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Casper

Franz Reiterer

Ein Heiland, der keiner sein will

Casper und seine herausragende Bühnenshow in der Stadthalle Wien.

Von Lisa Schneider

Dienstag, 14.00. Die Sonne strahlt und es ist bitterkalt. Vor der Wiener Stadthalle sitzen sechs junge Mädchen, bekleidet mit Casper-Hoodies, trinken Tee aus Thermosflaschen, die sie in ihren Casper-Jutebeuteln mitgebracht haben. Sie warten nicht nur noch die kalten fünf Stunden bis zum Einlass um 19.00, sie warten eigentlich schon seit Oktober letzten Jahres, als Casper zuletzt in der Wiener Arena ein ausverkauftes Konzert gespielt hat.

„Lang lebe der Tod“, das Album, das auch der Tour den Namen gibt, ist nach einigen Verschiebungen am 1. September erschienen, die dazugehörige Stadientour wurde von Frühling auf Herbst verschoben. Aber jetzt ist es endlich soweit.

Fatoni

Franz Reiterer

Fatoni unterstützt Casper bei allen Tourterminen, die Wiener Stadthalle macht einen vollen Eindruck, aber das liegt auch daran, dass sie großteils mit Vorhängen über den Sitzrängen abgehängt wurde. Auch etwa nach einem Drittel der Stehkapazitäten hängt abschirmend ein langer, schwarzer Vorhang – da ist Casper etwa den Queens Of The Stone Age, die kürzlich dieselbe Venue bespielt haben, eins voraus. Bei den Queens war die Stadthalle bis hinten offen, Casper verkürzt durch das Abhängen der Halle den Besucherraum. Den in letzter Zeit vielbemängelten Blechdosensound der Wiener Stadthalle hat Casper damit ein wenig vermindert, von der Halbliterbierdose zum eleganten 0,33-Coke, sozusagen.

Projizierter Maschendrahtzaun erscheint und die Streicherklänge des Theme-Songs von „The Magnificent Seven“ ertönen, und ganz pünktlich, kurz vor 20:30, wird es finster. Er ist da, Casper steht auf einer angeschrägten Bühne, hinter ihm eine strahlend weiße Leinwand, er, die Schattenfigur mit der Reibeisenstimme. All das sieht einfach unglaublich gut aus.

Der Heiland, der keiner sein will

„Alles ist erleuchtet“ eröffnet den Abend. Aus dem Schatten seiner Depressionen steigt er wieder auf die Bühne, nachdem er ein Jahr lang pausiert hat. Die Fans lieben ihn wegen seines Rückzugs umso mehr. Man kann sich die Stimmung, steht man nicht mittendrin in der Menge, nur schwer vorstellen. Es wird geweint und geklatscht, geschrien und gesungen, er wird angebetet. Dabei will Ben aka Casper alles andere als ein Heiland sein, ein Wunsch, den er selbst nicht beeinflussen kann. Das wird ihm wahrscheinlich spätestens nach dieser Tour bewusst sein.

Casper

Franz Reiterer

Wie sich die große Bühne anfühlt

„Wenn ich an meine ersten Shows zurückdenke, war da natürlich noch mehr Glitzern in den Augen, noch mehr ‚Was? Ihr seid alle wegen mir hier?‘. Aber ich habe trotzdem immer noch wahnsinniges Lampenfieber vor jeder Show. Es hilft mir sehr, bei dieser Tour jetzt alles so genau durchgeplant zu haben, du weißt einfach, wann was passiert, wann welches Licht angeht, was wann passieren muss.“ Alles ist bis ins Detail durchchoreographiert. Casper muss – genauso wie seine Band (es ist eine Vollbesetzung, mehr noch, es gibt nicht nur einen, sogar zwei Gitarristen) – am richtigen Platz stehen, wenn der Spot angeht. Weil sonst, naja, verschwindet man eben im Dunkeln.

Dieses enge Showkorsett mindert die Spontanität, aber nicht die Qualität. Die Setlist ist schön, auf „Auf und davon“ folgt „Im Ascheregen“, es gibt natürlich sehr viel neues Material zu hören, aber auch schon sehr alte Crowd-Pleaser wie „Michael X“. „Das ist das Schöne an großen Touren, man kann natürlich die neue Platte fast vollständig spielen, aber auch mal ein paar unbekanntere, ältere Songs oder überhaupt B-Seiten., die man so auf Festivals oder bei einer kleinen Clubshow nicht spielen würde.“

Casper

Franz Reiterer

Von Schwebebühnen und der notwendigen Distanz

Die Casper-Maschine läuft an, und sie läuft auf Hochtouren, er gibt alles, saust von einem Bühnenende zum nächsten, kommt nie zum Stillstand, er muss aber auch nicht verschnaufen. Das ganz große Spektakel hebt sich Casper für den Prolog zu „Sirenen“ und schließlich dem Song selbst auf: auf einer Schwebebühne wird er über die Köpfe der Band hinaufgezogen. „Bei den ersten Shows war ich immer noch fest angebunden, weil ich Angst hatte, zu fallen“ – in Wien sieht das alles schon sehr geübt aus, Casper schwebt über der eigentlichen Bühne, seinen Fans und rappt von oben, man muss es fast sagen, schon wieder wie ein Erleuchteter.

Ihm dabei zuzusehen, wie er da hoch oben steht löst gemischte Gefühle aus. Casper, die Bühnenfigur, war ausgehöhlt. Ben erzählt, dass ihm der Erfolg, das Touren, das Immerweiterwollen zu viel geworden ist. Für ihn war nur mehr Leere da. „Die Kids sind vor meiner Haustür gesessen. Ich konnte nirgends mehr hingehen. Ich wollte so einfach nicht mehr weitermachen“.

Die Kids, sie stehen in der ersten Reihe. Sie wollen ihren Casper. Und auch, wenn es im Spaß gemeint war, als Casper seine Worte an die ersten, kreischenden Reihen richtet, schmecken sie irgendwie salzig: „Was wollt ihr denn noch? Ein Foto? Ein Autogramm? Meine Seele? Meinen Bausparvertrag?“

Casper

Franz Reiterer

Casper tanzt überall

Der Altersschnitt in der Stadthalle wird nur durch einige Eltern und mitgewachsene Fans gehoben, der Großteil der KonzertbesucherInnen befindet sich in jungem Teenageralter. Casper holt seine jungen Fans an genau dem Punkt ab, den jeder Musikinteressierte in seiner frühen Jugend durchlebt. Die Zeit, als es darum geht, verschiedene Genres neu – oder überhaupt zuerst zu erleben. Der größere Bruder hört womöglich Heavy Metal, die Schwester süßen Gitarrenpop. Einmal fährt man, glücklich, dabei zu sein, mit aufs Novarock, im späten Sommer dann aufs Frequency.

Casper spielt auf beiden Festivals. Er schreibt nicht selten hymnische Refrains, die genauso gut zu einer Indie-Gitarrenpopband passen würden. Im Abmischen seiner Songs geht – zumindest live – die ursprüngliche Version einige Male verloren, wenn die Snare Drum durchgedroschen wird und die High Hats dafür gar nicht erklingen. Indiegitarrensongs, nicht wie Indiegitarrensongs gemischt.

Es ist jedenfalls der „Oh-Eh-Oh“-Chor zu „Hinterland“, den die ganze Halle grölt. Der mit einer akutischen Gitarre angeschlagen wird. Es ist auch bei aktuellen Singles, etwa dem titelgebenden „Lang lebe der Tod“ so, wo Sizarr und Blixa Bargeld schöne Popzeilen referieren. So funktioniert das, es gibt fette Beats, es gibt Heavy-Metal-Momente, und es gibt einen Casper, der auf einmal nicht mehr auf seiner Schwebe – oder der normalen Bühne steht – sondern auf einer dritten, mitten im Publikumsbereich. Er gibt jedem das, was er will, aus Caspers Ouevre pickt man sich, was einem eben am besten gefällt. Und das kann dann auch schnell wie Foals’ „My Number“ klingen, wenn die Gitarre zum Anfang von „Der letzte Gang der Stadt“ im schönsten Groove gezupft wird.

Casper

Franz Reiterer

Die vielen Gäste, die man auf Caspers Album „Lang lebe der Tod“ zu hören bekommt, Dagobert, Drangsal, Blixa Bargeld, Sizarr und viele mehr, werden auf Tour vom Band eingespielt. Das ist schade, aber verständlich.

Der Fokus liegt dadurch vollständig auf Casper, einer zerrissenen Kunstfigur zwischen Euphorie und Widerstand, in Leidenschaft für seine Band, seine Songs, seine Fans, die sie ihn alle schlussendlich doch wieder antreiben, weiterzumachen. Lang lebe der Casper.

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