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Buddha-Statue

Valerie Kattenfeld

Achtsamkeit üben

Von der Full Moon Party ins Meditation Retreat in Thailand. Dort mache ich eine der wertvollsten Erfahrungen meiner Weltreise.

Von Valerie Kattenfeld

Ich habe mich verführen lassen. Als ich auf mein Flugzeug nach Phuket warte, stelle ich fest, dass die nächste Full Moon Party auf Ko Phangnan in vier Tagen steigt. Die weltberühmte Veranstaltung, bei der monatlich rund 20.000 Feierwütige auf die kleine Insel strömen, war nicht unbedingt eins meiner Must Dos in Thailand. Nun denke ich mir: wenn ich schon mal da bin...

Leider eine Fehlentscheidung. Was ich mir als magisches völkerverbindendes Fest der Superlative vorgestellt habe, ist nichts als ein mühsames aneinander Vorbeiwinden zu plärrender Technomusik. Die Straßen quellen über vor neonbemalten Touristen, die kübelweise Alkohol in sich hineinleeren (das meine ich übrigens wörtlich: die Longdrinks werden tatsächlich in „Buckets“ ausgegeben, die man an Henkeln allernorts herumbaumeln sieht).

Full Moon Party

Valerie Kattenfeld

Epizentrum der Party ist der ein Kilometer lange Strand Haad Rin, an dem sich DJs und Getränkestände aufgereiht haben. Die Musik beschränkt sich auf Electronic Dance, gelegentlich vermischt mit einem Hauch von Pop. Wessen Geschmack das nicht entspricht, wird hier keine Lust haben, in den Sonnenaufgang hineinzutanzen. Wie das wohl damals in den Achtzigern war, als alles mit nur dreißig Gästen begonnen hat? Am schlimmsten trifft die Party das Meer, das als öffentliche Toilette missbraucht wird. Es wird hinein gepinkelt, gespieben und man hat auch schon Urlaubsabschnittspärchen gesichtet, die es nicht mehr zurück ins Hotelzimmer geschafft haben. Das einzig Positive, das ich an diese Party finden kann, sind die leuchtenden Neonfarben auf Haut und Gewändern, die im Kontrast zur Nacht wunderschön anzusehen sind.

Blumenmuster

Valerie Kattenfeld

Nach dieser Erfahrung sehne ich mich nach Ruhe. Ich melde mich für ein Meditation & Silence Retreat auf Ko Samui an. Das Diphabavan Center wurde mir von einem Freund empfohlen und entpuppt sich als eine meiner wertvollsten Weltreise-Erfahrungen.

Bevor ich für eine Woche offline gehe, verabschiede ich mich von meinen Freunden und den Followern meiner Facebook Reiseblog-Seite. Im Retreat müssen zu Beginn alle potentiellen Ablenkungs-Utensilien abgegeben werden. Dazu gehören Handy, Computer, Kamera und Bücher. Nicht einmal Schreiben ist erlaubt. Dies dient der Intensivierung des Prozesses, bei dem wir uns in Achtsamkeit üben und mit der Innenschau alleine sind.

Nur meine Gedanken und ich und der gemeinsame Tagesablauf. Jeden Morgen um 4:30 aufstehen. Eine halbe Stunde Meditieren, eine halbe Stunde Dhamma Talk, eine Stunde Yoga. Dann Frühstücken und im Anschluss kleine Arbeiten verrichten. Die Tage sind in Vormittags-, Nachmittags- und Abendblöcke unterteilt, bei denen das Meditieren im Sitzen und Gehen im Vordergrund steht. Hinzu kommen Gesänge auf Pali und die Dhamma Talks, die uns mit buddhistischen Grundsätzen vertraut machen. Abendessen gibt es keines. Für den Notfall habe ich mir heimlich ein paar Erdnussriegel eingepackt.

Ich betrete zum ersten Mal den Schlafsaal und wähle ein Bett in der Ecke. Ich hänge mein Moskitonetz über das Gestell, das meine Schlafunterlage sein wird. Es gibt keine Matratze, nur eine Strohmatte auf Holz. Mein Bett ist direkt neben dem von Katharina aus Deutschland und Chelsea aus Australien. Vorhin beim Tee haben wir uns kennen- und auf Anhieb mögen gelernt. Kurz bevor um achtzehn Uhr die Stille beginnt, umarmen wir uns zu dritt und schwören uns, gemeinsam durchzuhalten.
Von Anfang an fühle ich mich an diesem Ort wunderbar gut aufgehoben. Die idyllische Anlage liegt von Wäldern umgeben oben auf einem Hügel. Vom Schlafsaal in die Meditationshalle führen 127 Stufen nach oben. Die weitläufige Halle ist an den Seiten offen, was eine phantastische Aussicht auf Meer und Dschungel erlaubt. Ich nehme mir drei Meditationspölster und suche mir auf der Frauenseite einen Platz in der vorletzten Reihe. Rund zwei dutzend Personen sitzen in dem Saal. Noch weiß ich nicht, dass wir jeden Tag weniger sein werden. Leider werden weder Katharina noch Chelsea bis zum Schluss bleiben.

Meditierende junge Frau in einem Garten

Valerie Kattenfeld

Nun ist es soweit. Von dem unheimlich netten Personal des Retreats werden wir in die Praxis eingeführt. Es werden unterschiedliche Sitzpositionen vorgestellt. Ich setze mich auf einen kleinen Holzrahmen und schiebe meine Füße darunter nach hinten.

Die Hände liegen locker auf den Knien. Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf meinen Atem. Was mir vielleicht für ein, zwei Sekunden gelingt. Dann schiebt sich schon der erste Gedanke dazwischen. Gefolgt von unzähligen anderen. Fragen, Erinnerungen, To do Listen, Nachrichten, Musik, Phantasien. All das überfällt mich wie ein Heer, das auf seinen Einzug nur gewartet hat. Ich bin überrascht, wie viel davon irrelevanter Mist ist. Es tauchen beispielsweise Facebook Postings einer Kollegin auf, die einen Erfolg nach dem anderen erzielt. Ich werde zur Gefangenen meiner Eifersucht, die mich daran hindert, meinen Kopf leer werden zu lassen. Ich sollte loslassen, die Gedanken weiterziehen lassen wie Wolken. Aber das braucht Übung. Und viel Zeit.

Durch die Erfahrung, wird mir bewusst, wie viel wir täglich an Meldungen und Entertainment auf uns einströmen lassen. Kann unser Geist das jemals alles verarbeiten? Und spüren wir uns eigentlich noch selbst unter all den fetten grellen Schichten an Infotainment?

Eine neue Art von Aufmerksamkeit

Die Woche im Retreat ist Entzug. Alles nicht unbedingt Notwendige wird ausgespart, vom Spiegel, über warmes Wasser bis hin zu intellektueller Ablenkung. Dadurch verschiebt sich der Fokus. Die Beobachtung der Natur etwa gewinnt einen höheren Stellenwert. Ein schwarz schimmernder Skorpion spaziert nach dem Regen über die Stufen. Ameisen verfrachten unermüdlich Steinchen um Steinchen auf die Spitze ihres Hügelchens. Handtellergroße Spinnen entlocken den einen oder anderen Entsetzensschrei. Und werden gleichzeitig für ihre kunstvollen Netze bewundert.

Spinne in Spinnennetz

Valerie Kattenfeld

Mindfulness

Sobald die Augen eben nicht mehr permanent wie magnetisch von den Displays unserer Geräte angezogen werden, beginnt der Geist, aufzuwachen. Alles, was ich tue, tue ich bewusster, als jemals zuvor. „Mindfulness“ ist das große Schlagwort dazu und es fällt in fast jedem der Dhamma Talks. Es sind Kleinigkeiten, wie mit Achtsamkeit aufstehen ohne dabei seinen Nachbarn beim Meditieren zu stören. Einem Mädchen gelingt das überhaupt nicht. Insgeheim nenne ich sie „Trampeline“.

Eine andere, die immer so grantig vor sich hinstarrt, als würde sie gleich jemanden auffressen, habe ich „Dracula“ getauft. Es ist spannend, sich beim Kennenlernen ausnahmsweise nicht am Raster Name-Alter-Beruf abzuarbeiten. Stattdessen zu beobachten, wer großzügig Lächeln austeilt oder wer vor allen anderen zu essen beginnt.

Vor jeder Mahlzeit sprechen wir im Chor eine „Food reflection“. Ich sehe in meinem Teller die Erde, die uns Nahrung schenkt, die Bauern, die sie gepflanzt und geernet haben und die liebevolle Zubereitung. Hungrig genieße ich jeden Bissen des köstlichen vegetarischen Essens. Mit der Dankbarkeit scheint sich der Geschmack zu intensivieren. Es ist eine völlig andere Erfahrung, als vor dem Fernseher Kalorien in sich hineinzuschaufeln, die den Magen vom Knurren abbringen sollen. Meine Erdnussriegel bleiben übrigens unangetastet. Überraschenderweise kommt mein Körper mit einer Banane und einem Tee als Abendessen bestens zurecht.

Buddha-Statue

Valerie Kattenfeld

Es gibt so viel Wertvolles, was mich der Buddhismus in diesen wenigen Tagen gelehrt hat. Die Notwendigkeit der Reduktion unserer Egos und die kompromisslose Würdigung des Jetzt, mit der die Achtsamkeit einhergeht. Die Enttarnung des Smartphones als DAS Instrument schlechthin, das zur Vergiftung unserer Gesellschaft führt. Keine Sekunde hat es mir gefehlt. Unmöglich, all das Erlebte in einem kurzen Text zusammenzufassen. Besser, man fährt selbst hin und schaut, was so eine Woche mit einem macht.

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