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teppich iran

Gersin Livia Paya

reality check

Für mich ist es „Persien“

Der Iran ist für mich immer der Geruch meines Opapas und die gute Seele meines Vaters.

Von Gersin Livia Paya

„Persien“ ist der Name, den mein Opapa nie aufgehört hat, dem Land seiner Herkunft zu geben. Heute, erwachsen - mit all der Verwirrung der Bezeichnungen -, empfand ich auch das Chaos meiner gemischten Wurzeln, der österreichischen und der iranischen. Und erst durch die Reise an den Ort, der noch viel mehr Namen in mir klingen lässt, fand endlich ich eine Ruhe, wahrscheinlich in mir.

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Gersin’s Iran:

Ein FM4 Reality Check Special am Samstag, 21. Oktober 2017, von 12 bis 13 Uhr auf Radio FM4 und anschließend für 7 Tage im FM4 Player

Eine Ruhe, die man der Stadt Tehran mit über acht Millionen Einwohnern eher nicht zuzuordnen vermag. Smog verdirbt die sonst so frische Luft der Stadt, die direkt an Gebirgsketten liegt. Viele Stimmen, Marktgeschrei, Motorräder, verstaubte Autos, Gerüche von frisch gebackenem Brot und Zitronen, aber auch Hitze prägen das Bild der Stadt. Amirali Ghasemi, der Besitzer des „New Media Society“ Project-Space, der im Bereich Gentrifizierung forscht, beschreibt Tehran in einem Gespräch mit mir als „nicht authentisch und geprägt von Beton-Mafias, die Baustellen, aber keine Häuser bauen“, trotzdem kehrt in mir genau hier eine beruhigende Stille ein.

meer mit pferd, iran

Gersin Livia Paya

Viele Wochen habe ich auf Perserteppichen auf dem Boden geschlafen und mein Rückgrat wurde symbolisch stärker als zuvor.

Aufzuwachen und den Tee zu riechen, mit dem ich so viel Familiengefühl verbinde. Barfuß auf dem Teppich zu gehen, auf dem ich schlafe und esse, fühlt sich wie ein angefangenes Buch an, das ich endlich zu Ende lesen kann. Ich spüre, was ich tue. Und ich spüre die Seele des Iran, leider aber auch den Schmerz und die Probleme der Menschen.

Ein Ort, an dem eine einschneidende Revolution bis heute alles verändert hat. Trotz der Ruhe bin ich ob meiner Eindrücke zwiegespalten. Der Iran ist das gastfreundlichste Land, das ich je bereist habe, hier wird so viel gegeben. Ganz im Kontrast zum repressiven Regime, das für eine Hypokrisie in der Gesellschaft sorgt. „Die zwei Gesichter des Iran“: zum einen das der Menschen in der teilweise streng überwachten Öffentlichkeit und zum anderen das in ihren eigenen vier Wänden. Eine junge Frau in einem Café in Downtown Tehran erklärte mir, „dass die PerserInnen die größten SchauspielerInnen sind“, zumindest der Teil der Gesellschaft, der den Glauben der Regierung nur befolgt aber nicht für wahrhaftig hält.

Frauen in Tehran die auf der Straße Schmuck verkaufen, Punks.

Gersin Livia Paya

Meine erste Nachricht aus dem Iran - an meine Eltern:

[21:06, 10/20/2017] Ich schlafe ein, in einem Land, in dem die Luft wie ein warmer Föhn ins Zimmer weht, ich wache auf durch das Gebet, das durch den südlichen Teil der Stadt tönt, und schlafe wieder ein.

Bis die iranische Mutter mich wachklopft. Ich dusche mich ausgiebig und probiere das Knoblauch-Shampoo, es riecht nicht nach Knoblach und es fühlt sich gut an. Ich sitze auf dem Boden, ein kleines Tuch schützt die Teller, die mit frischen Gurken, Tomaten, Ziegenkäse und Walnüssen belegt sind. Der Samowar kocht auf dem Herd und der frische Schwarztee (Chai) duftet durch die Wohnung. Ich schlafe noch. Gestern sagte der Mann der Khale (Tante), Ali, zu mir, dass es sich so anfühlt, als wäre ich schon immer da gewesen, das war das bisher schönste Kompliment für mich. Weil es sich für mich auch so anfühlt. Als wäre ich schon immer hier, aber eigentlich nie da gewesen.

Alles passiert so selbstverständlich, der Umgang mit den Menschen, die Art zu reden, die Art Dinge zu tun, die Zeit, die man sich im Orient lässt. Die Uhren sind hier anders, Kinder spielen zeitlos, auch um 4 Uhr morgens siehst du Kinder auf Fahrrädern auf Straßen. Wenn es heißt, wir gehen jetzt zum Fischbazar, dann lege ich mich noch hin und schreibe diese Nachricht... Tag 3 - in meiner anderen Welt.

Alles Liebe, Gersin

Mehr als die Hälfte der PerserInnen ist unter 35 Jahre alt, hat Instagram und sieht die freizügige Welt der Europäer. Viele junge Menschen, wie zum Beispiel Niki Yaghmaee, der 24-jährige Komponist, sehnen sich - wie die meisten anderen jungen Menschen, ganz gleich wo - nach Reisen und Erlebnissen. Niki Yaghmaee bemüht sich um ein weiteres Studium der Medienmusik in Berlin.

Violine und Komposition hat er bereits studiert, inzwischen absolviert er den vorgeschriebenen Militärdienst und komponiert Musik für die Armee. Er ist einer von vielen Talenten, die ich während eines Musik-Workshops des österreichischen Musikers und Produzenten Wolfgang Schlögl in Teheran kennengelernt habe. Auch junge Frauen, die öffentlich singen, eigentlich etwas, das laut Gesetz nicht erlaubt ist.

Das Land ist im Umbruch, die junge Generation riskiert.

Sätze wie „it is getting better, there is a change“ werden mir entgegnet. Eine Tatsache, die ich im wohlhabenden Norden der Hauptstadt spüre. Die Kopftücher (Hijab) liegen weit hinten, viel Haar ist zu sehen, die Menschen sind modisch und bunt gekleidet, das Stadtbild ist sauber, grün und mondän.

junger mann, der aus dem auto steigt, tehran

Gersin Livia Paya

Der Süden zeigt sich in verwinkelten Gassen, kleinen Häusern, wenig Farbe, kaum Grün und die Bewegung der Menschen wirkt heimlich. Und wieder sind da die zwei Gesichter.

Die Gesichter, die den jungen Menschen des Iran nicht mehr genügen. Denn in einem Gefängnis fühlt man sich nicht frei.

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