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Bunch of Kunst

Viennale

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People on Buses and Sleaford Mods

Am späteren Abend sind nicht nur die Filme auf der Viennale oft die besten, sondern auch die Stimmung. Zu beobachten gab es das bei „Bunch of Kunst“ zum Beispiel, einem Film über die Band Sleaford Mods.

Von Christoph Sepin

Es ist Zeit für den Viennale-Tagebucheintrag Nummer 3. Das ist traditionell der Eintrag, an dem man so richtig angekommen ist am Festival nach der Einstimmung der ersten paar Tage. Nicht nur in Sachen Film oder Atmosphäre, sondern vor allem in den Kinos der Stadt Wien, die zur Viennalezeit immer ein bisschen anders sind als sonst. Wegen den Filmen, die gezeigt werden einerseits, wegen den Zeiten, zu denen die gezeigt werden, andererseits.

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Eine der absoluten Lieblingslocations ist das Stadtkino im Künstlerhaus um 23 Uhr. Am späteren Abend ins Kino Gehen zieht sowieso immer eine besondere Crowd an, die diesjährige Festivalprogrammierung scheint das auszunutzen und es werden Filme gezeigt, die um die Uhrzeit besonders viel Sinn machen.

Sonntage sind so Tage, da verkriechen sich manche Leute gern daheim, frönen dem Kater oder dem Nichtstun, liegen herum, bestellen Pizzen und schauen eher Sachen auf diversen Streamingplattformen an, als sich auf den Weg ins Kino zu machen, der am Tag nach dem großen Fortgehen noch weiter erscheint als sonst.

Wenn an einem Sonntag aber solche Vorzeigefilme wie die großartigst betitelte Doku „Bunch of Kunst“ gezeigt werden, dann ist das ein besonderer Grund, das Haus zu verlassen - auch für die Leute, die in oben genanntes Schema des entschleunigten Daheimchillens fallen. Weil da gab es einen Film zu sehen, der quasi aufzwingt, ein Reparaturgetränk zu schlürfen, sich in die vor allem zu späterer Stunde unbequemen Sessel im Stadtkino sinken zu lassen und sich einfach mal so richtig sonntäglich treiben zu lassen.

They’re not from Sleaford, they’re not mods

„Bunch of Kunst“ heißt mit Untertitel „A film about Sleaford Mods“. Und genau das ist die Doku auch. Als Arbeit der deutschen Filmemacherin Christine Franz wird darin der Band aus Nottingham über drei Jahre gefolgt. Von den Anfängen als Pausenunterhaltung in den Pubs der Region über Clubtourneen durch ganz Europa bis zu den großen Festivals und hin zur Bühne des Glastonbury Festivals. Und dann - um den Kreis zu schließen - wieder zurück nach Nottingham.

Sie seien Söhne der Stadt Nottingham, so schreit Vokalist Jason Williamson einmal bei einem Konzert der Band in ihrer Hometown von der Bühne. Die Stadt habe sie geboren und zu dem gemacht, was sie sind. Zuerst Außenseiter, dann Leute, die einfach ihr Ding durchgezogen haben und schließlich die Band, die in ganz Großbritannien auf der Seite von Autobussen beworben wird, wenn sie mal ein neues Album released.

Bunch of Kunst

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Musikdokus sind prinzipiell immer was besonders Schönes, werden das aber viel mehr, wenn sie als Sprungbrett verwendet werden, um damit was viel Größeres näherzubringen. Im Gedächtnis bleibt ewig ein Film, der vor ein paar Jahren auf der Viennale gezeigt wurde: „Pulp: A Film About Life, Death and Supermarkets“ aus dem Jahr 2014, der die Story der Gruppe um Jarvis Cocker nur als Vorwand nimmt, um eine viel spannendere Geschichte über die Stadt Sheffield und ihre Einwohner zu erzählen.

Ganz so extrem driftet „Bunch of Kunst - A film about Sleaford Mods“ nicht von seiner zentralen Band ab. Trotzdem werden darin Themen bearbeitet, die viel größer sind als die Fabel um zwei vierzigjährige, weiße Männer, die auf einmal Erfolg im Musikbusiness haben und gezwungen sind, sich damit auseinanderzusetzen.

Vielmehr greift Christine Franz in ihrer Doku das Thema Frustration, Isolation und Außenseitertum auf. Auch wenn die Sleaford Mods das nicht mehr so gerne hören - was von Sänger Jason Williamson auch mal im Film so ausgesprochen wird - für viele ihrer Fans, die in „Bunch of Kunst“ zu Wort kommen, sind sie die Stimme einer stummen Gesellschaftsschicht.

Sleaford Mods nehmen die ganze Wut, die Enttäuschungen, die Hoffnungslosigkeit der englischen Working Class und machen daraus kraftvolle, brachiale Songs. Und kriegen Emotionen und Dankbarkeit aus dem Publikum dementsprechend zurück. Das alles mit einer Kamera aufzufangen ist nicht einfach - Christine Franz gelingt das aber fast schon zu problemlos.

Bunch of Kunst

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Die Selbstbeweihräucherung der Musikindustrie, die Ruhe vor dem Sturm im Backstagebereich des großen Festivals, die künstlerischen Selbstzweifel und die Auslieferung gegenüber dem Publikum, das irgendwann so viel Bedeutung in die Texte und die Musik der Band reinsteckt, dass es die Sleaford Mods schon selbst fast nicht mehr verstehen - das alles verpackt „Bunch of Kunst“ kurzweilig und gleichzeitig kompromisslos in ein Ding. Womit der Film sich problemlos in den Club der richtig guten Musikdokus einreihen kann. Und als ob das alles nicht genug ist, taucht Großmeister Iggy Pop dann auch noch darin auf, so, als wär das nichts. Hat sich wieder ausgezahlt, so spät ins Kino zu gehen.

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