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Popcaan

Patrick Wally

Endorphine und Gänsehaut

Die Gorillaz funktionieren wie ein trojanisches Pferd. Sie schmuggeln Themen und Probleme in die Arena des Bewusstseins, mit denen sich Menschen sonst tunlichst nicht beschäftigen. Gestern haben sie zum ersten Mal in Wien gespielt.

Von Natalie Brunner

Gestern spielten die - seit fast zwei Dekaden gemeinsam durch die Welt ziehenden - Gorillaz ihr erstes Österreich-Konzert in der Wiener Stadthalle.

Hinter den Gorillaz stehen Comiczeichner Jamie Hewlett und Blur-Sänger Damon Albarn, die sich vor 20 Jahren eine Wohnung geteilt haben und denen beim MTV schauen und lästern über die Zweidimensionalität von Popstars die Idee zu der Band gekommen ist.

Es war eine freundliche Übernahme gestern in der Stadthalle, das Konzert der Gorillaz hat meine Wahrnehmung auf die Band und ihr Werk vollkommen geändert. Bisher war meine Aufmerksamkeit auf die Comicband gerichtet und es war erfreulich, dass die Musik, die dabei rauskommt, durchaus hörbar ist - was ja auch nicht so schwer ist, wenn man Damon Albarn ist, unendlich talentiert, mit ganz gutem Budget und besten Verbindungen ausgestattet.

Als das aktuelle Album „Humanz“ im April dieses Jahres veröffentlicht wurde, bat Albarn zu Interview-Audienzen, um das Werk der vier virtuellen Musikerinnen aus seiner Sicht zu besprechen bzw. die Frage zu klären, ob im Jahr 2017 virtuelle Popstars möglicherweise die realeren und menschlicheren sind.

Ich habe so ziemlich alles, was er bei diesem Interview erzählt hat, falsch oder missverstanden, da ich noch kein Konzert gesehen habe. Jetzt verstehe ich, was Albarn im Interview meint, wenn er davon spricht, dass die Gorillaz durch die Kunst des Delegierens, durch die Kunst des Loslassens leben. Es ist mir klarer, was er meint, dass die Band Gorillaz funktioniert wie ein trojanisches Pferd. Sie schmuggeln Themen und Probleme in die Arena des Bewusstseins, mit denen sich Menschen sonst tunlichst nicht beschäftigen.

Gorillaz-Konzert

Patrick Wally

Gestern beim ersten Konzert der Gorillaz, das ich gesehen habe, hat sich meine Konzeption, was das eigentlich ist, ein Projekt, eine Band, gedreht.

Die Gorillaz sind eine unglaublich gute Liveband, die die Videoprojektionen, die zugespielten Gastvocalisten und das Narrativ der Comicband eigentlich nicht braucht. Die Gorillaz sind keine Studioband, die technologisch aufgerüstete Alibikonzerte spielt, wie ich bisher fälschlicherweise angenommen habe. Es ist eine großartige Liveband, die elegant die Genres wechselt. Albarn führt als Musiker, Showmaster und Sänger durch den Abend und ist der glücklichste Mensch der Welt, wenn er mit MCs auf der Bühne stehen darf. Die Notizen des gestrigen Abends lesen sich wie die Epiphanie eines Charles-Dickens-Charakters aus dem Jahr 2017:

20.50 Warum sind alle immer so aufgeregt, wenn sie zu „großen Konzerten“ gehen? Mit zwölftausend anderen in einer Betonhalle stehen, um einen einzigartigen musikalischen Gemeinschaftsmoment zu erleben?

20.55 Ah die spielen schon, das „Hallo“ vom Band ist ein Intro. Merkt man gar nicht am anderen Ende der Halle. Bin völlig unemphatisch. Gorillaz 2017 ist wie „Wetten, dass..?“, schon gut, aber irgendwie kicken Hologramme und virtuelle Popstars mich nicht so.

21.05 Last Living Souls. Ist Damon das Ganze auch so wurscht wie mir? Seinem Gesichtsausdruck auf der Großbildleinwand nach: ja.

21.07 Wie süß, Eltern, die sich mit ihren Kindern in die erste Reihe geboxt haben. Und wie vorbildlich: Die Kleinen tragen Schutzkopfhörer. Warum hab ich so was nicht auf?

21.15 Damon Albarn ist der sympathischste aller Popstars, steht da in seiner Carharrt-Blue-Collar-inspirierten Panier, die er immer anhat, und man nimmt ihn das echt ab, dass er sich abrackert, um für uns eine unterhaltsamen Abend zu gestalten.

Popcaan

Patrick Wally

21.20 Saturn Barz. Popcaan ist vom Band Hologram, was auch immer auf jeden Fall nicht live und der Backgroundchor darf Halloween-mäßig whoooo whooo machen. Albarn singt durch 2D-Vocoder im Chorus mit, eigentlich großartig, auf wie viel Ebenen die Nummer und die Idee des Spukes umgesetzt wird.
Nach fünf Nummern habe ich akzeptiert: Gorillaz live brauchen das Narrativ der virtuellen Band nicht.

Hui ist das schön, wenn Damon Albarn Harmonica spielt und wie sehr sich die Menschen freuen, die Melodie von „Tomorrow comes Today“ zu hören. Damon Albarn ist die ganze Zeit voll ausgeleuchtet, gnadenlos ausgeleuchtet. Man muss unglaublich gut sein als Musiker und Performer sein, wenn man im gleißenden Lichte auftreten kann.

Uhh ohh, jetzt singt Damon im Duett mit seinem Comic alias 2D, interessante Idee. Der Chor ist grandios. Ist das Gänsehaut, die mir bei „Up on Melancholy Hill“ den Rücken hinunterläuft. Ja, das ist vertonte Sehnsucht und Melancholie, die auch ich spüre.

Uh oh, Gäste in Fleisch und Blut ist das Zebra Katz, der die düsterste Gorillaz-Nummer rappt. „Sex Murder Party“. Kreischende und nach ihm grapschende Damen im Teenageralter sind wohl nicht das gewohnte Publikum des Queer Rappers mit der Latex-Fetish-Maske. Vom Performeum der Festwochen auf die Bühne der Stadthalle schnell kann es gehen.

Uhh ahh, ich traue meinen Augen nicht, sind das De la Soul? Gut für uns, dass die nix Besseres zu tun haben, als mit den Gorillaz zwei Nummern in Wien zu spielen. Little Simz noch mal? Was ist das für eine Grime-Nummer kenn ich gar nicht, arg! Merken: „Garage Palace“. Premiere, Premiere. Wie glücklich Damon Albarn aussieht, wenn er Gitarre spielt und Little Simz dazu rappt.

Gorillaz

Patrick Wally

„Kids with Guns“, das ist jetzt sicher das Bombastfinale, nach dem wir noch ganz schummrig nach Hause geschickt werden. Es war ein schöner und erfüllter Abend!

Was, noch eine Nummer? „We got the Power“. Jenny Beth von den Savages sieht sogar als Videoprojektion gut und nach Riot aus. Jetzt ist aber aus.

Was noch mal Hits? Stylo und schon wieder Gänsehaut. De la Soul rappen live und Bobby Womack über die fette Anlage in der Stadthalle zu hören, verursacht schon wieder Gänsehaut.

Ob er wohl aus dem Afterlife die Tour mitverfolgt? „Feel Good“ jetzt hüpfen alle und machen einen „Ich fuchtel mit den Armen, weil ich glücklich bin“-Ausdruckstanz. 12.000 Menschen dazu zu bringen, sich zu bewegen wie Dreijährige im Zuckerrausch, das ist eine Höchstleistung der Endorphinproduktion.

Ich geh jetzt, bevor das Mitsingen losgeht, die Publikumschöre zum Abschied erspar ich mir. Zu spät! „Clint Eastwood“! Oh, auch da schwingt ein Zauber mit, das ist nicht das übliche Gegröle, sondern klingt wie ein perfekt von Albarn orchestrierter Kinderchor. Wie zauberhaft. Ich darf nicht vergessen, beim Rausgehen einen der Gorillaz-Souvenirbecher, den irgendwer irgendwo abgestellt hat, zu klauen.

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