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Sprechblasen, in denen "metoo" steht

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REWIND 2017

Die Sprengkraft der #metoo-Debatte

Viele bezeichnen die #metoo Aktion und ihre weltweiten Folgen als die größte gesellschaftspolitische Revolution seit den 70iger Jahren. Und es ist noch nicht vorbei.

Von Elisabeth Scharang

„The Silence Breakers“ sind in diesem Jahr vom US Time Magazine zu den Menschen des Jahres 2017 gekürt worden. Auf dem Cover sieht man fünf Frauen stellvertretend für die Millionen, die weltweit unter dem Hashtag #metoo ihre Geschichte über sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt erzählt - oder sich solidarisiert haben. Im Jahr davor war das Gesicht von Donald Trump als einflussreichste Person 2016 am Cover zu sehen. Was für ein sichtbarer Spagat für die Gleichzeitigkeit von gesellschaftlichem Fortschritt und Rückschritt!

Wer hat mit #metoo gerechnet? Niemand.

Wer hätte im März, als wir rund um den Frauentag vor vollem Haus im phil über „Feminismus für alle“ diskutiert und über den Hass gegen Frauen, damals vor allem gegen Journalistinnen, geredet haben – wer hätte damals daran geglaubt, dass im Herbst ein hochrangiger Politiker wegen sexueller Belästigung an Frauen zurücktreten wird. Niemand. Denn sexuelle Belästigung war Alltag. Wie Hundescheiße auf den Gehsteigen. Aber Hoppla! Kam da nicht ein Gesetzt, um rücksichtsloses Verhalten gegenüber anderen zu bestrafen? Die Geschichte mit dem Gackerl und dem Sackerl und den 38 Euro, die man blechen muss, wenn man seinen Hund auf einen Gehsteig scheissen lässt?

Gesetzte haben wir auch, wenn Menschen im Arbeitsleben sexuell belästigt werden. Aber die Erfolge in der praktischen Umsetzung, also zum Beispiel die Anzeige bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft, die hielten sich in Grenzen. Zumindest bis Oktober und dem Beginn der #metoo Aktion.

Warum? Weil die Betroffenen nach einer Anzeige aus der Anonymität treten. Schnell macht das in einem Büro oder Betrieb die Runde. Die Erfahrung zeigt, dass es oft zu Mobbing gegen die sexuell belästigte Frau kommt. Und letztlich zu einem Jobwechsel. Man hat also selbst nichts falsch gemacht, ist Opfer eines Übergriffs und muss dennoch die Konsequenzen ziehen und sich einen anderen Job suchen - und das ist der kleinst mögliche Schaden für die Betroffenen. Verständlich, dass sich viele diesen Schritt drei Mal überlegen und es oft sein lassen. Wenn man aber nicht die einzige ist, auf die sich alle Augen richten, sondern eine in einer immer größer werdenden Gruppe, die sich laut und öffentlich wehrt und gehört wird, dann ändert das alles.

Gemeinschaft schützt

Bei #metoo war das so. Es haben so viele Frauen aus allen gesellschaftlichen Bereichen erzählt, was ihnen passiert ist, dass die Tür nicht mehr zuzudrücken war. Der Kessel war geplatzt. Es hat sich so viel Wut und Schmerz entladen, dass es Macht- und Machokaliber wie den Filmmogul Harvey Weinstein vom Podest gefegt hat. Und er ist starken Gegenwind gewöhnt.

„How a man in power can do anything he wants to women. Well, not anymore.“

Diese Woche hat die Schauspielerin Salma Hayek in einem Text in der New York Times eine Abrechnung mit dem Macht- und Demütigungssystem von Weinstein geschrieben. Wenn man das liest, fragt niemand mehr: Ja, aber warum haben Sie nicht einfach Nein! gesagt?

Selma Hayek hat im Jahr 2000 unter großem Kraft und Zeitaufwand das Spielfilmprojekt über die Künstlerin Frida Kahlo auf die Beine gestellt. Es war ihr ein persönliches Anliegen und sie war vielen Künstler*innen für deren Engagement im Wort. Produzent Weinstein habe Hayek in dieser Zeit permanent damit erpresst, das Projekt platzen zu lassen, und er war auch nicht bereit, die Rechte für den Film wieder heraus zu rücken, damit Hayek den Film mit jemand anders finanzieren und umsetzten kann. Es sei ein permanenter Psychoterror gewesen, schreibt sie.

Sie hat Nein! gesagt, wenn er nach dem Dreh unangemeldet vor ihrer Tür stand und mit ihr ins Bett oder unter die Dusche wollte. Irgendwann wußte sie, es gibt keinen Ausweg mehr. Er hat ihr immer wieder gesagt, dass sie ein Nobody ist. „Irgendwann hatte ich das Gefühl, ja, das einzige , was du bist ist ein body“, schreibt Hayek.

Salma Hayek in "Frida"

Buena Vista International

Salma Hayek in „Frida“

Just a body

Selma Hayek benennt, worum es bei sexueller Belästigung und sexueller Gewalt geht: Um Macht und Unterwerfung. Sie dachte, schreibt sie, dass sie das alles schon lange verarbeitet hätte, in den letzten Wochen sei aber alles wieder hoch gekommen, die Scham und die Wut.
Und daher diese klar formulierte Abrechnung mit einem System.

Junge Menschen brechen

Als Nicola Werdenigg das System der sexuellen Übergriffe im Sportbereich öffentlich thematisiert, reagieren die Verantwortlichen beim Schiverband zuerst so, als hätte es nicht seit Wochen eine öffentliche, ein globale Diskussion über sexuelle Belästigung gegeben; und als wäre nicht gerade Peter Pilz nach Vorwürfen dieser Art zurück getreten.

Auch hier kommt nach und nach zum Vorschein, worum es geht: Abhängigkeiten ausnützen und erpressen. Gerade bei jungen Menschen, die ambitioniert sind – ob künstlerisch oder sportlich, heißt es: Wenn du gutes Material willst, damit du ganz nach vorne fahren kannst, dann hältst du den Mund und spielst mit. Es ist interessant, wie Menschen, die sich gerade nach ganz oben in ihrer Laufbahn kämpfen, auf die aktuelle Diskussion reagieren, wenn sie öffentlich befragt werden. Sie legen ihren Schutzanzug an bzw zippen ihn bis oben hin zu. Gleichzeitig Opfer und Held*in zu sein, das scheint ein schwieriger Spagat. Auch Solidarität ist schon zuviel. So bleibt es in einer kühlen Distanzierung, die heißt: ich weiß von nichts. Mir ist so etwas nie passiert.
Mit Ausnahme natürlich von Schauspielerin Nina Proll. Das ist eher aus medienanalytischer Perspektive interessant. Wie kann man über die vielen Interviews mit Nina Proll in so vielen Medien nur so lange am Thema vorbei reden?!

Die österreichische Kultur der Verharmlosung

Paul Scharner, der heute 37 ist und als Profifußballer bei Austria Wien, Wigan Athletic und für die österreichische Nationalmannschaft gespielt hat, erzählt Anfang Dezember in einem Interview für den Standard über die Traumatisierung junger Burschen durch brutale Rituale, die nur für eines gut sind: dich zu brechen.
„„Pastern“ bedeutet menschliche Erniedrigung mit gravierenden Folgen. Es gibt in Österreich eine Kultur der Verharmlosung wie beim Alkohol. Drei Bier am Tag sind eh nicht schlimm." Es besteht die Hoffnung, dass unter dem Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit sich künftig viele nicht mehr trauen, die liebgewonnen, grausamen Rituale und Traditionen weiter zu führen.

Genie, Arschloch oder beides?

Noch komplexer wird die Diskussion, wenn die Männer, die nun öffentlich beschuldigt werden, seit oder vor vielen Jahren Mitarbeiter*innen, Kolleg*innen, Student*innen sexuell belästigt zu haben, wenn die zu denen gehören, die wir – das Kollektiv der Film- Musik, Kunstliebhaber*innen – lieben. Dass Kevin Spacey offenbar an keinem Mann unter 30 am Filmset vorbei konnte, ohne ihm auf den Arsch zu fassen, das klingt so nach: Er ist halt ein exzentrischer Filmstar! Da stellen sich bei mir allerdings alle Haare auf.

Der männliche Geniekult, der Künstler davon frei spricht, sich anderen gegenüber mit Respekt zu verhalten, der geht mir so was von auf die Nerven. Kevin Spacey kann in jede Bar gehen und jungen Männern, die das wollen, auf den Arsch greifen, wenn er das aber mit dem Lichtboy am Set macht, dann kann sich der schlecht wehren, weil er sonst rausfliegt. Und selbstverständlich ist Woody Allen ein großartiger Regisseur, trotzdem sollte er sich vor Gericht zu den Vorwürfen seiner Adoptivtochter äußern müssen oder wie der Aktionist Otto Mühl ins Gefängnis gehen, sofern er eine Straftat begangen hat. Die Filme, die sollen trotzdem im Kino laufen. Das Publikum hat ja Hirn und kann den Kontext verändern.
Das war die Fanperspektive.

Die andere Frage ist: Kann man Menschen zumuten, mit Männern oder Frauen zu arbeiten, die ihre Machtposition ausnutzen, um andere zu demütigen? Dann müßten viele ihren Chef*innensessel jetzt räumen, willst du einwerfen? Möglicherweise. Deshalb ist die #metoo Debatte von unglaublicher Sprengkraft und ich bin gespannt, was im kommenden Jahr noch hochgespült wird – und wer davon weggespült wird.

Übrigens : Was wurde aus den 16 Missbrauchsfällen, für die US Präsident Donald Trump beschuldigt wird?

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