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Dreckige Tage

Die „dreckigen Tage“ sind da, liebe Leserinnen und Leser. So nennt man in Bulgarien die Zeit zwischen Weihnachten und dem 6. Jänner.

Von Todor Ovtcharov

Während der „dreckigen Tage“ darf man nachts nicht rausgehen. Laut diesem halb-christlichen, halb-heidnischen Aberglauben laufen nachts auf den Straßen Vampire, Werwölfe und Karakonzhuls. Die ersten zwei sind euch von den amerikanischen Filme bekannt und das macht sie nicht so gefährlich. Aber stellt euch vor, ihr würdet auf der Straße eures verschlafenen bildhübschen österreichischen Städtchens einen Karakonzhul sehen! Ihr könnt nicht mal seinen Namen aussprechen. Falls ihr einen seht, muss ich euch erklären, woran ihr ihn erkennt: Der Karakonzhul sieht wie ein großer, haariger Mensch aus, mit einem riesigen Kopf, Hörnern, einem Auge und einem Bein.

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Man glaubt auch, dass man während der „dreckigen Tage“ keinen Sex haben darf, da das Risiko besteht, dass die Kinder, die währenddessen empfangen werden, zu Karakonzhuls werden. Im besten Fall werden sie Säufer. In einigen Regionen Bulgariens darf man während der „dreckigen Tage“ auch nicht waschen und man darf nicht duschen, da das Wasser in der Zeit als unrein gilt.

Leider kann ich nicht alle Voraussetzungen der „dreckigen Tage“ erfüllen. Da ich nachts arbeite, gehe ich wenn es dunkel ist aus dem Haus und komme wenn es dunkel ist nach Hause. In den wenigen freien Minuten, die ich habe, stehe ich an der Tür und beobachte die Straße. Es ist leise. In der Ferne höre ich ein lautes Geräusch. Ist das vielleicht ein Schiff, das in der Donau ankert? Das Geräusch kommt immer näher. Es ist kein Schiff. Die Straßenlampe zeichnet einen riesigen Schatten an die Wand, wie aus einem Film der deutschen Expressionisten. Noch ein Augenblick und Nosferatu wird vor mir sein.

Der Schatten wird größer und größer und dann steht eine Figur vor mir. Das ist der obdachlose Herr H aus Indien. Seinen Kopf hat er in einer roten Decke eingewickelt. Hinter sich schleppt er einen Kinderwagen mit nur drei Rädern. Der Wagen macht das Geräusch, das ich zuvor für ein Schiff gehalten habe. Herr H kommt näher und wird langsamer. Vielleicht hat er Angst vor mir – ich stehe im leuchtenden Viereck der Tür und blase Rauch aus, wegen des kalten Wetters. Ob man da, wo er herkommt, auch an „dreckige Tage“ glaubt? Er kommt an mir vorbei. Er riecht stark nach Knoblauch. Wenn er Knoblauch isst, kann er kein Karakondzhul sein.

Ich stehe noch eine Weile an der Tür. Die Straßen sind menschenleer. In der Ferne weint ein Kind. Kein Karakonzhul weit und breit. In der Früh muss ich nach Hause. Trotz der „dreckigen Tage“ muss ich waschen und die Wohnung putzen. Meine liebe M. kommt nach den Feiertagen nach Hause. Sie ist überhaupt nicht abergläubisch und ich kann ihr wohl schlecht sagen, dass man an den „dreckigen Tagen“ nicht duschen darf.

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