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5 Bücher

Septime, Dumont, S. Fischer, Berlin, Mairisch

Die Zukunft lesen

Was die Zukunft bringt, wissen wir nicht. Aber wir haben über die Zukunft gelesen. In fünf Büchern, die sich mit Utopien oder Dystopien im weitesten Sinn beschäftigen.

Buchcover: Jürgen Bauer - "Ein guter Mensch"

Septime Verlag

Jürgen Bauer: Ein guter Mensch. Septime Verlag 2017

Jürgen Bauer

„Ein guter Mensch“

Von Martin Pieper

Jürgen Bauer hat in seinem dritten Roman eine Zukunft erfunden, in der das Wasser knapp geworden ist. Der Sprungturm am Buchumschlag führt in die Irre, ein sommerliches Schwimmbad ist in dieser Welt wohl das Letzte, an das die Klimaflüchtlinge und sogenannten „Durstigen“ denken können. Sie streiten sich um die letzten Trinkwasserreserven, die nach einer nicht näher beschriebenen Klimakatastrophe übrig sind. Das Wasser wird streng rationiert. Brände und Stürme toben über das Land, in dem eine unbarmherzige Sonne alles ausdörrt. In einer politisch instabilen Situation liefert Marko als LKW-Fahrer das begehrte Trinkwasser in Tanks an zentrale Verteilerstellen. Die lokalen Kämpfe darum nimmt er in Kauf. Er ist der titelgebende „gute Mensch“ und hält sich an die Gesetze und diversen Notstandsverordnungen, die durch die stets plärrenden Radios verkündet werden. Sonst kümmert er sich in erster Linie um seinen kranken Bruder.

Jürgen Bauers dystopischer Weltentwurf ist nicht weit weg von post-katastrophischen TV-Serien wie „The Walking Dead“. Statt Zombies ist aber politischer Realismus angesagt, der unangenehm nahe an der mitteleuropäischen Realität gebaut ist.

Was bleibt, wenn die Mittel knapp werden?
Was muss man tun, um ein „guter Mensch“ zu sein oder zu bleiben?

Die allgegenwärtigen Verlusterfahrungen der Protagonisten des Romans und das Auftauchen einer merkwürdigen Sekte, die die hemmungslose Verschwendung von Wasser fordert, erinnern aus der Ferne an eine andere Serie: „The Leftovers“ - dort werden die Risse in der Zivilisation mit Spiritualität und Religion gekittet. Diesen Ausweg lässt uns Jürgen Bauer nicht. Er lässt die Liebe triumphieren oder zumindest eine Vorstellung davon, auch wenn sie vielleicht nur ein Fiebertraum eines Durstigen ist.

Buchcover Mariana Leky - "Was man von hier aus sehen kann"

Dumont Verlag

Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann, Dumont Verlag 2017

Mariana Leky

„Was man von hier aus sehen kann“

Von Andreas Gstettner-Brugger

Sie ist eine der Ältesten im Dorf, die Westerwälderin Selma. Immer wenn sie von einem Okapi träumt, stirbt am Tag darauf jemand aus dem Dorf. Doch keiner weiß, wen es treffen wird. So sind alle in heller Aufregung und manch einer offenbart langjährige Geheimnisse, um die Wahrheit nicht mit ins Grab nehmen zu müssen. Daraus entsteht eine unglaubliche Dynamik, die keinen Stein auf dem anderen lässt. Und auch Selmas Enkelin, die kleine Luise, muss zum ersten Mal erfahren, dass das eigene Leben von einer Sekunde auf die andere auf den Kopf gestellt werden kann.

Mariana Leky ist mit „Was man von hier aus sehen kann“ ein unglaublich lustiges und gleichzeitig tiefgründiges Buch gelungen. Sie kreiert ein Dorf voller liebenswerter Figuren, mit denen wir zittern, wenn sie versuchen, aus dem Alltag auszubrechen. Denn auch wenn die meisten tief in ihren Mustern stecken, haucht ihnen Mariana Leky genügend Lebenslust und Mut ein, um eine hoffnungsvolle Atmosphäre jenseits von Happy-End-Klischees herzustellen. Das macht die Autorin mit klarer, präziser Sprache und einem feinen, leisen Humor. Im Angesicht des vermeintlichen Todes wird den Dorfbewohnern und uns Lesern bewusst, dass wir alle etwas gemeinsam haben: Wir wollen geliebt und angenommen werden, wie wir sind. Insofern ist „Was man von hier aus sehen kann“ ein zutiefst humanistisches Buch.

Buchcover: Dietmar Dath - "Der Schnitt durch die Sonne"

S. Fischer Verlag

Dietmar Dath: Der Schnitt durch die Sonne, S. Fischer 2017

Dietmar Dath

„Der Schnitt durch die Sonne“

Von Ali Cem Deniz

Genau das Richtige für die kalte Jahreszeit. Ein Trip zur Sonne. Das bietet Dietmar Dath in seinem Roman „Der Schnitt durch die Sonne“ an. Rekrutiert von Sonnenwesen wird ein sechsköpfiges Team von Menschen zum Zentralstern geschickt. Sie sollen den Bürgerkrieg auf der Sonne beenden.

Das klingt sehr nach Fiction, aber wie so oft bei Dath gibt es Exkurse in die Popkultur, Wissenschaft und linke Politik. Hard Sci-Fi ist super, aber die neckbeardige Art, mit der Dath linke Randgruppen mathematisch analysiert, nervt. Besonders, wenn man gerade erfahren will, was es mit den Sonnentypen auf sich hat und wie der spannende Plot weitergeht.

Für den kommunistischen Physiker und FAZ-Feuilletonisten Dath sind das vielleicht die spannendsten Stellen. Die vom Klappentext umworbenen H.G.-Wells- und Stanislaw-Lem-Fans bringt das zur Weißglut. Fast so, als wäre man selbst auf der Sonne.

Buchcover: Margaret Atwood - "Das Herz kommt zuletzt"

Berlin Verlag

Margaret Atwood: Das Herz kommt zuletzt, übersetzt von Monika Baark, Berlin Verlag 2017

Margaret Atwood

„Das Herz kommt zuletzt“

Von Irmi Wutscher

Nach der x-ten Wirtschaftskrise ist alles zusammengebrochen. Stan und Charmaine leben in ihrem Auto in einem Wasteland, in dem es nur mehr Junkies und RäuberInnen gibt und die wenigen Arten, Geld zu verdienen, meistens etwas mit Drogen und Sexarbeit zu tun haben.

Doch dann winkt Erlösung in Form des Doppelstädtchens Consilience/Positron: In dem hermetisch abgeschlossenen Sozialexperiment winken Anstellung und Reihenhäuschen all jenen, die sich verpflichten, ein Leben lang dort abwechselnd einen Monat als ZivilistInnen und einen im Gefängnis zu verbringen. Denn so soll es immer genug Produktivität und damit Jobs für alle geben. Das klingt für die beiden wie die Lösung all ihrer Probleme. Aber geht die Rechnung wirklich auf?

Atwood hat hier eine beißende Satire auf das Thema prison–industrial complex geschrieben, bei der es auch einige Seitenhiebe auf zimtschneckenbackende Retro-Fans gibt, die lieber bewusst atmen, als sich mit gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen.

Buchcover: SPRING #14: Yo Future

mairisch Verlag

Spring #14 - Yo Future (Hg.: Spring, Magazin für Illustration, Mairisch Verlag 2017

Spring #14

„Yo Future“

Von Zita Bereuter

„Spring“ ist ein jährlich erscheinendes Magazin für Illustration, Comic und Malerei – ausschließlich von Frauen - einem losen Künstlerinnenkollektiv - gezeichnet. Die aktuelle vierzehnte Ausgabe ist zu dem Thema „Yo Future“. Was leicht und flockig klingt, hat enormen Tiefgang.

Vom Cover blickt ein Mädchengesicht, das verstört und ängstlich im Wasser liegt. Um seinen Kopf schwimmen unterschiedlichste Plastikpuppen. Plastikmüll im Meer? Überbevölkerung? Erstickender Konsum? Selbstgemachte Probleme? Einfache Antworten sucht man in den unterschiedlichst gestalteten Geschichten vergebens.

„Wie draußen Ordnung schaffen, wenn es im eigenen Leben schon so schwierig ist, sich richtig zu verhalten?“, fragen sich die 16 Künstlerinnen etwa. Oder wie man einerseits Ökostrom haben und andererseits am Wochenende schnell nach Rom fliegen kann. Zwiegespräche mit dem lupenreinen schlechten Gewissen. Die Geschichten handeln von Verschwendung, von urbanem Gärtnern mit einem reichen Schnösel und von falschen Versprechungen der Werbung. Es geht um Flüchtlinge, um Sandraub oder um Albträume. Man sieht merkwürdige Monster und Portraits von Donald Trump oder Jane Goodall. Hier wird eine Phantasiewelt geschaffen, da eine Welt zerstört.

Der pessimistische Wolf kämpft gegen den optimistischen. Welcher Wolf wird gewinnen? Der, den du fütterst. „Yo Future“ ist Futter. Nicht einfach zum Verdauen, aber gut fürs Hirn.

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