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Still aus der Serie "Babylon Berlin"

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Berlin wie es schwingt und schreit

Die großspurig angelegte Fernseh-Serie „Babylon Berlin“ hält viel. Wieder einmal: die Verschraubung von History und Mystery.

Von Philipp L’heritier

Freilich eine keineswegs unbedeutende, dabei glücklicherweise nicht die zwingend wichtigste Tatsache ist im Vorfeld großschwadig in die Welt geblasen worden: Dies ist die teuerste deutschsprachige Fernseh-Serie aller Zeiten.

Kaum weniger als eine größenwahnsinnige deutsche Material-Schlacht ist zu erwarten, wenn es darum geht, eine vielschichtige Periode der deutschen Geschichte zu beleuchten, die im Stande ist, ausnahmsweise auch Teile der Welt außerhalb Deutschlands zum Lobgesang der Verklärung zu verführen: Die vergangenen Freitag gestartete Serie „Babylon Berlin“ hat also schon einen kaum geheimnsikrämernden Titel. Hier wird mit allen Finessen und Kulissen ins vibrierende und vor Leben juckende Berlin der Weimarer Republik hineingezoomt, ausgehend im Jahr 1929.

Cabaret und entrückter Jazz, zu dem im Geheimen verboten gezuckt wird, Drogen- und Sex-Partys, ein Leben zwischen Absturz, Armut, Überschwang und endgültigem Hedonismus. Der Reiz des nebulös Perversen im Kurzschluss mit unbekümmerter Kunstsinnigkeit und Selbstzerstörung. Sack und Asche, Gold-Pailletten und Kokain.

Still aus der Serie "Babylon Berlin"

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Barfuss oder Lackschuh

In einer musikalischen Nummer in „Babylon Berlin“ wird vom - oft nicht freiwilligen - Drahtseilakt „zwischen Glück und Qual“ gesungen. Ein reiches Gegensatzpaar mit hundert Graustufen - die Serie aber setzt es eben nicht bloß in Hinblick auf Finanzen reich ins Bild, sondern auch mit in Europa selten gesehener Ambition. Hinsichtlich Komplexität, Figurenkarussel, narrativen Irrwegen und visueller Umsetzung.

„Babylon Berlin“ basiert auf der Erfolgsroman-Reihe rund um Kommissar Gereon Rath des deutschen Schriftstellers Volker Kutscher. 16 Folgen der Serie sollen – vorerst – in zwei Staffeln ausgestrahlt werden, 40 Millionen Euro soll die Angelegenheit kosten. Das Geld wird gut investiert vom für die Fernseh-Adaption verantwortlichen Regisseurs- und Autoren-Dreigespann Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegten.

„Babylon Berlin“ läuft seit 13. Oktober 2017 immer freitags auf Sky.

„Babylon Berlin“ ist aber nicht das erwartungsgemäße Großereignis deutscher Prägung, das Historiendrama mit betont ausgestelltem Gefühl und gewolltem Tiefgang, am besten für die ganze Familie, Farbgebung Blassgrau und Blassgrau.

Neue Ebenen

Zwar ist die Serie auch das pompöse und detailreichte gestrickte Gesellschaftspanorama, mit allen Pauken und Trompeten, Hüten und grimmigen Soldaten, das es sein muss, aber auch ein Psychogramm des persönlichen Wahnsinns und eine ausgeklügelt gebaute Kriminalgeschichte, die immer wieder ins Spukhafte kippt.

Auch wenn es nicht - noch nicht - ganz hinkommt: Die drei Regisseure nennen als ausgewiesene Vorbilder Produktionen des aktuellen Golden Age des US-Fernsehens, beispielsweise „Breaking Bad“ oder „Boardwalk Empire“. Die Übersetzung einer vagen Ideen von Autorenfilm ins Serien-Format fürs Fernsehen, das nicht dem episodischen Ablaufschema gehorchen muss, sondern den großen, breiten, verästelten Erzählbogen sucht, steht hier zwar noch an seinem Anfang, glückt jedoch in „Babylon Berlin“ mit meist elektrischer Magie.

Still aus der Serie "Babylon Berlin"

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Der kaputte Ermittler und die Menschen

Im Zentrum steht Darsteller Volker Bruch als undurchsichtiger Kriminalkommisar Gereon Rath: ein normal gutaussehender, an der Oberfläche glatter Mann, in dem die Zweifel und Ängste wohnen. Ihn verschlägt es aus bislang nicht näher geklärten Gründen aus seiner Heimat Köln nach Berlin, wo er als schweigsamer Fremdkörper im Sittendezernat ermittelt und illegaler Pornografie – auch Kinderpornografie – hinterherforscht.

Seine tieferen Absichten bleiben unbekannt, er ist katholisch, scheint aufrecht und gutherzig, im Inneren brodeln Geheimnisse und Drogensucht. Volker Bruch gelingt mit seinem Gereon Rath eine rätselhafte, wankelmütige Figur, die den altbekannten Motiven vom Antihelden und fertigen Hardboiled-Detekiv ohne falsches Schmalz neue Facetten entlockt.

Das gesamte vielköpfige Ensemble von „Berlin Babylon“ kocht: Julius Feldmeier gibt Komissar Raths Vorgesetzten als ungustiösen Mann vom Typus Schwein. Feist, ungehobelt, schwitzt, behandelt Verdächtige gerne schon auch mal mit der Faust und erfreut sich an üppigem Einsatz von deftigem Berlin-Jargon: Durchfall nennt er „’nen flotten Otto“, wenn er ohne Scham in aller Öffentlichkeit einen fahren lässt, dann sagt er: „Der muss raus, was keine Miete bezahlt“.

Still aus der Serie "Babylon Berlin"

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Weit verzweigte Welten

Wir treffen auf schmierige Regisseure und russische Agenten, dandyhafte Militäroffiziere (groß: Lars Eidinger) und Cabaret-Stars auf geheimer Mission. In der zweiten Hauptrolle neben Volker Bruch als Büroschreibkraft, Partygirl ohne Morgen und Love Interest glänzt Liv Lisa Fries, die es auch locker wegsteckt, wenn ihr die Inszenierung immer wieder mal zu dicken kecken Berliner Charme in die Rolle schreibt.

Da und dort ächzt in „Babylon Berlin“ noch leise die Aura des deutschen Fernsehspiels, immer wieder wirkt leicht hölzerne Gestelztheit im Dialog durch – am Besten und mitunter atemberaubend ist die Serie aber, wenn die alten Pfade verlassen werden: die Musik- und Ballroom-Szene am Ende der Pilotfolge ist eine artifiziell und außerweltlich zum Leben erweckte, ausufernde Tanzrevue, mit allem Voodoo und aller zerschossener Euphorie, ein Drift ins Surreale, der hypnotisiert.

Wenn Kommissar Gereon Rath in kryptischen Montagen aus Rückblenden und Blicken in die Zukunft, deren Bedeutung wir noch nicht kennen, seine privaten Geister besuchen, dann ist das ein schwindelerregender Abstieg in einen Fiebertraum. Weil draußen alles so leer und trist ist, Trümmer und Elend, wollen wir vielleicht gar nicht mehr erwachen.

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