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Destroyer

Fabiola Carranza

I was a dreamer, watch me leave

„ken“ heißt das neue Album von Destroyer. Es ist ein verschlüsseltes, zeitloses und selten schönes Gedicht.

Von Lisa Schneider

„I’m a dreamer, watch me leave“. Das sind die letzten Worte im unlängst veröffentlichten, brass- und elektronisch geschwängerten „Tinseltown Swimming in Blood“, über das sich auch schon Philipp L’Heritier seine Gedanken gemacht hat.

Tinseltown, das ist die Schand- und Schundfabrik Hollywood, wo alles glitzert, aber nichts wirklich für immer glänzt. „Tinseltown“ ist ein sehr altes Wort, und es ist ein spannendes Wort für einen Songtitel. Dan Bejar, der seit zwei Jahrzehnten schon hinter dem Projekt Destroyer steht, geht es dabei wie eigentlich immer weniger um die Tradition, einen weiteren Tinseltown-Song zu schreiben (ja, tatsächlich, es gibt derer mehr), als vielmehr darum, einfach zu tun, worauf er Lust hat. Er hört hier eine Note, dort ein Wort. Und die Gedanken kreisen.

Das Schreiben ist bei ihm ein meist unbewusst sich vorbereitender Prozess, er denkt oft nicht klar mit, beziehungsweise sind ihm seine Gedanken selbst einen Schritt voraus. Die Wörter, die auch auf „ken“ dahinperlen wie ein dunkler stream of consciousness, sie passen zur Idee vom Wort, das den Rhythmus vorgibt.

Introspektion geht eben nur alleine

Und trotzdem ist „ken“ anders. Erstmals hat sich Dan Bejar in die Hände eines Produzenten begeben, nämlich Josh Wells, der für Destroyer auch seit 2012 am Schlagzeug sitzt. Und außerdem verzichtet „ken“ auf die Banddynamik, den instrumentalen Pomp von „Poison Season“. Es geht in seiner dezenten Zurückhaltung und den umso feineren Details mehr noch einen Schritt weiter zurück, ins Jahr 2011 und zu einem der größten Erfolge „Kaputt“. „ken“ ist aber anders als dieses ein noch viel düsterer klaustrophobisches Album geworden, das Grundgerüst alles Songs ist einfach, ist Dan Bejar und seine Gitarre.

Er wollte sich „die Hände endlich wieder schmutzig machen“. Die Gitarre hat er jahrelang zur Seite gelegt, jetzt spielte er sich wieder warm. Im Nachhinein ist also auch verständlich, wieso er keine Zeit hatte, am neuen Album von The New Pornographers mitzuarbeiten, der Band, in der er ebenfalls seit bald zwei Jahrzehnten mitwirkt.

Auf einer Solo-Akustiktour hat Dan Bejar erstmals neue Songs vor fremdem Publikum gespielt, um die Reaktionen einzuschätzen und abzuwägen. Es ist eine seltsame Vorstellung, den Zauselkopf und -bart Bejar um die Zustimmung seiner ZuhörerInnen bitten zu sehen. Ein Künstler, der in seiner seltsamen Kunst so außen steht, im Interview dann aber so wirkt, als würde man sich seit 10 Jahren täglich am Briefkasten begegnen.

Destroyer

Fabiola Carranza

Die oft sehr introvertiert geschriebenen Songs werden schon rein optisch abgedämpft: Wie ein kanadischer José Gonzalez sieht er aus, die Locken ungebändigt seit eh und je. Und die sind auch einer der vielen Gründe für seine Verbundenheit mit The Jesus And Mary Chain: eine Frisur, die nicht zum New Wave passt. Und die den New Wave im gleichen Atemzug noch viel süßer klingen lässt.

Von unveränderten Inspirationsquellen

Es sind The Jesus And Mary Chain, aber genauso The Smiths, The Cure, New Order (vor allem die Postpunk-Anleihe „In The Morning“, oder auch „La Regle Du Jeu“). David Bowie, auch in frühen Zeiten. Die Bands, die den jungen Dan Bejar, geboren 1972 in British Columbia, als Teenager zum Musikschwärmen bewegen. Vorerst natürlich nur als Zuhörer, als Aufsauger. Es war die Ära unter der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, in der Dan Bejar beginnt, voll in die Musik des damaligen UK hineinzukippen. „I’m always thinking about a specific place, or time, or cultural climate that form the songs that are written, looking back at that time, that was maybe the most formative time for me in a lot of ways. Seeing what the ideas were that were rolling around. It’s considered a very dark time; to say that you take inspiration from it maybe isn’t the right word, but it’s an era that affected me.“

Kitchen Sink Realism

Und aus noch früheren Zeiten kommt der „Kitchen Sink Realism“, eine britische Kulturbewegung, beginnend in den 50er Jahren, die die Texte von unter anderem The Smiths sehr beeinflusst hat. Mit einer Art sozialem Realismus, einer Abneigung gegen die moderne Gesellschaft und einem Einstehen für die englische Arbeiterklasse schrieben sie Romane, Theaterstücke, Drehbücher. Dan Bejar beruft sich nicht direkt auf diese Bewegung, weil er sie, wie er sagt, selbst nur durch Kunst, sprich aus zweiter Hand, kennengelernt hat. Und trotzdem, erzählt er, „‚ken‘ seemed to be a word that one of those novellists would use, at least in my mind“.

Jahre später, nämlich jetzt, katapultieren sich Teile dieser früh inhalierten, britischen Jugend- und Musikkultur wieder eigenständig ins Bejar’sche Bewusstsein: „ken“ klingt an manchen Stellen elektronischer als erwartet, vor allem aber stark nach Bands wie The Cure. So zum Beispiel „Cover From The Sun“, das gleichzeitig das wohl Nächste an einem Happy-Poprocksong ist, was man von Destroyer in Zukunft wird erwarten dürfen.

Keine Geschichten, auch nicht von der Liebe

Dan Bejar erzählt außerdem nicht von der Liebe, zumindest tut er das nicht direkt. Auch wenn The Smiths die größten Wortschmiede in 80er-Jahre-UK waren, waren für Dan, als er mit ihnen musikalisch aufwuchs, die Texte nur sekundär. Es hat sich erst sehr spät entwickelt, dass die Texte sich losgelöst haben, begonnen haben, auch für ihn als jungen Hörer, ihr eigenes Leben zu leben.

Etwas davon ist auf „ken“ zurückgekehrt. Dan Bejar erzählt im Interview, er wollte Songs schreiben, bei denen er wusste, er kann auf etwas aufbauen. Eben nicht nur, wie man es so oft bei ihm gewohnt war, die Wörter den Rhythmus, tap tap tap tap, vorgeben lassen. Sondern umgekehrt. In diesem Sinn ist „ken“ ein außergewöhnlich zugängliches Album geworden, auf dem die früher so gepflegte Fuzziness und Zerfranstheit der Melodie gewichen ist.

Nur eines, das macht Dan Bejar nicht, er erzählt keine Geschichten. „ken“ ist kein Album über etwas. Der Titel ist von einem Suede-Stück geborgt, das ehemals „ken“ geheißen hat, dann aber in „The Wild Ones“ umgetauft wurde. Eine der größten Balladen der letzten 100 Jahre, wenn es nach Dan Bejar geht. Das Album hat weiter aber nichts mit dem musikalischen Erbe von Suede zu tun.

Cover "ken" von Destroyer

Merge Records

„ken“ von Destroyer erscheint via Merge Records.

Es ist die Bejar-Masche: Assoziationen hervorrufen, Puzzleteile zusammensetzen, wie sie nur für ihn Sinn machen, und eigentlich auch wieder nicht. Die Texte sind einer verworrenen, kryptischen Lyrik nicht unähnlich, es sind Fetzen, Situationen, Gefühle. Es ist Musik, die man spürt, die man nicht interpretiert.

Should’ve seen it coming
Should’ve taken care
Should’ve tried pretending that anything was there

Dan Bejar kann nicht genau erklären, wieso „ken“ für ihn ein so erschlagend treffender Titel war. In schottischem Slang bedeutet ken so viel wie to know. Den Rest darf man sich, ganz Destroyer-alike, selbst dazudenken.

The most goth album

Dan Bejar sagt, er empfindet „ken“ als „the most goth album I’ve ever done“. Dunkel summende Synthesizer, die ein für Destroyer ganz neues Gefühl erzeugen, das Luftige weicht dem Harten, Perkussiven. Goth, so wie ihn Destroyer eben spielen würde, wo der Teufel im Detail steckt, diese schlagende, durchlaufend stampfende Trommel, die einsame Trompete. Gothrock ist im besten Fall theatralisch, und das honoriert „ken“ auf dezente Art.

„How was the wine?“

Es sind Aufrufe zum Exzess, zurückgehalten und gefiltert nur von Alter und Erfahrung. Man hat das Gefühl, je älter Dan Bejar wird, desto zeitloser wird seine Musik. Desto mehr entgeht er den Konventionen, und womöglich selbst gesteckten Zielen. Desto weniger Druck ist da, und desto mehr Spaß kann man sich erlauben.

„The groom’s in the gutter and the bride just pissed herself“ (Sky’s Grey) - bei so eleganter musikalischer Verpackung darf sich die Braut schon mal ins Kleid machen.

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