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Martin Blumenau

Die Grünen scheitern am politischen Instinkt

Jetzt sind es also tatsächlich nur 3,8% und genau 192.638 Wählerinnen. Und der Absturz ins Bodenlose.

Von Martin Blumenau

Mir ist am Wahlabend nur wirklich einmal die Lade runtergefallen (denn mit vielem anderen war schon davor, mit dem Ausscheiden der Grünen nach der allerersten Privat-TV-Vorhersage zu rechnen); und das war weit vor jeder Hochrechnung: als bekannt wurde, dass die Bundesgrünen ihre Party im Wiener Metropol abhalten.

Im übrigen: nichts gegen das Metropol; ganz im Gegenteil. Ich hab’ vor vielen Jahren (ich war jung und brauchte das Geld) dort das monatliche Programmheft gemacht.

Das Metropol ist nämlich weder klassisch-grünes oder zumindest neutrales Terrain - es gehört vielmehr einem Verein der Wiener ÖVP. Nun ist das nicht ganz so schlimm, als würde die SPÖ ihre Party im Proberaum der John-Otti-Band abhalten, oder die Neue ÖVP ins Fluc oder die FPÖ ins ega gehen - es zeugt aber von einem gehörigen Maß an Wurschtigkeit, vom Ausblenden jeglicher Zeichensetzungs- und Symbolpolitik, von grober politischer Instinktlosigkeit.

Die FPÖ etwa hatte ihre Party in der Marx-Halle - ein extrem schlauer move. Man umgibt sich mit einem Hauch Klassenkampf, ohne inhaltlich folgen zu müssen. Die türkise ÖVP im Kursalon Hübner, NEOS im Leopold - das macht alles symbolpolitischen Sinn.

The daily blumenau bietet seit 2013 ebenso wie sein Vorgänger, das Journal, regelmäßig Einträge zu diesen Themenfeldern.

Siehe dazu auch Drei drängende Fragen nach der Wahl und die #nrw17 auf FM4.

Und hier das offizielle Endergebnis.

Was hingegen die Wahl des Party-Ortes Metropol erzählt: Wir wissen nicht, wohin wir gehen, wir wissen nicht, wofür wir stehn. Und genau das ist/war das Dilemma der beiden letzten Jahre: Die inhaltliche Zurückhaltung (man kann es auch Leere nennen) rund um das #bpw16-Jahr, der verheerende Umgang mit der Parteijugend, der überstürzte Abschied der Bundessprecherin, der sorglose Umgang mit bewährten Parlamentariern (Gabriele Moser, Rossmann, Öllinger, Zinggl, Walser...), die Katastrophe rund um die Pilz-Abspaltung, der auch wegen der planlosen Neuübernahme reaktive und konturlose Wahlkampf.

Das sind allesamt Dinge, die einem einzeln schon passieren können. In dieser Ballung aber ist ein Muster erkennbar.

Ich erinnere mich an die inhaltliche und formale Blässe von grünen MandatarInnen, die mir April bis Anfang Mai, also nach dem Junge-Grüne-Eklat und vor Glawischnigs Abgang, über den Weg gelaufen sind. Sie waren wie erstarrt, strahlten Desillusion aus, leise Frustration, sie waren müde, sich wieder und wieder an Nebenschauplätzen erklären zu müssen, während die politischen Mitbewerber in der großen Arena klotzten. Ich behaupte, dass sie der damals beginnende Erosions-Prozess unter den grünen Core-Wählern bereits beängstigte und es bereits Gegenstrategien gab. Die allerdings bereits Tage später durch das Hinschmeißen der Chefin und dann endgültig ein Monat später durch das Pilz-Listenwahl-Desaster hinfällig wurden. Weil die Grünen mit dem Rücken an der Wand, im reinen Abwehrkampf standen.

Wie aber kann es sein, dass eine Partei mit einer derart hohen strategischen Intelligenz derart viele taktische Instinktlosigkeiten unterliefen?

Dazu stehen gerade viele Analysen und Thesen im Raum, z.B. von Steinhauser, Chorherr, Reimon oder Schreuder...

über

... und, nachgereicht, die von Sigi Maurer im Standard.

Ich orte die Ursache in einer kollektiven Verminderung von politischer Debatte und einer ebenso kollektiven Konsens-Orientierung, um ein entsprechendes Bild abzugeben. Nämlich ein streichelweiches, regierungstaugliches. Und zwar sowohl von oben angeordnet, als auch auf freiwilliger Basis. Um nicht der Van-Der-Bellen-Kampagne oder den Landesregierungsbeteiligungen in die Suppe zu spucken. Um auch die ländlichen Bereiche im Osten und das vorsichtige Bürgertum anzusprechen. Was in der Präsidentschaftswahl, wenn man nur die Wahl zwischen zwei Kandidaten hat, auch gelang. Aber eben nur dort.

In den beiden letzten Jahren verlor die Grüne Partei wegen dieser Beliebigkeits-Strategie ihr Profil. Ausgegeben wurde die Linie von einer Parteichefin, die gehofft hatte, mit Lifestyle/Homestory-Zugeständnissen den heftigen medialen Gegenwind abzuwehren; und jede strategische Debatte abblockte. Anstatt den vorpreschenden Pilz als rabiaten Kämpfer gegen Korruption oder den politischen Islam zu positionieren und so den sicherheitsängstlichen Wählern ein Angebot zu machen, wurde er niedergebügelt. Anstatt eine radikale Klimakatastrophen-Kampagne (auch auf der Basis der aktuell höchstgehandelten politischen Währung, der Angst nämlich) zu fahren und sich als die einzige Gruppe mit echten Lösungen hinzustellen, wurde weiter mit Zeigefinger-Besserwisserei gekleckert.

Die zweite Phase der Ära Glawischnig, vor allem die letzten Jahre, zeichneten sich durch perpetuierte Instinktlosigkeiten aus, die auch von den bei den Grünen überproportional vertretenen eigenständig denkenden Funktionären mitgetragen wurden. In einer Art Nibelungentreue zur Chefin, die das (im europäischen Kontext) Wunderergebnis von 12,42% eingefahren hatte. Deshalb: Stillstand.

Alle Parteien, die 2017 wirklich zulegen konnten, haben sich runderneuert präsentiert: Kurz und Pilz in Bewegungen, die FPÖ mit einem Kehrtschwenk von der sozial radikalen zur wirtschaftsfreundlichen und handzahmeren Sicherheitspartei. Klar, das meiste davon war Marketing und neue Lackierung. Aber im Gegensatz zu den Grünen würde so etwas wie Bewegung signalisiert.

Und Bewegung, egal in welche Richtung, war wichtig. Alles andere ist politisch instinktlos.

PS, Nachtrag, Nebenbemerkung:

Als Bundeskanzler Kern im Wahlkampf-Finish das Motto „Schwarz-Blau verhindern!“ ausgab, tat er das schon im Wissen des Scheiterns - denn selbst mit noch ein paar Prozent grünen Leihstimmen mehr war es aussichtslos an Kurz heranzukommen.

Vielmehr verhinderten die SP-Strategen mit dieser offensichtlichen Bettel-Kampagne die einzig realpolitisch noch mögliche Alternative zu Schwarz-Blau: eine Dirndl-Koalition zwischen Kurz, Neos und Grünen. Einzig eine implizite Aufforderung an alle Wackel-Wähler doch ein grünes Kreuzerl zu machen, hätte eine andere mögliche Mehrheit und somit zumindest eine neue Option bringen können.

Der Druck der liberalen Kräfte der Einflussgeber hinter der Neuen ÖVP hätte lieber damit gelebt als mit der jetzt total alternativlosen schwarz-blauen Koalition. Die die SPÖ also strategisch mitverantwortet.

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