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11.12.17 FM4 Schnitzelbeats- The mystery of Hermann Szobel

Arista Records

FM4 Schnitzelbeats

FM4 Schnitzelbeats: The mystery of Hermann Szobel

Szobel is great. Thank you Hermann. I love you“ (Roberta Flack). Eine Schnitzel(beats)jagd nach dem „größten heimischen Pianisten aller Zeiten“.

Von Al Bird Sputnik

„Hermann Wer?“, ist man nun vielleicht geneigt zu fragen. Verständlicherweise, denn allzu viel Fachliteratur oder archivarisches Material zur kurzen Karriere des rätselhaften Autodidakten Hermann Szobel lassen sich tatsächlich nicht auffinden. Die „FM4 Schnitzelbeats“ unternehmen dennoch den zaghaften Versuch einer Spurensuche, allein schon weil das kleine bisschen an zur Verfügung stehender Information einfach zu gut ist, um diese Geschichte nicht niederzuschreiben. Wobei wir noch gar nicht von der radikalen und rundum-erneuernden Musik gesprochen haben, die diese Lichtgestalt des österreichischen Free Jazz der Nachwelt – im Biotop eines US-amerikanischen Hipster-Publikums – hinterlassen hat.

11.12.17 FM4 Schnitzelbeats- The mystery of Hermann Szobel

Arista Records

Um die äußerst dünne Faktenlage zu bemühen: Hermann Szobels Familie (mütterlicherseits) ist russisch-jüdischer Abstammung mit Wohnsitz in Berlin-Kreuzberg und flüchtet Mitte der 1930er-Jahre vor dem NS-Regime ins Ausland. Seine Mutter Sonja (geborene Grajonca) entkommt der Verfolgung in einem Versteck in Budapest (anderen Quellen gemäß in Shanghai), während es ihre Geschwister rund um die Welt verschlägt. Nach Ende des Krieges nimmt sie den Namen Szobel an (vermutlich im Zuge einer Ehelichung mit einem Partner gleichlautenden Namens – aber diese Quelle ist nicht gesichert) und wird in Wien sesshaft, wo ihr Sohn Hermann im Jahr 1958 das Licht der Welt erblickt. Dieser zeigt eine überdurchschnittliche musikalische Begabung; der erste Klavierunterricht erfolgt im Alter von 6 Jahren, wobei eine frühe Leidenschaft dem Komponisten Frédéric Chopin gilt. Unter dem Einfluss amerikanischer Jazz-Sounds beginnt Szobel dann als Jugendlicher, eigene Stücke zu schreiben. Ein eigensinniges Wunderkind, wie ZeitzeugInnen wohl attestieren würden.

11.12.17 FM4 Schnitzelbeats- The mystery of Hermann Szobel

Arista Records

So weit, so gut. Was nun folgt, übersteigt aber die weitläufige Vorstellung von dem künstlerischen Werdegang eines talentierten Musikers im Teenager-Alter. Hermann Szobel verlässt im Jahr 1975 (nach anderen Quellen schon 1974), mit gerade mal 17 (oder 16!) Jahren die Heimat und fliegt in einer spontan anberaumten Nacht-und-Nebel-Aktion von Wien nach New York. Sein meuterisches Ziel: als Jazz-Pianist drüben den großen Durchbruch zu schaffen.

Womit wir zu einem bemerkenswerten, aber zum besseren Verständnis der Geschichte signifikanten Detail kommen: Szobels Kontaktmann in den USA ist niemand Geringerer als der umtriebige, damals schon legendäre Konzert-Promoter Bill Graham (geboren als Wolodja Grajonca), ein jüngerer Bruder von Sonja Szobel (Hermans Mutter), der es in der Nachkriegszeit in den USA zu beträchtlichem Ruhm gebracht hat. Graham ist als Rock-Promoter und Betreiber von Showbühnen für publikumswirksame Musikveranstaltungen zum Medienmogul aufgestiegen. Unter anderem gehören ihm die beiden geschichtsträchtigen Fillmore-Konzerthallen in New York und San Francisco, die im Laufe der US-amerikanischen Folk-, Beat- und Psychedelic Rock-Ära weltweite Berühmtheit erlangt haben. Man denke nur an Bands wie Jefferson Airplane, The Grateful Dead oder die Mothers of Invention, die dort ein paar ihrer erinnerunswürdigsten Konzerte gegeben haben...

Als der Wiener Teenager Hermann Szobel im Big Apple aufschlägt, heißen die aktuellen Kino-Blockbuster „Jaws“ und „The Rocky Horror Picture Show“, während Künstler wie Elton John, Barry Manilow und die Doobie Brothers die Billboard Charts dominieren. Was kann man dort schon als 17-jähriger Wiener Pianist mit Notenblättern unterm Arm reißen? Selbst, wenn darauf mörderisch dekonstruierte und ultra-progressive Jazz-Kompostionen notiert sind. Und auch, wenn besagter Teenager jede Verhaltensauffälligkeit aufweist, die man sonst genialisch veranlagten Wunderkindern wie etwa Wolfgang Amadeus Mozart nachsagen würde: ein überhöhtes Selbstvertrauen, temperamentvolles Auftreten und eine Neigung zu Jähzorn im Fall, dass die Umwelt die eigene Geistesgröße nicht anerkennt.

11.12.17 FM4 Schnitzelbeats- The mystery of Hermann Szobel

Arista Records

Wenn man ZeitzeugInnen und Promo-Texten damaliger Tage Glauben schenkt, läuft die Kontaktaufnahme zur amerikanischen Musikindustrie aber recht erfolgreich und in etwa so ab: Bill Graham empfängt seinen Neffen in New York und stellt ihm im Laufe der kommenden Tage und Wochen einige wesentliche Jazz-MusikerInnen und Label-MitarbeiterInnen der Stadt vor. Eine der allerersten, die den Teenage-Outsider ins Herz schließt, ist die renommierte Soulsängerin Roberta Flack, die letztlich auch die Liner Notes zu seinem Album „Szobel“ (Arista/AL 4058) verfasst: Als Hermann Szobel unerwartet die Aufnahmesession ihres fünften Albums „Feel like makin’ love“ in einem lokalen Aufnahmestudio mit der Botschaft, er sei der größte Pianist aller Zeiten stört, lässt sie den jungen Krawallmacher gewähren und bittet ihn amüsiert, sein Können vor der kompletten Studio-Crew unter Beweis zu stellen. Als sie Hermann Szobel am Piano hört, ist sie hellauf begeistert.

Hermann Szobel has a unique approach to piano playing – It’s called superior Musicianship – He does not compromise quality, energy, or artistry at any level and that alone makes him special in today’s musical world. This album signals the beginning of a marvellous opportunity for the listener and lover of music to hear the difference between good and great music. Szobel is great. Thank you Hermann. I love you.“ – Roberta Flack (in den Liner Notes zu dem Album „Szobel“).

Über die erstklassigen Kontakte seines Onkels absolviert Hermann Szobel im weiteren Verlauf seines USA-Aufenthaltes weitere Auditions und ergattert tatsächlich einen Plattenvertrag beim Majorlabel Arista Records. Im Oktober 1975 finden schließlich Aufnahmesessions in den New Yorker Record Plant Studios statt, wo auch schon The Jimi Hendrix Experience ihr wegweisendes „Electric Ladyland“-Album aufgenommen haben. Die resultierende LP mit dem schlichten Titel „Szobel“ kommt ein Jahr später auf den Markt und ist durchgehend vom 17-/18-jährigen Namensgeber komponiert und arrangiert. Zu hören ist eine experimentelle Aneinanderreihung musikalischer Fragmente, die stilistisch fernab voneinander stehen:

Auf Passagen, in denen sich die HörerInnenschaft inmitten einer suggestiven Funk-Kulisse wähnt, folgen wieder Momente der Dekonstruktion im Sinne eines kompositorischen Free-Jazz-Paradigmas. Dann wenige Minuten später: Fragile und dissonante Piano-Passagen, in denen sich Suiten/Klavierstücke zeitgenössicher Bartók- oder Stockhausen-Klassik Hallo sagen. „Szobel“ reüssiert als eigenständiges Werk des US-amerikanischen Fusion Jazz, das aber auch gute Elemente von Joe Zawinuls Weather Report oder früher Arbeiten von Frank Zappa (wie etwa „Hot Rats“) adaptiert.

11.12.17 FM4 Schnitzelbeats- The mystery of Hermann Szobel

Arista Records

Die Vorderseite der futuristisch anmutenden Schallplatten-Hülle zeigt einen gertenschlanken jungen Mann mit schwarzem Lockenkopf, der lässig an einem Fahnenmast vor dem Flatiron Building im New Yorker Stadtbezirk Manahattan lehnt. Auf der Cover-Rückseite ist Szobel mit freiem Oberkörper abgebildet, wie er mit Fäusten fiebrig auf die Tasten seines Klaviers einhämmert. Es ist ebendiese Mischung aus Coolness und Impulsivität, die sich auch in der Musik seines Albums niederschlägt. Ein beachtlicher, wenn nicht sogar sensationeller Einstieg in die Underground-Jazz-Szene der USA.

So unglaublich diese Geschichte bisher auch klingen mag, ist sie hier leider schon wieder zu Ende, denn nach Veröffentlichung des Albums verschwindet Hermann Szobel – einfach so – wieder von der Bildfläche. Keine Interviews, keine Tourneen, kein zweites Album. Irgendwann, so scheint es, geraten die Dinge aus dem Ruder. Mancherorts wird spekuliert, dass eine psychische Erkrankung oder ausschweifender Drogenkonsum Anteil an dem abrupten Abgang aus dem Showbusiness genommen haben, doch es bleibt alles Spekulation.

Hermann Szobel taucht unter. Angeblich lebt er eine Zeitlang in San Francisco, dann als Straßenkünstler in Jerusalem, bevor sich seine Spur endgültig verliert. Überliefert ist nur mehr ein Foto aus späteren Jahren, als seine Mutter nach ihm fahnden lässt. Versehen mit einer Notiz, dass ihr Sohn eine Leidenschaft für Hunde und Marihuana hat. Die Suche nach dem Verbleib von Hermann Szobel, der vielleicht rätselhaftesten Figur heimischer Musikgeschichte ist – bis heute – jedenfalls nicht abgeschlossen.

11.12.17 FM4 Schnitzelbeats- The mystery of Hermann Szobel

consequenceofsound.net

Eine schnelle Google-Recherche nach dem Album fördert indes die verschiedensten Blogs und Musikjournale zutage, unter anderem einen Artikel im Rolling Stone Magazine über die 40 hörenswertesten „One-Album Wonders”. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis „Szobel“ auch in Österreich als wesentliches Jazz-Meisterwerk gewürdigt wird. Denn wer’s nicht kennt, hat was verpasst.

Und hier noch ein Wort in eigener Sache: Dear Hermann, falls Du diese Zeilen zufälligerweise liest, dann meld Dich doch mal wieder. Die „FM4 Schnitzelbeats“ hoffen, Du bist wohlauf!

Mit Dank und Gruß an Andreas Felber, Alfred Pawlin und Martin Riedler.

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