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Donald Trump in zweifarbigem Comic-Stil mit Mittelalter-Krone

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REWIND 2017

Pop über Trump

Trump ist nicht nur Politik, sondern auch Pop. Das ist ein Rezept seines Erfolges. Was aber sagte 2017 Pop über Trump?

Von Christian Lehner

Seit dem Saxophon spielenden „Elvis“-Presidenten Bill Clinton inszenieren sich Spitzenpolitiker als Pophelden oder Filmstars. Ob Brit-Pop-Blair oder Bogart-Kern, das Image soll über die politische Sphäre hinaus strahlen, cool, glamourös und sexy sein. Barack Obama begann in wichtigen Momenten seiner Präsidentschaft zu singen und gilt überhaupt als das personifizierte Cool aller Amtsinhaber, ein Cool, das allerdings auch viele Schatten seiner Amtszeit überstrahlte.

All diese Typen strebten nach einer positiven Interpretation von Pop. Dann kam Trump und stellte dieses Ding einfach auf den Kopf. Er machte daraus einen grausamen Witz über eine grausame Frisur als Symbol für eine grausame Sicht auf den Menschen und die Politik. Pop Will Eat Itself. Dieses zum Bandnamen gewordene Gesetz instrumentalisierte nicht nur der sogenannte IS, sondern auch der Donald, der dem Duck längst den Rang in Sachen Comics abgelaufen hat.

Trump, das Instinktwesen, kapierte, ohne vielleicht je darüber nachzudenken, dass die Hülle im Pop viel wirkungsmächtiger ist als seine Inhalte und dass das Publikum seine Villains ebenso liebt wie seine Heroes.

Mit „Make America Great Again” hat er darüber hinaus einen „Song“ geschrieben, der auch 2017 die Charts rulte. Kein anderes Lyric hat sich so erfolgreich ins Ohr gesetzt. Wenn wir diese Message auf Facebook ironisch brechen und uns dabei auch ein wenig kritisch vorkommen, tragen wir sie bloß noch weiter in die Welt hinaus. Pop as pop can be.

US President Donald Trump walks from Marine One after arriving on the South Lawn of the White House in Washington, DC, September 27, 2017

AFP PHOTO / SAUL LOEB

Was aber hatte Pop 2017 über Trump zu sagen? So einiges. Die Dichte an politischen Texten war in diesem Jahr sehr hoch. Gefühlt jeder zweite Artist, den ich die letzten 12 Monate gesprochen hatte, kam irgendwann im Lauf des Interviews auf den Elefanten im Raum zu sprechen – egal, ob es sich um eine explizit politische Platte handelte, oder um eine im Privaten verhaftete. Was all diese Künstler, ihre Songs und Alben zusammenhält, ist ein Gefühl persönlicher Betroffenheit. Dabei kollidieren die großen Läufe der Welt auf sehr unterschiedliche Weise mit dem einzelnen Menschen und Künstler.

Dass am Ende ein einziges kritisches Symbol aus der Sportwelt mehr Impact hatte, sagt mehr aus über den schwindenden Einfluss von Popmusik auf gesellschaftliche Prozesse, als über ihre Qualität.

Es folgt eine kleine Oral-History mit Interview-Samples aus den vergangenen zwölf Monaten. Sämtliche Interviews wurden in Berlin aufgezeichnet. Zur Sprache kommen: Ibeyi, Perfume Genius, Austra, EMA, Portugal The Man, Sleaford Mods, Brother Ali, Future Islands, Sinkane, Richard Russell, Grizzly Bear und Algiers.

Richard Russell (Labelboss XL-Recordings)

Mein What-The-Fuck-Moment 2017? Der Tag an dem Trump gewählt wurde. Ich weiß, das war im November 2016, aber dieser Tag hatte einen massiven Einfluss auf das Ibeyi-Album, das wir zu diesem Zeitpunkt schrieben. Wir alle dachten, wir wären in einem Alptraum aufgewacht.

Jason Williamson (Sleaford Mods)

Boris Johnson, Donald Trump und all die anderen Populisten versprechen nun, dass sie den Menschen ihre Identität zurückgeben. Welche Identität denn? Ach, die nationale! Was soll das aber sein? Ich bin mir sicher, Amerika war vor Trump auch „great“. Jedes verdammte Land ist großartig, weil in jedem Land verdammt großartige Menschen leben. Allein schon deshalb ist jede Form von Isolation widersinnig.

Bunch of Kunst

Viennale

Sleaford Mods

Lisa-Kaindé Diaz (Ibeyi)

Plötzlich standen alle diese politischen Themen im Raum, die uns schon lange unter den Nägeln brannten: Feminismus, Rassismus, Polizei-Gewalt. Wir fühlten uns bisher nicht stark genug, angemessen darüber zu sprechen. Das änderte sich mit einem Schlag. Ich glaube, das ging vielen so.

Katie Stelmanis (Austra)

In Nordamerika wachsen wir in einer Corporate-World auf. Jenseits davon gibt es kaum einen sozialen Kitt. Die ganzen neuen Condos, die sie derzeit in Montreal bauen, sind unheimlich depremierende Schuhschachteln, die sich dann aber ohnehin niemand mehr leisten kann. Gleichzeit bekommen wir über die neuen Medien immer intensiver mit, was alles falsch läuft. Ich glaube, es war vor allem eine profunde emotionale Reaktion, die zu Trumps Wahl geführt hat.

Erika M. Anderson (EMA)

Das Album war bereits vor der Präsidentschaftswahl fertig. Ich habe alle Songs noch vor der Bekanntgabe von Trumps Kandidatur geschrieben. Ich glaube, ich hatte einfach einen guten Riecher. Es lag schon länger etwas in der Luft. Ich warnte meine Freunde in L.A. und Portland, wo ich gerade lebe: Hey, da braut sich was zusammen! Aber das war allen egal. Man hat sich nie um das rurale Amerika gekümmert, weil man von dort immer nur weg wollte.

Franklin James Fisher (Algiers)

Viele vergessen, dass die USA bereits vor Trump ein kryptofaschister Staat waren. Das hat unmittelbar nach dem Ende des 2. Weltkrieges begonnen mit dem Mccarthismus, den imperialistischen Kriegen in Südostasien und dem Nahen Osten. Gepaart mit dem Hyperindividualismus und dem verfaulenden politischen Strukturen, zum Beispiel dem antiquierten Wahlsystem, und der Ernüchterung nach dem Obama-High, der Immobilienkrise, für die schlussendlich niemand verantwortlich gemacht wurde und Millionen auf ihren Schulden sitzen blieben, da scheint Trump heute eigentlich als logische Konsequenz.

Algiers in Berlin

Christian Lehner

Algiers

Ali Douglas Newman (Brother Ali)

Die Auswirkungen auf das soziale Gefüge sind verheerend. Auf unsere Moschee wurde ein Bombenanschlag verübt. Meine Frau ist die einzige Schwarze in ihrem Unikurs. Am Tag nach der Wahl sprühte jemand das „N-Wort“ auf die Wand neben der Aula. In Minneapolis kleben Typen Nazi-Stickers auf ihre Autos. Aber wissen Sie was? Meine Frau ist schwarz und kommt aus der Bronx. Meine Familie war immer arm. Unser Leben war also bereits vor Trump ein Alptraum.

Mike Hedreas (Perfume Genius)

Man hatte es immer schwer als Mann in Stöckelschuhen. So rumzulaufen war nie bloß ein Zeichen der Selbstbestimmung, sondern immer auch Protest. Das ist wichtiger denn je. Aber ich gebe zu, dass ich Angst habe. Und ich hasse es. Manchmal ertappe ich mich dabei, mir zu überlegen, ob ich dies oder das wirklich anziehen kann, bevor ich das Haus verlasse. Es zeigt, wie tief diese Dinge in unser Leben eingreifen. Es ist einfach schrecklich, wie sich das Rad der Zeit zurückdreht.

Perfume Genius

Matador Rec

Perfume Genius

Ahmed Abdullahi Gallab (Sinkane)

Das Agressionslevel ist merkbar gestiegen, selbst in New York, wo ich lebe und das als sehr liberal gilt. Viele Freunde erzählen von einschlägigen Konfrontationen auf der Straße. Mir ist so etwas bisher erspart geblieben. Als schwarzer Muslim mit dem Herkunftsland Sudan macht man vor allem an Flughäfen so seine Erfahrungen. Das war aber bereits vor Trump so.

Lisa-Kaindé Diaz (Ibeyi)

Unlängst habe ich gelesen: „Trump ist der Twitter-König“. Das sagt doch alles. Man billigt ihm fast übernatürliche Kräft zu. Es ist absurd, aber er wirkt wie ein mystisches Wesen, verklärt von uns allen.

Erika M. Anderson (EMA)

Ich stamme aus dem Mittleren Westen, ich kann den Frust und Ärger auch ganz gut nachvollziehen, weil ich ihn selbst erlebt habe. Diese Menschen hassen nichts mehr als den arroganten Blick des liberalen Amerika. Sie haben nichts außer ihren Stolz. Das ist der Grund, warum sie bei der Präsidentschaftswahl gegen ihre eigenen Interessen stimmten. Mir ist es wichtig, mit meiner Musik zu sagen: Ich verstehe eure Wut, ich kenne eure Armut, ich weiß, wie pissed-off ihr seid, verdammt ich bin eine von euch, aber es gibt andere Wege als den Hass; man muss deswegen kein intolerantes und bigottes Arschloch werden.

EMA

Alicia Gordon

EMA

John Gourley (Portugal, The Man)

Ich pfeife auf Trump! Der interessiert mich überhaupt nicht. Er ist ohnehin omnipräsent in den Medien. Was mich interessiert ist, was er unserem Land antut, den Menschen. Ich komme aus einer ländlichen Gegend, ich weiß, wie low die Bevölkerung dort gehalten wird, wenn es zum Beispiel um Bildung geht. Niemand sagt den Kohlearbeitern, dass sie neue Jobs bekommen können im boomenden Bereich der erneuerbaren Energie. Stattdessen wird der Keil immer tiefer in die Gesellschaft getrieben. Trump hat jeden einzelnen seiner Wähler über den Tisch gezogen.

Katie Stelmanis (Austra)

Es hat einen guten Grund, warum das Thema Politik wieder im Mainstream-Pop auftaucht. Niemand kann sich mehr vor den gesellschaftlichen Problemen verstecken. Alle fühlen sich betroffen. Viele Songs zeigen diese Probleme auf. Nun fragen sich alle, wie man sie lösen kann. Gerade im Pop ist es möglich, die scheinbar unüberwindliche Gravität der Realpolitik zu überwinden und sich eine ganz andere Gesellschaft vorzustellen.

Ed Droste (Grizzly Bear)

Wir haben im Vorwahlkampf sehr intensiv für Bernie Sanders geworben, daher klingt es unglaublich, aber wir haben tatsächlich Fans, die Trump-Anhänger sind und die uns das auch über Social Media wissen lassen. Wir sind sehr gespannt auf unsere US-Tour. Sie wird uns durch die sogenannten Red States führen, also durch die Trump-Hochburgen. Es ist uns sehr wichtig, dort aufzutreten. Es fühlt sich im Vorfeld aber definitiv anders an als früher.

Grizzly Bear in Berlin

Christian Lehner

Grizzly Bear

John Gourley (Portugal, The Man)

Wir müssen aufhören, den politischen Prozess wie ein Football-Spiel zu betrachten: hier die Republikaner, dort die Demokraten. Das ist Bullshit. geht raus, macht Reisen, redet mit den Menschen, setzt euch im Bus zu einem Muslim, einem orthodoxen Juden, einen Christen, verwickelt sie in Gespräche.

Samuel T. Herring (Future Islands)

Crush Trump, vote Aladdin and take a magic carpet ride over the border.

Ali Douglas Newman (Brother Ali)

Was macht einen Künstler aus? Ich glaube nicht, dass er Antworten auf den politischen Alltag liefern muss. Wichtiger ist, dass er auf sein Herz hört, dass er dort Dinge findet, die er einem Publikum zugänglich machen kann. In der gegenwärtigen Lage fällt es nicht schwer, die Außenwelt zu kritisieren. Aber was macht das mit uns als Menschen? Wie verändert es mein Herz? Habe ich noch einen Sinn für das Schöne in der Welt? Diese Fragen beschäftigen mich.

Erika M. Anderson (EMA)

Ich lebe derzeit in einem Außenviertel von Portland. Auch davon handelt das Album, denn der „Outer Ring“ ist nicht nur eine Metapher für das Außenseitertum, sondern ein realer Ort in den Großstädten der USA. Es ist der Ring zwischen dem Stadtgebiet und der Vorstadt. Er ist weit genug vom Zentrum entfernt, um nicht von der Gentrification gefressen zu werden, aber auch ziemlich unwirtlich und gefährlich. Es ist wie die Stelle, wo der Fluß ins Meer mündet und sich alles mischt. Hier treffen die „Scumbag Boys“, die am Land keine Arbeit mehr finden, auf klassische Immigranten, aber auch auf die verarmende Mittelschicht der Großstädte und Künstler, die mit Wuchermieten aus den Zentren vertrieben wurden. Momentan wirkt dieser Ort zwar eher wie eine Dystopie, aber er hat das Potential zur Utopie. Wenn all diese unterschiedlichen Gruppen es schaffen, eine gemeinsame Vision für ein Zusammenleben zu entwickeln, dann sehe ich auch eine Chance für den Rest des Landes. Das sage ich jetzt als unverbesserliche Nihilistin.

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