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Bilder aus dem Film "The Death Of Stalin"

Concorde Filmverleih

Robert Rotifer

Die Menschlichkeit der Monster

Armando Iannucci holt aus den Intrigen rund um den Tod des Josef Stalin weit mehr heraus als bloß eine Sowjet-Chic-Version von „The Thick Of It“.

Von Robert Rotifer

Als ich heute Nachmittag nach „The Death of Stalin“ das Kino verließ und hinaus auf die High Street stolperte, lief ich unkontrolliert in ein paar Passanten rein. Diese blanke Erschütterung, die ich da spürte, hatte mich ziemlich überrumpelt und ins Taumeln gebracht. Wie zu erwarten, waren einige der Medien-Reaktionen, die mir davor untergekommen waren, um die Frage gekreist, ob man über die Verbrechen des Stalinismus auch wirklich lachen dürfe. Ob Armando Iannuccis Film über die letzten Stunden des Monsters Stalin ihm und den Monstern um ihn herum, die sich seine Nachfolge ausmachten, nicht zu viel Menschlichkeit und Humor zugestehe.

Ganz im Gegenteil: Gerade die Menschlichkeit dieser Figuren war es, die die Brutalität ihrer Taten so schockierend machte. Selbst wenn wir es hier offensichtlich mit Cartoon-Versionen ihrer historischen Vorbilder zu tun hatten. Ich muss übrigens gestehen, dass ich die Bandes-Dessinées-Vorlage La Mort de Staline von Thierry Robin und Fabien Nury nicht gelesen oder gesehen hab, aber Iannuccis Bildsprache kann man sich schon gut als Comic vorstellen.

Bilder aus dem Film "The Death Of Stalin"

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Und das ist auch schon die zweite große Überraschung des Films. Wer Iannucci so wie ich als Erfinder und Befüller britischer Fernseh-Comedy-Formate wie Alan Partridge oder „The Thick Of It“ (bzw. derer Kino-Versionen „Alan Partridge: Alpha Papa“ und „In The Loop“) kennt, schätzt ihn als hyper-gewitzten Dialog-Autor, der mit semidokumentarischen Handkameratechniken Realität zu suggerieren versteht, aber wohl weniger als Filmkünstler. Das sollte sich mit „The Death of Stalin“ ändern, denn dieser Film ist alles andere als ein ins Kino gerutschtes Fernsehdrama. Von Stalins Datscha über den Machtkitsch sowjetischer Regierungsgebäude bis zu den Paranoia induzierenden Innenansichten der Wohnblöcke, in denen die Funktionäre hausen, eröffnet sich bzw. umschließt einen da eine Welt, die mich in ihrer abgelebten, ästhetischen Vollkommenheit hin und wieder an Terry Gilliams „Brazil“ - minus Retrofuturismus - erinnerte.

Bilder aus dem Film "The Death Of Stalin"

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Vielleicht auch wegen der Präsenz Michael Palins als Wjatscheslaw Molotow, dessen Interpretation auch ein wenig seiner Rolle in „Brazil“ ähnelt – als Rädchen in einem System, mit dem er sich arrangiert und dem er sich unterordnet, selbst wenn es in sein Ehe- und Privatleben eindringt. Palins Molotow, so wie auch der von Jeffrey Tambor verkörperte Georgi Malenkow (Stalins Nachfolger als Ministerpräsident der UdSSR), ist in seinem Innersten kein Zyniker. Er glaubt auch nach dessen Tod noch an Stalins ultimative Weisheit, verabscheut Fraktionierer und huldigt selbst im Eifer des Komplotts noch dem Kult pseudodemokratischer Einstimmigkeit im Zentralkomitee. Als Einwohner Brexitanniens ortete ich darin zwangsläufig die eine oder andere Parallele zur quasi-religiösen Projektion eines Volkswillens auf die eigene Machtlogik (traurig übrigens, dass eine anglo-französische Koproduktion unter belgischer Beteiligung wie diese, gefilmt in London, Kiew und Moskau, sich post-Brexit kaum mehr, oder nur sehr viel schwerer einfädeln lassen wird).

Bilder aus dem Film "The Death Of Stalin"

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Ohne zu viel vorwegzunehmen: Es ist mit dem Geheimdienstchef Lawrenti Beria (Simon Russell Beale) ausgerechnet der größte Zyniker, der am Ende draufzahlt. Den Weg dahin und die Rolle, die dabei der von Jason Isaacs hypermaskulin dargestellte Marschall Schuckow von der Roten Armee spielt, sind stark verkürzt. Aus Berias letzten acht Monaten wird im Film ein Tag. Aber was für einer. Ohne uns mit konkreten Darstellungen zu besudeln, spielt Iannucci auf die sexuelle Seite von Berias gewalttätigen Machtmissbräuchen an, und in seinen letzten Momenten sind es dann bezeichnenderweise seine sexuellen Verbrechen, aus denen seine Genossen bzw. Kollegen schließlich ihre moralische Überlegenheit ihm gegenüber und ihr daraus folgendes Recht auf seine Vernichtung konstruieren. Iannucci konnte nicht wissen, wie aktuell sich das in Zeiten des Weinstein-Skandals anfühlen würde.

Beeindruckender als Russell Beale ist bloß noch Steve Buscemi als erstaunlich magerer Chruschtschow. Was ihm an Bauchumfang fehlt, macht er durch Mimik, die Breite seines Revers und die Dicke seiner Schuhsohlen wett. Er kommt hier dank seinem Witz und seiner Schläue zwar noch am Besten weg, aber auch seinen Weg pflastern die Leichen der trauernden Massen, die er den Truppen des Geheimdiensts bewusst vor die Flinten treibt.

„The Death of Stalin“, das sollte ich schließlich dazusagen als einer, der mit mütterlicherseits kommunistischen Großeltern und den damit verbundenen innerfamiliären, politischen Zerwürfnissen und schmerzhaften Gewissenskonflikten aufwuchs, ist in all seiner wohlbegründet düsteren Darstellung des stalinistischen Regimes kein plump antikommunistischer Film. Er zeigt das Volk wohl als Opfer des von einer paranoiden Elite verübten, blutigen Terrors, aber auch als dessen ebenso manipulierte wie willige Kompliz_innen, die echte Tränen für denselben Diktator vergießen, den sie zu Lebzeiten täglich fürchten mussten.

Selbst die Pianistin Maria Yudina (gespielt von Olga Kurylenko), die einzige mit Widerstandsgeist beseelte, aufrechte Gestalt des Films, deren Handeln nicht von der ständig in der Luft liegenden Angst erfasst ist, ist bei all ihren Prinzipien nebenbei schon auch ein bisschen korrupt*. Das mag misanthropisch klingen, aber es gibt wie gesagt genügend Empathie für alle Figuren (mit Ausnahme vielleicht von Paul Whitehouse in der Nebenrolle des Anastas Mikojan), um diese politische Intrige als eine persönliche fühlbar zu machen.

Die völlig ohne russische Comedy-Akzente auskommenden britischen und amerikanischen Zungenschläge der Darsteller_innen sorgen für genug Wiedererkennbarkeit, um die Ausflucht in einen sicheren Exotismus zu meiden. Die verkommene angloamerikanische Politik-Welt von „The Thick Of It“ oder „In The Loop“ bleibt immer nur einen kurzen Set- und Kostüm-Design-Sprung entfernt, und man muss nicht viel über die Geschichte der UdSSR wissen, um sich in diesem Plot aus dem Jahre 1953 zurechtzufinden. Jeder Bezug zum Kalten Krieg und der westlichen Parallelwelt der Zeit bleibt völlig ausgespart, und im Sinne der Darstellung einer völlig in sich selbst vertieften Nomenklatura ist das auch gut und richtig so. Wenn nun in russischen Regierungskreisen tatsächlich von einer „geplanten Provokation“ und einem Versuch der Destabilisierung Russlands geredet, ja sogar ein Aufführungsverbot erwogen wird, dann spricht das leider Bände, sowohl über die Unsicherheit der Regierenden als auch über die wachsende, nostalgische Verklärung einer verblichenen Ära und deren Verwandtschaften zur Gegenwart. Insofern ist „The Death of Stalin“ wohl ein unangenehm notwendiger Film.

*
PS zur Rolle der Maria Yudina erreicht mich folgendes Email von Stammleser und Pop- und Film-Privathistoriker Ric aus Wien 6:
„Hallo! Wollte nur anmerken, dass mir Sviatoslav Richter mit grossem Respect (sic) von Maria Yudina erzaehlt hat, mit
der er befreundet war incl. (sic) folgende Geschichte: Als sie einmal einen größeren Geldbeitrag von der KP bekam, schickte sie Stalin einen Brief, in dem sie schrieb, dass sie das Geld an die orthodoxe Kirche weiterleiten würde, mit der Auflage, regelmäßig Seelenmessen für ihn zu lesen. Richter sagte, niemand anderer hat (oder hätte) so etwas gewagt.“

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