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Ondrusova

Musikjournalismus

Der Alltag von Musikjournalistinnen

Über Respekt, Gespräche auf Augenhöhe und #metoo

Von Susi Ondrusova

Viele sind von den Diskussionen der letzten Wochen schon genervt. Was ist #metoo und was ist es nicht. Es wird viel diskutiert. Über sexuelle Annäherungen und Gewalt. Über weibliche Selbstermächtigung. Über Macht und deren Missbrauch. Über Grenzen und Kleidung. Was die #metoo-Debatte in den letzten Tagen und Wochen gezeigt hat: ein respektvolles Miteinander bedeutet immer, sich auf Augenhöhe zu treffen. Auch im Musikjournalismus ist der Weg dorthin noch ein langer.

Nein, hier werdet ihr nicht von Bands lesen, die sich an Kolleginnen vergreifen. Ihr werdet hier auch nicht davon lesen, wie sexistisch der Musikjournalismus sein kann, wenn bei einer Gig-Review mehr über die Kleidung als über das Können der Musikerin geschrieben wird. Wenn verniedlichende Worte à la Elfe als Bezeichnung verwendet werden. Oder wenn der Produzent in einer Rezension plötzlich mehr Beachtung findet, als die Musikerin selber. Über diese Probleme im Popjournalismus ist hier zum Frauentag schon einiges geschrieben worden. Wir haben anlässlich der #metoo Debatte unter den Frauen in der FM4-Musikredaktion gefragt, was ihnen in der Branche so passiert ist.

Eine Kollegin erzählt von Kussversuchen, die sie sofort abgewehrt hat und die in einer Entschuldigung enden. Ich höre eine Anekdote von einer runtergelassenen Hose. Und ob ich denn das Gerücht kenne, dass ein Headliner bei einem Festival eine Journalistin gebeten haben soll, sich in der Garderobe erst einmal im Kreis zu drehen, bevor es überhaupt ein Interview gab. Nein, hab ich nicht. Vorstellen kann ich mir alles.

Für viele Bands ist die Zeit des Live-Spielens die einzige „Arbeit“. Alles davor ist Vorglühen und Aufwärmen. Wer stundenlang in einem fensterlosen Backstage-Raum oder in einer Festival-Kabine nichts Sinnvolleres zu Tun hat, als zu Saufen oder sich selbst abzufeiern, wer einfach nicht versteht, dass Musikjournalistinnen keine Groupies sind, der wird bei einem Gespräch scheitern, das sich auf Augenhöhe um die kreative Arbeit des Musikmachens drehen soll. Was für den einen Künstler ein zwischenmenschlicher Spaß, eine Abwechslung ist, wird für die andere Journalistin, die an ihren Zugang beim Schreiben und ihre Deadline denkt, nur eines: Zeitverschwendung.

Das ungute Gefühl, nicht ernst genommen zu werden

Hier ein paar Situationen und Anekdoten von FM4-Kolleginnen:

„Interviews bestehen die meiste Zeit aus Warten. Wenn man nicht alleine wartet, dann überbrückt man das Warten mit Small-Talk mit den jeweiligen Managern. Auf meine Frage wie der Künstler so ist, hör ich dann: ‚Er ist total süß‘. Wir sprechen über bestimmte Lieder und kurz bevor ich endlich in den Interview-Raum gelassen werde, höre ich noch ein ‚Verlieb dich nicht!‘ und muss mich zusammenreißen: Ich liebe meinen Job aber sicher nicht den Musiker!“

„Der Moment, wo ein Künstler im Interview - in der Regel nach der ersten oder zweiten Frage - überrascht ist, dass er eh ‚ordentliche‘ Fragen gestellt bekommt und es nicht nur mit einer naiven Radiostimme zu tun hat: ‚Oh, so you really did listen to the record‘. Wenn man sich stunden- oder tagelang auf ein Gespräch vorbereitet, reicht es auch, sich nicht ernst genommen zu fühlen, wenn man danach um die Handynummer gebeten wird und in der Nacht noch mehrere Nachrichten bekommt - die müssen nicht unbedingt eine Einladung ins Hotelzimmer beinhalten. Es ist zum Glück nicht der Regelfall, aber die Situation, dass ich mich besonders bemühen muss, um in meiner Arbeit ernst genommen zu werden, habe ich schon oft erlebt.“

„Zu den unangenehmsten Dingen im Bereich der Musikberichterstattung zählen Interviews, bei denen das Gegenüber offensichtlich alkoholisiert oder auf anderen Substanzen ist. Bei Festivals oder anderen Situationen nicht ungewöhnlich. Man versucht, die Situation irgendwie durchzustehen und ein paar vernünftige Sätze aus der Person herauszubekommen. Klar, man soll ja auch was hinkriegen. Doch wenn das ganze kippt und auf eine persönliche Ebene übergeht, ist es Zeit, das Interview abzubrechen. Mir selbst ist das einige Male passiert, dass der Musiker (ja, eben doch meist ein Mann) eine ordentliche Menge Alkohol intus hatte. Die Person, an die ich mich besonders ungern erinnere, hat mich zwar nicht körperlich bedrängt, jedoch begonnen, Off Air Dinge zu äußern, die sie überhaupt nichts angehen. Mein Körper, mein Outfit, es war äußerst unangenehm und grenzwertig. Weil es eine Livesituation war, gab es in diesem Moment auch kein Entkommen. Im Gegenteil, besagter Gast hat fleißig weitergetrunken. Irgendwann war die Sendung zum Glück vorbei und ich dachte mir: WTF ist gerade passiert?“

Am meisten höre ich von den FM4 Kolleginnen also von dem „unguten Gefühl“ nicht ernst genommen zu werden. Dabei ist es ganz einfach: Wir flirten nicht, wir machen unsere Arbeit. Es ist 2017. Vielleicht ist es naiv, aber ich hoffe, dass #metoo und die vielen persönlichen Geschichten, die Frauen aller Alters- und Berufsgruppen in den letzten Wochen erzählt haben, einen positiven Effekt auf das zwischenmenschliche Miteinander haben. Ein Anfang wäre, dass Gespräche auf Augenhöhe und nicht auf Dekolletéhöhe stattfinden.

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