotypen. Dabei hat sich eine äußerst talentierte Truppe versammelt, um den Erfolgsroman auf die Leinwand zu bringen.

Thomas Alfredson schätzt man wegen seines melancholischen Vampir-Meisterwerks „Let The Right One In“, aber auch seine hypnotische John-Le-Carré-Verfilmung „Tinker Tailor Soldier Spy“ entwickelte einen ganz eigenen Sog. Dann ist da die illustre Besetzung, die neben Fassbender und Gainsbourg auch Rebecca Ferguson, Val Kilmer, Chloé Sevigny und J. K. Simmons inkludiert. Kinogott Martin Scorsese, der zuvor mit der Regie kokettierte, sitzt im Coproduzentensessel und dessen liebste Cutterin Thelma Shoonmaker hat den Schnitt übernommen.

All diese großen Namen können aber nicht verhindern, dass das dünne Eis, auf dem der Film dahingleitet, bald bricht. Es kommt keine wirkliche Spannung auf in „The Snowman“ und Emotionen werden nur vorgetäuscht. Amerikanische, britische und französische SchauspielerInnen bemühen sich als neurotische Norweger, glaubwürdig zu wirken und taumeln durch ein unnötig verworrenes Geflecht aus verschiedenen Subplots und Flashbacks.

Stills aus dem Film "The Snowman"

Universal

Was den Film letztlich doch sehenswert macht, sind die Atmosphäre und die Landschaft. On Location in Oslo und Bergen gefilmt, gelingen Alfredson und seinem Kameramann Dion Beebe beeindruckende Bilder. Viele Szenen wirken wie aus einem morbiden Fotoband entnommen, künstlich auf maximale Trostlosigkeit gestyled. Auch wenn man Norwegen wirklich nicht mit Schweden vergleichen soll, kommt einem ein Begriff wie „IKEA Noir“ in den Sinn.

Weitere schneeverwehte Thriller-Tipps

Wie man es besser hinkriegt, mit angloamerikanischer Besetzung einen skandinavischen Krimibestseller auf die Leinwand zu bringen, demonstrierte David Fincher 2011. Erst kurz zuvor stürmte die schwedische Verfilmung des Stieg-Larsson-Bestsellers „The Girl With The Dragon Tattoo“ die Kinocharts. Finchers Version bietet aber großes Kino statt TV-Ästhetik. In eisigen Wintermonaten vor Ort in Schweden rollte der US-Filmemacher die Geschichte von Mikael Blomkvist und Lisbeth Salander noch einmal auf. Die zuvor unbekannte Rooney Mara brennt sich als Hackerin im Gothlook in die Netzhaut ein, der Soundtrack von Trent Reznor fasziniert.

2008 beweist Regisseur Andreas Prochaska, dass sich auch in Österreich überzeugende Beiträge zum Horrorgenre drehen lassen. Das Sequel zum intelligenten Teen-Slasher „In 3 Tagen bist du tot“ übertrifft das Original locker. Der klaustrophobisch inszenierte Terror, in den die junge Protagonistin Nina (Sabrina Reiter) in der verschneiten Tiroler Bergwelt hineingerät, hat eine ganz spezielle Qualität.

In 3 Tagen bist du tot 2“ verknüpft die tabubrecherischen Momente des österreichischen Kunstkinos mit einem großen Gespür für Suspense und Horror-Entertainment. Auch höchst sehenswert übrigens: Der heimische Alpen-Slasher „Blutgletscher“ von Marvin Kren, der handfeste Monsteraction bei niedrigsten Temperaturen bietet.

Der Amerikaner Taylor Sheridan darf zu den besten Drehbuchautoren der Gegenwart gezählt werden. Seine kompromisslosen Skripts zum Drogenkriegs-Drama „Sicario“ von Denis Villeneuve und dem modernen Western „Hell Or High Water“ von David McKenzie bildeten die Grundlage für zwei filmische Meisterwerke.

Ebenfalls sehr super ist die neue Regiedebüt von Sheridan, natürlich nach eigenem Buch, geworden. Im Schnee-Thriller „Wind River“ geschieht in einem Reservat amerikanischer Ureinwohner ein grausamer Mord. Eine junge FBI-Agentin (Elisabeth Olsen) arbeitet bei der Aufklärung mit einem Fährtensucher (Jeremy Renner) zusammen, langsam werden die beiden in der eisigen, menschenfeindlichen Landschaft in einen Abgrund aus Rassismus, Sexismus und Gewalt gezogen. Bleibt zu hoffen, dass der extrem eindringliche Film demnächst einen österreichischen Starttermin bekommt.

Aktuell: