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Erich Möchel

Heftiger Widerstand gegen Aus für Netzneutralität in den USA

Die US-Regulationsbehörde FCC wird mit negativen Stellungnahmen gegen die Abschaffung der Gleichbehandlung aller Dienste förmlich zugeschüttet. Ein Dutzend größere und viele kleinere dezentrale Kampagnen sind dafür verantwortlich.

Von Erich Moechel

In den USA formiert sich eine breite Front gegen die Pläne des Telekomregulators FCC, die Regelungen zur Netzneutralität vollständig aufzuheben. Seit 2004 ist es Zugangsprovidern - Kabel-TV und Telekoms - untersagt, einzelne Internetsevices zu drosseln oder bevorzugt auszuliefern. Am 14. Dezember wird in der FCC über den Vorschlag des neuen Vorsitzenden Anjit Pai abgestimmt, eine Mehrheit dafür gilt als sicher.

Am Montag haben 260 Internetfirmen und Start-Ups angeführt von Twitter anlässlich des „Cyber Monday“ in einem offenen Brief an Pai vor Umsatzeinbrüchen gewarnt, sollte die Netzneutralität abgeschafft werden. Unter den Benutzern stößt die geplante Maßnahme auf heftigen Widerstand. Seit Wochen wird die FCC mit Eingaben und der US-Senat mit Telefonanrufen zudeckt. Am Wochenende fand sogar eine Mahnwache vor dem Privatwohnsitz des FCC-Vorsitzenden statt.

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Laut FCC sind mittlerweile etwa 23 Millionen fast ausschließlich negative Stellungnahmen eingetroffen. Das Gros stammt von den Formularen der vielen, verschiedenen Netzkampagnen. Eine einstellige Millionzahl davon sollte vollständig autonom und individuell eingegeben worden sein, da alleine ein paar Hunderttausend Stellungnahmen als Dokument-Attachment eingereicht wurden. Das ist das eigentlich Rekordverdächtige daran

Nur Telekoms und Kabel-TV dafür

Die Palette der Gegner reicht von so gut wie allen kleinen bis mittleren Firmen, die im Internet unternehmerisch tätig sind, über Bürgerrechts- und Konsumentenschutzorganisationen, die diese Pläne als Anschlag auf die Informationsfreiheit sehen. In allen Umfragen hat bisher etwa eine Dreiviertelmehrheit der Befragten gegen die Abschaffung der digitalen Gleichbehandlungspflicht gestimmt. Das zeigen auch die Kampagnen, denn es gibt wenigstens Dutzende größere und eine Vielzahl kleinerer Aufrufe mit Formularen zur automatischen Einreichung bei der FCC im Netz.

Bereits 2014 hatte eine heftige Auseinandersetzung um Netzneutralität in den USA getobt, dann wurde eine der europäischen sehr ähnliche Regelung verabschiedet.

Zuletzt hatten sich auch Prominente wie Cher, Alyssa Milano oder StarTrek-Darsteller gegen eine Abschaffung der Netzneutralität ausgesprochen, doch Pai hat seinen Standpunkt am Mittwoch sozusagen einbetoniert(siehe unten). Die einzigen deklarierten Befürworter sind die Kabel-TV-Anbieter angeführt vom Platzhirsch Comcast und die Telekoms AT&T, T-Mobile sowie Verizon. Für letztere war Anjit Pai vor seinem Eintritt in die FCC der Generalanwalt und so agiert er nun auch nach als Vorsitzender der FCC. Dass er die Abschaffung der bisherigen, konsumentenfreundlichen FCC-Regelung dann auch noch „Restoring Internet Freedom“ titelte, führte zu diesem „Feuersturm an Kritik“, wie es die „New York Times“ nannte.

Ajit Pai

FCC

Anjit Pai, der neue Chairman der FCC

„Zero Rating“ für die Platzhirsche im Netz

Pai hatte auch sonst das Seine zur Wut der User beigetragen. Als ihn Präsident Barack Obama auf Empfehlung der Republikaner 2012 als Mitglied in die FCC berufen hatte, setzte er mit den anderen Kommissionsmitgliedern die auf Netzneutralität ausgelegte Politik Obamas um. Im Jänner 2017 wurde Pai vom neuen Präsidenten Donald Trump dann zum Vorsitzenden der FCC berufen. Als erste Amtshandlung stellte Pai gleich einmal die FCC-Ermittlungen gegen die Mobilfunker T-Mobile, AT&T und Verizon wegen „Zero Rating“ ein.

Trotz heftigem Lobbying der europäischen Telekoms hatte das Plenum des EU-Parlaments Anfang 2014 mit großer Mehrheit für eine Beibehaltung der Netzneutralität gestimmt

Es ist dieselbe Praxis, die in Österreich gerade von A1 mit Netflix ausprobiert wird und als offensichtlicher Verstoß gegen die EU-Regelung zur Netzneutralität gerade vom österreichischen Regulator RTR untersucht wird. „Zero Rating“ bedeutet, dass einer oder mehrere Serviceanbieter von Telekoms bevorzugt werden, indem sie nicht unter das Datenlimit fallen, sondern unbegrenzt zur Verfügung stehen. Genau deswegen glänzen auch die ganz Großen des Internetgeschäfts wie Facebook oder Google hier durch weitgehende Abwesenheit beim Protest. Es sind nämlich nur die reichweitenstärksten Internetkonzerne, die als zahlende Partner der Telekoms für Zero-Rating in Frage kommen. Facebook hat solche Verträge mit verschiedenen Mobilfunkern vor allem in Afrika, um diese rasch wachsenden Märkte zu erobern und von Beginn an zu dominieren.

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Die mithin größte Kampagne läuft auf der Website „Battle for the Net“

Was in den USA bevorsteht

Angesichts dieser aufgeheizten Stimmung vor allem in den sozialen Netzwerken gehen Beobachter allerdings nicht davon aus, dass Comcast und die Telekoms nun beginnen, ebensolche Internetbündel anzubieten, wie sie das mit den Pay-TV-Kanälen tun. Die gewöhnlich sehr gut informierten Blogger von Ars Technica und andere tippen weit eher bezahlte Priorisierung für bestimmte Internetservices wie Streamingangebote, die dann über Mobilfunknetze bevorzugt bzw. hochauflösend ausgeliefert werden.

2015 passierte eine etwas verwässerte, neue Verordnung das EU-Parlament in der Netzneutralität gleichwohl festgeschrieben ist

Das geht natürlich zu Lasten der weniger zahlungskräftigen Konkurrenten, deren Angebote zu den Stoßzeiten im Netz dann mit Artefakten über die Bildschirme der User ruckeln. Der größte Kabel-TV-Anbieter in den USA Comcast hatte zwar betont, es würden keine Maßnahmen gesetzt, um Internetverkehr zu drosseln oder gar einzelne Websites zu blockieren. Die Dementis des Kabel-TV-Giganten über bezahlte Priorisierung aber sind von der Website des Unternehmens mittlerweile verschwunden.

Marketingslogans gegen Netzneutralität

Es ist dieselbe Linie, die auch die europäischen Telekoms gegen Netzneutralität eingeschlagen haben. Im Halbjahresabstand wird da gedroht, der zukünftige superschnelle Mobilfunkstandard 5G werde sich um Jahre verzögern, sollte auch dabei Netzneutralität gelten. Dadurch würde die Einführung selbstfahrender Autos stark verzögert und auch chirurgische Teleoperation würden dann erst in ferner Zukunft möglich sein.

Dass beides technisch gesehen völliger Unfug ist, ficht die Telekoms überhaupt nicht an, da sich - auch in Österreich - genug entweder ahnungs- oder gewissenlose Politiker finden, die diese Marketingslogans der Telekoms wiederholen. Mit vergleichbarer Chuzpe operiert auch die konservative Propaganda gegen Netzneutralität, denn Argumentation lässt sich das nicht nennen, wenn die Netzneutralität für den mangelnden Ausbau der Netze in ländlichen Gebieten der USA verantwortlich gemacht wird, wie Pai das behauptet.

„Die eigentliche Gefahr ist Twitter“

Am Mittwoch sprach er in einer Rede vor konservativen Gruppen von einer Bedrohung der Informationsfreiheit - durch Twitter, wo konservative Politiker gegenüber liberalen angeblich benachteiligt und sogar zensuriert würden. Offenbar rechnet Pai militante Rechtsextremisten, notorische Verleumder, Antisemiten und professionelle Fake-News-Produzenten ebenfalls dem konservativen Spektrum zu, denn bis jetzt wurden in diesem Zusammenhang nur solche Konten von Twitter USA gesperrt.

Ersucht wird, sachdienliche Informationen, Metakritiken et al.hier verschlüsselt und anonym beim Autor einzuwerfen. Wer eine Antwort will, sollte eine Kontaktmöglichkeit angeben.

Die von Twitter ausgehende Gefahr besteht noch am ehesten darin, dass der Oberbefehlshaber der weltgrößten Atommacht täglich Beschimpfungen, Verleumdungen und Rüpeleien gegen andere Staatsoberhäupter über den Kurznachrichtendienst verbreitet und damit womöglich einen bewaffneten Konflikt auslöst.

Mehr zu diesem Thema

Der Appell von 260 Internetfirmen an die FCC

Eine komplette Chronik zur Netzneutralität, von Jon Brodkin für Ars Technica

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