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MARC CARNAL

Kritik am fingierten Unwissen

Die doppelt unterstrichene Behauptung, etwas nicht zu wissen, sich mit etwas nicht zu beschäftigen oder jemanden nicht zu kennen, ist meistens eine plumpe Taktik, um vom Gegenteil abzulenken.

Von Marc Carnal

Werden Autoren, Regisseure oder Schauspieler auf Kritiken angesprochen, behaupten sie oft, “das alles schon längst nicht mehr” zu lesen. Es würde sie zu sehr beeinflussen oder ärgern, lautet die Begründung, sie würden ihre Werke ja nicht für Kritiker herstellen, sondern diese vor allem für das geneigte Publikum in die Kulturgüter-Pipeline jagen.

Diese Instant-Reaktion wird zumeist mit Stolz vorgetragen, als wäre die Beschäftigung mit der Rezeption des eigenen Schaffens schändlich.

Zumeist ist sie jedenfalls gelogen.

Namen könnte ich nennen, große und weniger große, die “Never google yourself” predigen und sich im selben Atemzug darüber ereifern, was „irgendein Arschloch“ über sie geschrieben hat. Doch nenne ich die Namen nicht, denn das Leaken war nie meins. Lieber die eigene Fußmatte ausbeuteln!

Ich google mich regelmäßig selbst und lese jede Regionalzeitungs-Randnotiz über meine Bücher mehrfach, um mich im Bedarfsfall ausgiebig darüber zu ärgern. Na und? Warum sollte ich mich für einen Text aus fremder Feder, in dem es um MICH geht, weniger interessieren als für einen Text über beispielsweise Serge Falck?

Permanent zu betonen, Sekundärliteratur zu meiner Person sei mir schnurz, wäre mir wesentlich peinlicher als das Geständnis, dass es mir aber sowas von überhaupt nicht egal ist, was andere über mich denken, sagen oder schreiben.

Wenn ich mich selbst google, stoße ich regelmäßig auf die empfehlenswerte Website carnal.at, wo ich mich dann ausgiebig über mein eigenes Schaffen informiere.

Bin ich eitel?

Ja!

Auf jeden Fall zu eitel, um mit fingiertem Unwissen hausieren zu gehen, denn es würde meine Eitelkeit kränken, dabei durchschaut zu werden.

Fingiertes Unwissen hat viele Gesichter:

Kürzlich saß ich im Rahmen eines Theaterprojekts in einer recht großen Runde, deren Altersspanne von Anfang zwanzig bis Mitte vierzig reichte. Man stand vor der Aufgabe, ein fingiertes Tinder-Profil und Screenshots daraus zu erstellen. An sich keine Mammutaufgabe. Doch kaum lag das Smartphone am Besprechungstisch, sahen sich alle Beteiligten veranlasst, wortreich zu betonen, sie hätten wirklich kei-ner-lei Ahnung, wie Tinder funktioniere.

“Kennt sich irgendwer da aus?”, schallte es von links, “NEIN, sorry, aber da müssen wir wen fragen, der sich da auskennt!”, schallte es von rechts zurück, und schon wurde das Smartphone kollektiv angestarrt, weil kein einziger der mehrheitlichen Digital Natives die Chuzpe hatte, durch die Bedienung der wirklich deppeneinfachen App anzudeuten, eigene Tinder-Erfahrungen vorweisen zu können.

Ein noch eindrücklicheres Beispiel für fingiertes Unwissen durfte ich selten erleben!

Es entstand aus einem ähnlichen Reflex wie jenem, der Vea Kaiser ereilte, als sie in “Madonna” auf die Frage “Wie gehen Sie generell mit Kritik um? Lesen Sie die?” antwortete:

“Ich lese keine einzige. Mich interessiert weitaus mehr, was meine Leser sagen.”

Wer ist bitte Vea Kaiser? Muss man die kennen?!

Nein! Das StGB kennt keinen Paragraphen, der die Kenntnis von Autorinnen vorschreibt.

Die bereitwillig preisgegebene Bekenntnis, jemanden nicht zu kennen, ist jedoch die häufigste Erscheinungsform von fingiertem Unwissen in Online-Foren.

Wird darüber berichtet, dass beispielsweise Serge Falck am Rande einer Charity-Gala regierungskritische Worte geäußert hat, fragen unter Garantie hämische Privat-Kommentatoren, wer das denn sei und ob man den kennen müsse. Unnötig zu betonen, dass es natürlich mit weniger Mühe verbunden ist, einen Namen zu googeln, als hinfällige Kommentare zu verfassen.

Der scheinbar unwissende Poster möchte mit seiner Frage betonen, dass er eine Person für entbehrlich hält und wirklich besseres zu tun hat, als sich mit einer derart niederen Existenz auseinanderzusetzen. Dass sein doofer “Wer soll das bitte sein?”-Kommentar im Widerspruch zu dieser impliziten Behauptung steht, entgeht ihm dabei offensichtlich.

„Ich kenn diesen Serge Falck aber wirklich nicht! Ich schau ja schon seit Jahren nicht mehr fern!“

Jaja! Genau jene, die bei jeder Gelegenheit lauthals betonen, schon längst nicht mehr fernzusehen, wissen dann zehn Minuten später meist erstaunlich gut über das Fernsehprogramm Bescheid.

„Big Mac? Ähm... Sorry, da musst du mir leider kurz auf die Sprünge helfen. Was genau soll das sein?!“

Jaja! So klingt das klassische fingierte Unwissen von ehrenamtlichen Ernährungsberatern, die tagsüber Glutenfreiheit predigen, um sich nachts heimlich bei McDonald’s den Wanst vollzuschlagen.

Die doppelt unterstrichene Behauptung, etwas nicht zu wissen, sich mit etwas nicht zu beschäftigen oder jemanden nicht zu kennen, ist in den allermeisten Fällen eine durchschaubare, plumpe Taktik, um vom Gegenteil abzulenken.

Abschließend möchte ich noch nachdrücklich betonen, dass ich Pornos abstoßend finde und konsequent darauf verzichte, derlei verabscheuenswürdigen Fleischfilme zu streamen. Ich wüsste nicht mal, wo ich welche finde!

Noch Fragen?

Die einzige Frage, die jetzt noch offen sein dürfte, ist jene, ob man Serge Falck denn nun kennen muss oder nicht. Ich bin so frei, sie unbeantwortet im Raum stehen zu lassen.

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