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Isle Of Dogs

Twentieth Century Fox Film

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20 Filme für 2018

Teil 1: Drei Cinephile im Gespräch über Sci-Fi-Filme abseits der üblichen Pfade, Biopics der unkonventionellen Art und magisches Animationskino.

CHRISTIAN FUCHS: Auch wenn die FM4-Community verlässlich jedes Jahr den neuesten „Star Wars“-Teil an die Spitze der Bestenliste wählt, geben wir Filmverrückten die Suche nach spannenderen Alternativen nicht auf. Es muss doch abseits von Jedi-Rittern noch ein Science-Fiction-Kino jenseits gängiger Erwartungshaltungen und pingelig erfüllter Fanträume geben. Und tatsächlich verspricht 2018 da ein besonderes Jahr zu werden. Der britische Genre-Innovator Alex Garland, dem wir den großartigen „Ex Machina“ verdanken, schickt Natalie Portman, Jennifer Jason Leigh und andere tolle Frauen in einen Dschungel an der amerikanischen Grenze, wo unerklärliche Dinge passieren.

Sebastian Selig lebt im Kino und schreibt darüber online ausschweifende Erlebnisberichte, u.a. auch für so aufregend bunte Magazine wie Hard Sensations, NEGATIV oder Deadline.

SEBASTIAN SELIG: Das ist ja überhaupt das Schönste am Kino, dass es uns immer wieder in höchst seltsame, weitestgehend unerforschte Dschungel einlädt. Das neue Sci-Fi-Epos von Alex Garland „Annihilation – Auslöschung“ wird wohl, was das angeht, zu den Highlights des kommenden Jahres gehören. Ein Film, der den Rachen des großen, weißen Albino-Alligators Kino ganz weit aufmacht und uns auffordert, doch einfach mal unerschrocken den Kopf reinzustecken.

Annhilation: weißes Krokodil und drei Menschen

Netflix

Annihilation

CHRISTIAN: Ich habe auch die Southern-Reach-Trilogie des Autors Jeff VanderMeer förmlich gefressen, auf deren erstem Band der Film beruht. Ganz große Sci-Fi-Schreibkunst, die sämtliche öden Stereotypen umschifft und extrem unter die Haut geht. Eine ideale Vorlage für Alex Garland, der die psychedelischen Wunder, mit denen ein Team von Wissenschaftlerinnen konfrontiert wird, laut Trailer perfekt auf die Leinwand bringt.

SEBASTIAN: Leider keine Leinwand, denn traurigerweise ist der Film dem Kinoverleih „zu kunstvoll“. Man bekam nach den ersten Testscreenings kalte Füße und hat „Annihilation“ nun an Netflix verkauft. Nur in den USA, Kanada und China wird er damit noch im kleinen Rahmen im Kino zu sehen sein. Sehr schade.

Christoph Prenner schaut sich immer wieder mal gern Sachen im Kino oder Fernsehen an, über die er sich dann in den schönsten Fällen in Periodika wie SKIP, Wiener oder Prime Time (R.I.P.) buchstäblich freut.

CHRISTOPH PRENNER: Eine verwertungstechnische Schlappe mit Anlauf, in der Tat. Denn auch wenn ich die Vorlage jetzt nicht ganz so vorbehaltlos überdrüber finde, hätte ich auch nur allzu gern in ganzer Breite und Höhe gesehen, welchen offenbar gewagten Spin der visionäre Erzählkünstler Mr. Garland dem Stoff angedeihen hat lassen. Zumal bei der nun anvisierten Ausspielung als Fernsehfilm der Woche ja durchaus die Gefahr besteht, dass da eine echte Großtat im Dschungel der tagtäglich über den geneigten Zuseher hereinbrechenden Schwemme an zugekauftem „Original“-Content mal eben so sang- und klanglos untergeht.

Futuristisches High Life & Einsamkeit im All

CHRISTIAN: Mehr aufregendes Sci-Fi-Kino bitte, im nächsten Fall von einer Regisseurin, die eher als Grande Dame des europäischen Kunstkinos bekannt ist.

SEBASTIAN: Es gibt Filmankündigungen, die klingen so vielversprechend wagemutig, da steht man beinahe schon in Flammen, ehe man auch nur das erste Bild gesehen hat. „High Life“ wird uns tief ins All führen und niemand geringeres als Claire Denis („Trouble Every Day“, „Meine schöne innere Sonne“) wird dort dann auf alle Knöpfe drücken. Mit an Bord befinden sich Robert Pattinson, Juliette Binoche und die wunderbare Mia Goth aus „A Cure For Wellness“. Es geht um eine Gruppe von Gefängnisinsassen, die von Wissenschaftlern zur künstlichen Reproduktion missbraucht werden. Wie immer bei Denis ist aber davon auszugehen, dass hier sämtliche Genregrenzen gesprengt werden und was ganz Eigenes lebendig wird. Gut so.

CHRISTOPH: Apropos Flammen: Mir reicht allein schon die Tatsache, dass sich Pattinson in die Galaxie schießen lässt, um tüchtig aus dem Häuschen zu geraten. Loderte der in der jüngeren Vergangenheit doch ganz besonders hell und heftig.

Robert Pattinson in "Good Time"

Polyfilm

Robert Pattinson

SEBASTIAN: Auch Alice Winocour, der wir den schleichend schönen Thriller „Maryland“ verdanken, zieht es weit weg ins ewig kalte und dunkle All. In „Proxima“ lässt sie Eva Green („Penny Dreadful“) und Lars Eidinger („Personal Shopper“) damit ringen, was eine solche einjährige Mission fürs Familienleben bedeutet. Winocour hat gezeigt, wie nah ihre Kamera dabei kommen kann, und alleine schon schauspielerisch dürfte das ein aufzehrend eindringliches Fest der Liebe werden. Vorfreude de luxe.

CHRISTIAN: Wir bleiben im All. Man kennt den jungen Damien Chazelle als musikbesessenen Regisseur, der sowohl im Drummer-Drama „Whiplash“ als auch im Konsensmusical „La La Land“ auf das perfekte Zusammenspiel von Sounds und Emotionen setzt. Wird spannend, wie er sich einem ganz anderen Stoff nähert. In „First Man“ darf Ryan Gosling als erster Mensch den Mond betreten. Shootingstar Claire Foy wartet als Neil Armstrongs Ehefrau Janet zuhause vor dem Bildschirm. Bleibt zu hoffen, dass Chazelle dem etwas erstarrten Biopic-Genre unerwartete Facetten hinzufügt.

CHRISTOPH: Absolut. Aber wer es schafft, dass einem bei bisherigen persönlichen roten Tüchern wie Jazz und Musical die Augen zu leuchten beginnen, dem ist nun ja echt alles zuzutrauen. Das Odeur von Oscar-Politur hängt da jetzt schon heftig in der Luft.

Radegund: Zwei Menschen mähen eine Wiese in den Bergen

Studio Babelsberg

Radegund

Störrische Männer & wilde Hunde

SEBASTIAN: Wenige Filme haben tatsächlich so vibriert, kamen für mich dem Gefühl von echtem Leben gleich, wie „Knight of Cups“ und „Song to Song“, die letzten beiden Werke von Terrence Malick. Nun folgt 2018 von ihm ein Bio-Pic. „Radegund“ erzählt vom Fall des Österreichers Franz Jägerstätter, der in der Nazizeit den Kriegsdienst verweigerte und dafür hingerichtet wurde. Ich bete, Malick möge seinen inzwischen zur hemmungslosen Perfektion ausgereiften Erzählstil auch hier wieder einfach flirren lassen und uns einen Kinofilm schenken, der so gar nichts mit dem sonst leider immer drögen „Nach einer wahren Begebenheit“-Kino gemein hat.

CHRISTIAN: Mir hat der involvierte Schauspieler Johannes Krisch erzählt, dass es kein Drehbuch gab und die Erfahrung einmalig und bizarr war. Also anscheinend der abstrakte Malick-Stil, den viele hassen und wir lieben. Diesmal mit europäischen Stars wie August Diehl, Matthias Schoenaerts, Valerie Pachner, Bruno Ganz und, in seiner letzten Rolle, Michael Nyqvist, die sich der Improvisation hingeben.

CHRISTOPH: Malick selbst meinte ja, dass „Radegund“ durchaus wieder geordneter geraten ist als seine letzten Filme – von einer klassischen narrativen Struktur sollte man aber wohl dennoch nicht ausgehen. Und ja, stark, dass der österreichische Top-Typ Krisch nach seinem schmissigen, auch international stark beachteten Auftritt in „Aus dem Nichts“ erneut in der großen Auslage stehen wird.

CHRISTIAN: Und dann kommt da noch ein Biopic von einem Malick-Schüler im Geiste oder?

SEBASTIAN: Nach dem ungewöhnlich eigenwilligen Disney-Film „Pete’s Dragon – Elliot, der Drache“ hat man eigentlich schon ahnen können, was dann Ende 2017 mit „A Ghost Story“ zur Gewissheit wurde: Kaum einer dreht gerade in Hollywood eindringlich feinfühligere Kinofilme als David Lowery. Im neuen Jahr wird er nun ein Biopic über Forrest Tucker (Robert Redford) nachlegen, einen Berufsverbrecher, dem es bis zu seinem 80. Geburtstag 18 Mal gelang, aus dem Gefängnis auszubrechen. Mit dabei in „Old Man and the Gun“: Sissy Spacek, Casey Affleck, Tom Waits und die wunderbare Elisabeth Moss („The Handmaid’s Tale“). Rockt.

Phantom Thread: Schneider passt Frau weißes Kleid an

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Phantom Thread

CHRISTOPH: Glücklicherweise wird 2018 auch wieder eines jener Jahre sein, in denen man sich gleich über eine doppelte Dosis Anderson freuen wird dürfen – und das sogar schon sehr bald.

CHRISTIAN: Im Februar kommt nämlich einerseits „Phantom Thread - Der seidene Faden“ von Paul Thomas Anderson in die Kinos. Ein Film, der mit einer Oldschool-Eleganz, die an ganz große Regiemeister erinnert, die verquere Liebesgeschichte zwischen einem Modedesigner und seiner Muse erzählt. Und dabei, mit Daniel Day-Lewis in seiner Abschiedsrolle und der umwerfenden Newcomerin Vicky Krieps, sämtliche verstaubten Stereotypen über störrische Künstler und vermeintlich fügsame Frauen demontiert.

Siehe auch: Jan Hestmann über den Trailer zu „Isle Of Dogs“

CHRISTOPH: Und dann feiert anderseits auch die neueste Arbeit von Wes Anderson im Rahmen der Berlinale ihre Weltpremiere. „Isle Of Dogs“ wird dabei in die Fußstapfen seines exzellenten „Fantastic Mr. Fox“ treten – oder sollte man Pfotenabdrücke sagen? Jedenfalls: Erneut charmant angeschrägtes animalisches Abenteuer, erneut in einnehmender Stop-Motion-Technik; offenkundig diesmal von Kurosawa inspiriert. Selbstredend, dass sich der Voice Cast mit Namen wie Bryan Cranston, Edward Norton, Bill Murray, Greta Gerwig, Scarlett Johansson, Frances McDormand, Harvey Keitel oder Tilda Swinton dazu wie ein Who’s who aller möglichen Extraleiwanden liest.

Isle Of Dogs

Twentieth Century Fox Film

Isle Of Dogs

High By The Beach

SEBASTIAN: Auffallend viele Filme zieht es 2018 an einen besonders magischen Ort: runter an den lichtdurchfluteten Strand. 2018 dürfen wir dort endlich mal wieder einen Sommer mit Harmony Korine verbringen, dessen Meisterwerk „Spring Breakers“ bereits der heißesten Jahreszeit für immer ein Denkmal gesetzt hat. Dort treffen wir auf „The Beach Bum“ Matthew McConaughey, der hier dauerbekifft nach seinen ganz eigenen Regeln lebt. Snoop Dogg und Zac Efron mischen sich unter die Obdachlosen. Den Sand wird man anschließend noch im Dezember in den Sandalen knirschen spüren. Versprochen.

CHRISTOPH: Zeit wurde es, dass Korine bei seiner Florida-Trilogie endlich mal nachlegen darf. Nachdem sein „The Trap“ ja leider irgendwie, äh, versandet ist und er zuletzt öfter vor – wenngleich auch überaus frisch in der zweiten Staffel von „The Girlfriend Experience“ – als hinter der Kamera anzutreffen war. Außerdem könnte McConaughey eine weitere McConnaissance mittlerweile auch schon wieder gut vertragen. Und hey, die hervorragende Bria Vinaite aus „The Florida Project“ ist, ganz bundesstaatengerecht, auch mit an Bord – womit wir auch schon bei der letzten Vorfreudeschürung dieses ersten Vorschauteils angelangt wären.

The Florida Project: Kind in Einkaufswagen, und junge Frau

A24

The Florida Project

CHRISTIAN: Du schwärmst über diesen Film von Sean Baker hymnisch seit seiner Viennale-Premiere.

CHRISTOPH: Eine ganz große Herzensangelegenheit, das. Persönlicher Lieblingsfilm der vergangenen Saison, jetzt auch endlich mit heimischem Kinostart. Das Leben, ein einziger großer Abenteuerspielplatz. Wettweitspucken, hemmungslos herrlichsten Blödsinn schnattern, rumstromern. Um ein magisches Schloss, gebaut auf den Trümmern des amerikanischen Traums, 35 Dollar (zuviel) die Nacht. Mittendrin Willem Dafoe, so gut wie fast noch nie – und trotzdem eindeutig nur zweiter Sieger hinter Lil Instant-Superstar Brooklynn Prince.

CHRISTIAN: Ich freu mich sehr drauf - und auch auf den zweiten Teil unserer kleinen Vorschaufestspiele demnächst.

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