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Der erste bulgarische Facebookbetrüger

Ivan arbeitet in einer Bank. Oder in einer Versicherungsfirma. Oder in der Marketingabteilung eines IT-Giganten. Oder im Supermarkt nebenan.

Von Todor Ovtcharov

Jeder Tag von Ivan verläuft gleich. Er zieht die gleichen Kleider an. Er trifft die gleichen Menschen. Er fährt mit der gleichen U-Bahn-Linie. Er steigt bei der gleichen Station aus. Er geht ins gleiche Fitnessstudio. Er schaut die gleichen Sendungen im Fernsehen. Er erzählt die gleichen Witze. Er fährt am gleichen Ort auf Urlaub. Sagen wir es ehrlich: Das Leben von Ivan, Johannes, John, Giovanni und Juan, man kann ihn nennen, wie man will, ist nicht das spannendste und interessanteste. Ein ganz gewöhnliches Leben. Doch auf Facebook schaut das Leben von Ivan ganz anders aus.

Pizzaofen und Pizzabäcker

Ines Hegedus-Garcia

Flickr / CC BY 2.0

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Er hat sein Abendessen in der Pizzeria nebenan so fotografiert, dass es wie eine Mahlzeit in einem noblen Restaurant aussieht. Die banale Wochenendsauferei kommt uns wie eine Riesenparty vor. Er hat seine verhasste Verwandte aus seinem Geburtsort beim Riesenrad fotografiert und auf dem Foto sieht es so aus, als ob alle ein Riesenspaß haben. Seine Facebookfreunde geben ihm unzählige Likes und Ivan (Johannes, John, Giovanni oder Juan) antwortet mit klugen Kommentaren. In den Augen seiner Facebookfreunde hören sich seine Kommentare wie intelligente, politische und philosophischen Essays an. Im Netz ist Ivan, was er im echten Leben nie sein wird. Er mag sich selbst auf Facebook mehr. Der andere Ivan interessiert ihn nicht.

Neulich kam es in meinem Geburtsland Bulgarien zu einem Skandal mit einem riesigen Medienecho. Der Held dabei war ein junger Mensch, der ein falsches Facebookprofil erstellt hatte. Dieses Profil war voll von Fotos aus exotischen Destinationen, spannenden Abenteuern und philosophisch-politischen Gedanken. Der Mann behauptete, er lebe in Paris und arbeite für eine große Fluggesellschaft. Seine Fotos aus London oder Rio schienen das zu bestätigen.

Sein Facebookleben hat viele Menschen überzeugt, ihm zu glauben, ohne ihn zu kennen oder je persönlich getroffen zu haben. Sie überweisen ihm Geld, wofür er ihnen billige Flugzeugtickets verspricht. Nachdem sie die Tickets nicht erhalten, fangen sie an, ihn außerhalb von Facebook zu suchen. Sie begreifen, dass sie betrogen wurden. Es stellt sich heraus, dass der junge Mann ganz anders aussieht und heißt und nicht in Paris, sondern bei seiner Mutter in einem kleinen bulgarischen Dorf wohnt. Vor Gericht behauptet er, dass der ganze Betrug ihm wie ein Computerrollenspiel vorkam. Er habe selbst irgendwann geglaubt, er sei die Person in seinem Facebookprofil.

Als er mit seinem echten Gesicht vor Gericht steht, ärgern sich die Menschen, die ihm geglaubt haben, er wäre ein cooler Typ aus Paris. Sie fühlen sich nicht so sehr um das Geld betrogen. Nein. Sie sind wütend, weil ihre Illusion zusammenbricht. Er hat sein schönes Profil erstellt und sie haben es in ihren Köpfen verfeinert. Bis vor einem Moment wusste er, dass er ein Betrüger ist, danach glaubte er selbst, derjenige auf Facebook zu sein. Warum sollten seine Opfer nicht daran glauben?

Sie tun mir alle leid. Alle Leute, die in einer gefaketen Realität leben. Sogar der Betrüger tat mir leid. Er ist einer von uns. Er ist unter uns. Schaut euch um. Und jetzt schaut in den Spiegel.

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