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Sneaker

Marlena Merlin König

Sneakersparadise

Schau mal ganz kurz runter auf deine Schuhe? Bei mir sehe ich da meist weiße Turnschuhe aus Stoff, mit vielen Löchern und noch mehr Dreck dran. Ab und an auch ein neueres Paar, dann wieder die schwarzen Stiefeletten. Bei Sneakeraddicts sieht das anders aus: Turnschuhe haben, nur um sie zu besitzen oder weiterzuverkaufen. Deshalb braucht der Kauf dafür oft einen Platz im Terminkalender.

Von Nadine Cobbina

Für mich ist das eine andere Welt. Denn Winter wie Sommer gilt für mich: Zwei Paar Schuhe müssen reichen. Hallo geliebte Zechenschlapfen, hallo Espadrilles.

Aber nope, nicht so für Cosma und Felix. Ein Pärchen aus Wien, die ihre Sneaker-Leidenschaft leben und lieben und Schweiß und Zeit in den Turnschuhkauf investieren. Sie sind Teilnehmer sogenannter Sneaker-Raffles, einer Art Verlosung von Schuhgeschäften und Turnschuhmarken. Die entscheidet, ob du überhaupt an ein limitiertes Paar rankommst, oder nicht.

Adidas Ultraboost x Naked

Viennesesneaks

Solche Addicts haben viele im Freundeskreis. Wenn du deren Wohnung betrittst, liegt nicht einfach ein Haufen an Schuhen im Vorzimmer verstreut – ja, wie bei uns „Normalos“ – sondern die geehrten Treter stehen auf Regalen und in Schränken, oder werden im Karton aufbewahrt. Die Sneaker werden geliebt und sind etwas Besonderes. Nicht jetzt die, die es für jeden immer und überall zu kaufen gibt. Sondern rare Examplare. Die Sonderedition der Sonderedition von der eh schon limited Edition, im besten Fall. „Die m u s s ich haben!“, das hab ich Cosma schon öfter sagen hören.

In Harlem, New York City, gibt es sogar ein Pfandleihhaus speziell für Sneaker. Die dort gelagerten Schuhe kosten teils tausende Dollar, weil sie im besten Fall nur limitiert produziert wurden, oder Rapper-XY sie getragen hat. Besitzt du so ein Paar, bringst du es hin und bekommst Cash dafür. Die Schuhe können dann ausgeborgt werden, so kommt das Geld wieder rein. Classic Pfandhaus halt. Es müssen nicht nur Sonderlinge sein. Genauso werden Schuhe verliehen, die es für jeden (leistbar?) in den Shops zu kaufen gibt.

Cosma gehört zu den Turnschuhträgerinnen, die eine Leidenschaft für Sneaker haben und sich deshalb öfter im Terminkalender eine Zeit blockt, um die Schuhe (vielleicht) ergattern zu können. Dazu gehört: Glück haben und bei bei einer Sneaker-Verlosung ausgelost werden. „Du hast ein paar Tage Zeit, dich anzumelden. Dann wird dir eine Nummer zugeteilt. Wenn du Glück hast, bekommst du die Benachrichtigung, dass du das Kaufrecht ergattert hast. Dann hast du einen Tag lang Zeit, dir den Schuh am Releaseday abzuholen. Mit Ausweis, das kann auch kein Freund für dich machen.“, weiß Sneaker-Lover Felix. Er ist Cosmas Freund.

Wir „coolen Kids“ scheinen also heiß auf die neuesten Kollektionen zu sein und stellen uns wohl auch für das neueste Trend-Paar einfach mal Stunden in einer Schlange an. Virtuell und real. Nicht nur vor den Sneaker-Shops stehen Mädels und Jungs stundenlang in der Kälte, um ein rares Paar zu ergattern, oder eines der wenigen -50%-Ones abzustauben. Auch im Netz passiert dasselbe, denn Sneaker scheinen einen Wert zu haben. „Das Sneakerphänomen ist im Mainstream vor fünf, sechs Jahren aufgekommen. Unter anderem durch Testimonials, wie auch Mr. Kanye West, der mit Adidas einen großen Beitrag dazu geleistet hat“, so Turnschuheinkäufer Florian Kampelmühler von der SneakerGallary in Wien. So entsteht also der Hype. Kanye ist wiedermal an allem schuld.

ADIDAS Yeezy Boost 350 V2 "Beluga 2.0"

Marlena Merlin König

Doch was hat es jetzt damit auf sich, einen Termin für den Schuhkauf zu benötigen? Das ist echt nicht unkompliziert. Da kenn ich mich nicht aus, aber der vorhin erwähnte Felix kann das genau erklären: „Die zweite Möglichkeit für einen Raffle ist online, so macht das Nike oft. Die Seite für das Raffle geht online und dann siehst du, ok in einer Stunde kannst du den Schuh kaufen. Dann sitzt man wirklich vor dem Laptop und wartet auf den Countdown. Um Punkt Neun musst du den Einkauf abschließen, aber erst wenn du eine Versandbestätigung hast, hast du den Schuh wirklich."

Oft hast du keine Chance, auch weil mitunter Programme wie Bots verwendet werden: "Wenn du das alles manuell eingeben musst, hast du keine Chance gegen die schnelleren Programme. Die bieten für dich in einer gewissen Zeit, mit deiner Größe und allen Details. Du musst selbst vorher auch alles mit Autocorrect eingeben, dafür gibt’s Ad Ons. Ansonsten kassiert du ein „L". Das ist meistens so, außer du hast Glück, weil die Seite zusammenbricht oder down geht, weil so viele auf der Seite online sind.“, schildert mir Cosma.

Ein „L“ steht offensichtlich für Loser. Das ist man beim Raffle meistens. Werden Sneaker online freigegeben, musst du schneller als die anderen 10.000 sein und den Schuh in den Warenkorb legen, sonst laufen dir die Sneaker davon. (Komm, den kann man schon mal bringen, danke!)

Sneakerkauf

Marlena Merlin König

Die Shops könnten die Schuhe auch einfach ausstellen und normal verkaufen. Doch weil der Hype um gewisse Paare so groß sein soll, wird gelost. Potentielle Käufer hätten alle die gleiche Chance, den neuen Schuh zu kaufen und müssen nicht vor einem Store campieren, so Kampelmühler: „Es ging eine Zeit lang so, dass man die Nachfrage nach den Schuhen mit dem ‚first come, first serve‘-Prinzip abhandeln konnte. Doch das impliziert, dass die Leute schon am Abend, bis hin zu Wochen davor, vorm Shop campiert haben. Das hat aber keinen Witz mehr und schließt Leute aus, nämlich die, die sich nicht vor den Laden setzen können. So gibst du möglichst vielen Menschen die Chance, teilzunehmen.“

Es alles schafft eine eigene Subkultur, die sich selbst in einen elitären Kreis schließt, allerdings ohne zu bemerken, dass sie sich auch selbst an der Nase herumführt: Viele machen bei Raffles mit, um den Schuh gleich fürs Zwei- bis Sechsfache wiederzuverkaufen. Das nennt sich dann resellen und funktioniert über Facebook-Gruppen und andere Plattformen. Und erst dadurch wird den Sneakern Wert zugeteilt. Eine Wertkette entsteht, indem man sich selbst als „Loser“ hinnimmt, in der Hoffnung, irgendwann eine „Winner“ zu werden. Für manche bedeutet das, endlich den „Grale“, das Lieblingspaar zu besitzen. Für andere Profit machen, durch den Wiederverkauf! Die Nachfrage ist hoch und das erhöht halt auch die Stückzahl wieder, ergänzt Kampelmühler: „Allein bei unseren Raffles nehmen 10.000 Leute teil. Bei sehr großen Ketten nehmen hunderttausende Leute teil, bei einer Stückzahl um die dreihundert Paare.“

Yeezy

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Der Beluga 2.0 ist ein weiterer Yeezy von Sneaker-King Kanye West und Adidas. Die Auflage ist limitiert, die Anfrage hoch. Per App kann man versuchen, sich so einen Sneaker zu reservieren: Dazu muss man sich in den Release-Zonen (ja, die heißen wirklich so) aufhalten. Also bei einem der Shops, wo der Schuh verkauft werden könnte. Danach muss man sich für den Release anmelden. Und dann - mit etwas Glück - ist man befugt den Sneaker zu kaufen. So war’s auch beim letzten Raffle, Cosma hatte Glück und so ein Paar abgestaubt, denn sie war schnell und hat kein „L“ kassiert. Das Ganze kann aber auch nur online stattfinden.

Abgesehen davon, dass Schuhe ja trotzdem am Ende des Körpers sind, wir damit in Kaugummis und Dreck treten, Leute uns auf die Füße steigen und die Produktion der altbekannten Marken ja auch nicht für einen überteuerten Kauf mit viel Zeitaufwand spräche (auch die limitierten Paare werden am Fließband produziert): Was ist es, das glücklich macht und befriedigt, sobald man den Schuhkarton öffnet und einem der frische #esistnochoriginalverpackt-Plastikgeruch in die Nase kommt? Warum stehen die Leute so auf Sneaker?

Zu einer limitierten Collection gehören auch die OFF WHITE x Nike „The Ten“. Wie der Name spekulieren lässt, handelt es sich um eine Kollaboration von zehn Paar Sneaker, die der Off-White-Designer Virgil Abloh kreiert hat. Er habe die Nike Klassiker der 90er neu erfunden, heißt es in Kommentaren zum Upgrade. Also den Air Jordan I und Nike Blazer Mid ein neues Aussehen und somit einen neuen Kultstatus verpasst.

„Leute, die in den 80er/90er Jahren aufgewachsen sind, sind mit den Turnschuhen aufgewachsen. Die haben einen vermittelt, dass man eine Superkraft hat. Beim Puma hättest du den perfekten Halt, hast du einen 1er Nike Jordan, könntest du so fliegen wie Michael Jordan. Den anderen Teil der Gruppe machen junge, modeaffine Leute aus. Die schätzen Sneaker, aber kaufen sich auch einen teuren Luxus-Gürtel“, schätzt Florian Kampelmühler die Käufer ein. Vor allem letzte Gruppe zählt vorrangig zu denen, die aus dem Kauf Profit machen wollen.

Teure Luxusgürtel haben mir noch nie zugesagt, born in the 90s bin ich allerdings. Ich hab auch zwei, drei Sneaker-Paar, die aber eher praktikabel als sehenswert sind.

Weiterverkaufen oder Ausleihen? Bei der Abnützung - besser nicht!

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