FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

rotifer

Lernen zu brennen

Robert Forster ist einer der besten Lehrer, die ich je erlebt habe. Wer ganz viel über die Wahrheit des Popmusikmachens erfahren will, kann sein Buch “Grant und ich” lesen. Oder, wie es sich neulich für mich ergab, sich mit ihm in einen Proberaum stellen.

Von Robert Rotifer

Befangenheit kann ja aus Prinzip kein Problem sein im Blogschreiben. Man kann nicht Persönliches einmengen ohne irgendwie befangen zu sein, also muss das Format das erlauben. Das habe ich mir beim Angehen dieses Texts vorgesagt, aber es kreuzt sich mit dem anderen, dem daran anschließenden umgekehrten Problem der Diskretion. Konkret: Ich kann hier nicht über „Grant und ich“, die kürzlich in Maik Brüggemeyers deutscher Übersetzung erschienenen Memoiren des Robert Forster bzw. über seine kommende konzertante Lesung in Wien schreiben, ohne zu erwähnen, dass ich mit ihm in der letzten Woche einige Zeit verbracht habe. Viel davon allerdings in einem Proberaum, und was dort passiert, muss für immer hinter lärmgedämmten Türen bleiben. So lautet das Proberaumgesetz.

Forster jedenfalls (hier wieder ein Privileg des Bloggens, in Print hätte dieser Info-Absatz ja ganz an den Anfang gehört, was einem dann die ganze schöne Erzählschleife ruiniert) war vor unendlich langer Zeit, sprich vor über drei Jahrzehnten, als ich gerade meine Pop-Sozialisation als Teenager durchmachte, eine unaufdringliche Präsenz im Lärm unserer ungestümen Leben. Seine Band, die Go-Betweens, hatte keine eindeutig jugendlich subkulturelle Konnotation, wahrscheinlich, weil sie aus Australien kamen. Ihre Musik flirrte manchmal knapp am Rande zum zuckrigen Eighties-Pop-Mainstream durchs Bild, manchmal hörte man sie aber auch Nachmittags auf Ö3 in der „Musicbox“, wo sie Sachen von Bands mit verstimmten Gitarren und kehligen Stimmen spielten.

Am Rande zum zuckrigen Eighties-Pop-Mainstream

Erst später wurde mir klar, dass es meist Grant McLennans Songs waren, die in erstere Kategorie fielen („Streets of Your Town“, „Right Here“), und eher Robert Forsters Songs, die in letztere Welt vordrangen („Head Full of Steam“, „Man O’ Sand to Girl O’ Sea”). Aber richtig zuhause waren sie weder da noch dort, weil weder verstimmt noch zuckrig.

Jeder Go-Betweens-Artikel der Welt behandelt in besseren oder schlechteren Formulierungen dieses „Problem“, das natürlich gleichzeitig auch den Reiz der Band ausmachte. Als sie in den Nullerjahren mit „The Friends of Rachel Worth“ unter Beteiligung von Sleater Kinney zurückkehrten, wandelte sich das Handicap in die vielleicht idealste Verknüpfung von cool-kontemporär und würdig vintage, die je eine Pop-Band erwischt hat.

Es war 2006, ein Jahr nach der Veröffentlichung ihres letzten Albums „Oceans Apart“, als Grant McLennan im Alter von nur 46 Jahren starb. Robert Forster nahm sich ein ganzes Jahrzehnt Zeit, diesen Schock zu verarbeiten und ein Buch daraus zu machen. Er erzählt darin nun die ganze Geschichte seiner oft nicht unproblematischen, nach ihrem ersten Treffen 1976 lebenslangen Beziehung zu seinem Songwriting-Partner.

„Sie sagen, dass mein Buch ehrlich und klar ist, und das wollte ich auch so“, meinte Robert Forster, als ich vor zwei Monaten mit ihm am Telefon über „Grant und ich“ (im Original „Grant and I“) sprach, „Ich wollte nicht, dass es darin Löcher gibt, wo die Leute sagen: ‚Das hat er ausgelassen.‘ Ich wollte, dass da alles drin ist. Ich wollte ein Bild zeichnen, das so vollständig ist, wie möglich.“ Forster ging es aber auch darum, „die Geschichte einer Band zu erzählen, die immer auf der Straße war, nicht im Penthouse, und nicht im obersten Stock des Fünf-Sterne-Hotels. Das ist eine andere Perspektive davon, wie es ist, in einer Rockband zu sein.“

Robert Forster

Penguin Australia / Stephen Booth

Und tatsächlich ist das einer der interessanten Aspekte an „Grant und ich“: Die von Rockstar-Memoiren gewohnte Überzeugung von der eigenen Auserwähltheit findet mangels Mainstream-Erfolg keine Bestätigung durch die Öffentlichkeit, aber Forster ist ehrlich genug, sie dennoch nicht zu ironisieren.

„An der Uni“, sagte er mir am Telefon, „war Grant die eine andere Person, die genauso viel Arroganz und Antrieb hatte wie ich. Wir erkannten das an einander. Noch bevor die Band anfing, war das unsere Verbindung. Alle um uns herum wussten, was sie aus ihrem Leben machen würden. Grant und ich mussten es erst herausfinden. Wir wollten reisen, wir wollten nach Übersee, wir waren ambitioniert, wir hatten keine Freundinnen und immer nur Teilzeitjobs. Wir waren stets zum Aufbruch bereit. Und das brachte uns immer näher zusammen, bis wir die Go-Betweens gründeten.“

Dem Pop-Traum hinterher nach London

An der Wende zu den Achtzigern reisten Grant und Robert ihrem Pop-Traum hinterher nach London (kommt einem von irgendwoher bekannt vor), es verschlug sie zum jungen Postcard-Label nach Glasgow (siehe Orange Juice, Josef K), dann zu Rough Trade, sie lebten von der Hand in den Mund und mit einer halben Zehe in den Charts.

„Wir lebten in der Popmusikstadt London, da war viel Geld im Umlauf, und es gab viel kommerziellen Druck. Das bedeutete aber auch, dass wir immer diese Aussicht vor uns hatten: Wenn wir eine Hitsingle machen, müssten wir nicht mehr bei 50 Pfund Taschengeld pro Woche in einem besetzten Haus wohnen. ‚Stell dir vor, dann könnten wir 200 Pfund die Woche verdienen.‘ Aber es war schwer, in den Achtzigern gut und authentisch klingende Rockplatten zu machen. Man musste wirklich darum kämpfen. Meistens kriegten wir, was wir wollten, aber manchmal gingen wir in eine Richtung, wo ich dachte: So hat Dylan aber nicht ‚Blonde on Blonde‘ gemacht.“

Trotzdem ließ Forster, und auch das spricht er offen aus, dem Pop-Business zuliebe in solchen Fällen manchmal fünf gerade sein, anstatt auf seinen Prinzipien zu beharren und wegzulaufen. „Einmal war ich knapp dran, so um die Zeit von ‚Tallulah‘, wo ich einen Haufen Songs hatte, die nichts mit den Top Forty zu tun hatten. Ich sah eine ganze, andere Welt vor mir, wo wir zusammen in ein Studio gehen, die Mikros aufstellen und einfach explodieren. Aber ich konnte die Band nicht dazu überreden. Es gab Druck von der Plattenfirma, und das war das eine Mal, wo ich dachte: ‚Wir machen hier nicht das Richtige.‘ Aber ich lief nicht davon, als nächstes machten wir ‚16 Lovers Lane‘, und plötzlich waren wir alle wieder auf einer Linie.“

Solche Kompromisse kommen in Rock-Autobiographien sonst selten vor, mindestens genauso untypisch ist in „Grant und ich“ aber sowohl der erzählerische Umgang mit bandinternen amourösen Affären (Roberts Beziehung zu Schlagzeugerin Lindy Morrison und Grants Beziehung zu Multiinstrumentalistin Amanda Brown werden eingehend, aber ausgenommen fair abgehandelt), als auch der mit Drogen. Letzterer beschränkt sich mehr oder weniger auf die beiläufige Enthüllung, dass Roberts Hepatitis-C-Erkrankung in den Neunzigerjahren auf den Gebrauch von anderer Leute Nadeln zurückzuführen war.

Buchcover Grant und ich

Heyne Verlag

„Grant & Ich“ von Robert Forster ist in einer Übersetzung von Maik Brüggemeyer im Heyne Verlag erschienen.

„Heroin beeinträchtige nicht mein Songschreiben oder mein Spielen auf Tour“, meinte Robert im Interview, „Ich war ein Gelegenheits-User, I was a dabbler. Ich konnte jahrelang ohne irgendwas auskommen, es war eher was, das in Gesellschaft passierte. Ich hätte es nicht einmal ins Buch mit reingenommen, weil es die Arbeit der Band nicht beeinflusste. Aber ich musste es dann doch erwähnen, denn als ich von meiner Krankheit erfuhr, musste ich aufhören zu trinken. Und das gemeinsame Trinken war für mich und Grant immer eine ganz wichtige Sache gewesen. Ob in Bars oder Backstage. Dann sagten wir einander Sachen, die wir nüchtern nicht gesagt hätten, das war ein prächtiger Spaß. Aber das erste, was sie jedem bei seiner Hepatitis C-Diagnose sagen, ist, dass er zu trinken aufhören muss. Denn das ist eine Erkrankung der Leber. Das hatte seine Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Grant und mir. Während der letzten zehn Jahre unseres Lebens waren wir im Studio oder auf Tour, und die ganzen Achtziger hindurch hatte ich mit Grant zusammen getrunken. Und nun ging ich nach den Konzerten zurück auf mein Hotelzimmer, und auch im Studio beim Aufnehmen war ich nüchtern. Grants Trinken dagegen nahm zu, und das erzeugte eine gewisse Spannung zwischen uns. Manchmal kam es mir vor, als hätte er gern, dass ich wieder der alte Robert, der wilde Trinker wäre. Aber ich konnte nicht. Dass ich in den Achtzigern Heroin genommen hatte, hatte unsere Musik nicht beeinflusst, aber es hatte mein Leben verändert.“

Der Weg in den Proberaum

Am Ende jenes Telefongesprächs (Robert saß backstage in Göteborg, ich zuhause in Canterbury) teilte ich ihm dann noch mit, dass ich übrigens Teil der Band sei, die sein Label ihm für die Londoner Show im November aufgestellt hatte. Ich machte mir vor, dass das NACH dem Interview mit der journalistischen Ethik (als ob man über Musik je neutral schreiben könnte) vereinbar wäre, vor allem aber wollte ich wissen, welche Songs es zu üben gab. Ein paar Emails und ein paar Wochen später saß ich dann mit ihm zusammen im Hotelzimmer, spielte Grant McLennans wunderbar klug ausgedachten Gitarrenpart, während Robert „Dive For Your Memory“ sang, und tat mein Bestes, so zu tun, als wäre das normal.

Tags darauf stellten wir uns dann mit der Band, Ian Button am Schlagzeug und Andy Lewis am Bass, in den Proberaum und malten die Skizzen vom Vorabend aus. Zehn Songs. Vom Anfang der Go-Betweens bis zu Forsters hervorragendem jüngstem Album „Songs to Play.“

Wie gesagt, es wäre falsch, hier etwa auszuplaudern, was in so einer Situation für Referenzen zur stilistischen Verständigung gebraucht werden, aber eines lässt sich hier schon weitergeben: Erst seit diesen Proben, und schon überhaupt seit dem Gig am Samstag verstehe ich wirklich, was es bedeutete, dass Forster und McLennan sich als der Godard und der Truffaut von Brisbane sahen und mit diesem Selbstverständnis Songs zu schreiben begannen.

Dahinter steht sehr präzise Disziplin

Forster ist – so prätentiös das klingt - ein Regisseur. Er sucht in seiner Musik nach klaren Bildern, er denkt sie sich mit größter Genauigkeit aus. Er ändert seine Meinung, falls was nicht funktioniert, und er kommuniziert es den Leuten, die mit ihm gemeinsam diese Bilder zum Leben bringen, mit der größten Geduld und bis ins kleinste Detail. Was genau macht die zweite Gitarre im ersten Takt der dritten Strophe, wie steigert sich das im zweiten und wie steht es im Verhältnis zum Gesamten?

Umso beeindruckender, von der Bühne aus mitzuerleben, wie jede einzelne dieser Ideen beim Gig selbst dann genau so aufging, wie Robert es sich ausgedacht hatte.

Es ist das große Missverständnis des Indie-Pop, geteilt von Kritik, Publikum und allzu vielen Bands, zu glauben, ein Song mit vier Akkorden wie etwa „Surfing Magazines“ sei eine simple Angelegenheit. Dahinter steht eine sehr präzise Disziplin. Es hat einen Grund, dass sich Go-Betweens-Songs, die einem beim ersten Mal manchmal so unscheinbar vorkommen, dann mit einer derartigen Klettenhaftigkeit ins Bewusstsein bohren. Dass nur das zweite Mal „No I won’t“ in „A Poet Walks“ gedoppelt wird, und das Ohr jedesmal beim Hören nur darauf wartet.

Ich habe den dringenden Verdacht, dass Robert Forster auch so schreibt, wie er Musik macht. In diesem Sinn wird es wohl eine Weile dauern, bis ein zweites Buch kommt. Einstweilen empfehle ich in aller Befangenheit die Lektüre von „Grant und ich“ und den Besuch von Robert Forsters Auftritt im Wiener Theater Akzent am Mittwoch, den 29. November, oder am 16.12 im Greiner Stadttheater.

mehr Buch:

Aktuell: