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CC BY-SA 3.0 von Henning Schacht https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Peter_Ramsauer_-_Verkehrsminister.jpg

MARC CARNAL

Meine Pläne als Bildungsminister

Parlamentarische Routine ist längst mehr Bürde als Kriterium für eine Express-Karriere als Minister. Kompetenzoriginelle Quereinsteiger aus der Mitte der Gesellschaft sind gefragter als graue Langzeit-Bonzen. In dieser kleinen Serie skizziere ich meine Vorhaben für verschiedene Ressorts, falls mir demnächst ein Ministerposten angeboten wird.

Von Marc Carnal

Die politischen Novizen Juliane Bogner-Strauß, Heinz Faßmann, Hartwig Löger und Margarete Schramböck haben sich noch unlängst ihre Sporen als Molekularbiologin, Universitätsprofessor, Vorstandsvorsitzender und Managerin verdient, bevor sie über Nacht in höchste politische Ämter gehievt wurden. Es ist also nicht völlig auszuschließen, dass auch mir diese Ehre eines Tages zuteil wird. Falls ich bald ein Ministerium leiten sollte, möchte ich bereits im Vorfeld die Bevölkerung über meine Reformpläne informieren, um sie nicht unvorbereitet mit meinen radikalen Plänen zu konfrontieren.

Wenn ich Bildungsminister werde, blühen dem Schulwesen radikale Reformen, die schnell auf internationale Nachahmung stoßen werden.

Nach dem Kindergarten kommen die Gschrappn in die Schule. Die Begriffe Volks- und Hauptschule oder Gymnasium werden abgeschafft, das Ganze heißt einfach Schule.

Unterrichtet werden die Kinder in den ersten fünf Jahren in Form eines unterhaltsamen Highclass-Frontalunterrichts von bestens ausgebildeten Spitzenpädagogen, die mit sagenhaften Nettolöhnen aus den Konferenzräumen und Businessloungen des Landes gelockt werden. Der Beruf des Lehrers ist ob der traumhaften Arbeitsbedingungen begehrten denn je, ins Klassenzimmer schafft es aber nur noch die absolute Elite der Bewerber.

In dieser Zeit lernen die Kleinen die wichtigsten Kulturtechniken (Schreiben usw. usf.), dazu kommt Englisch und tägliches Turnen, damit sie nicht blad werden. Aus dem Lehrplan wird das Wesentliche destilliert. Kein Mensch braucht in seinem späteren Leben das Längenmaß Dezimeter, die Textgattung Erörterung oder Talent im Ausmalen von Jesusbildern. Statt unzähliger schulspezifischer, alltagsuntauglicher Infos wird die Kunst des selbstständigen und kritischen Wissenserwerbs intensiv gelehrt.

Nach fünf Jahren können die Schüler lesen, schreiben und rechnen, ein bisschen Englisch parlieren und ein paar Hauptstädte oder Planeten aufzählen, vor allem aber sind sie dank ihrer Premium-Lehrer vielseitig interessiert und haben gelernt, ihre Wissbegierde selbstständig zu befriedigen.

Mit der sechsten Schulstufe endet die Zeit des klassischen Unterrichts. Ab jetzt können die Kleinen unter Berücksichtigung ihrer Schlafgewohnheiten die Schule nach dem Gleitzeit-Modell besuchen. Wer lieber erst gegen Mittag kommt, muss halt länger bleiben. Rücksicht auf die Arbeitszeiten des letzten Jahrhunderts oder die Eltern sind ab jetzt hinfällig, Elfjährige können schließlich alleine in die Schule fahren.

Beispielaufgaben:

  • Erlerne innerhalb einer Woche auf einem Saiteninstrument deiner Wahl ein Lied, in dessen Titel sämtliche Vokale vorkommen, addiere die Anzahl aller Viertelnoten in Strophe und Refrain, errechne die Quersumme und finde ein börsennotiertes Unternehmen, dessen jüngste Dividende sich prozentual um genau diese Zahl gesteigert hat.
  • Baue im November ein Vogelhaus mit einem Volumen von höchstens 0,7 Kubikmetern, wobei sämtliche dafür verwendeten Materialien maximal 40 Euro kosten dürfen, errechne den ungefähren CO2-Fußabdruck deiner Arbeit, veredle dein Werkstück mit einem kleinen Detail, das aus einer Gruppe von zehn Mitschülern nachweislich mindestens zwei zum Lachen bringt, befülle das Vogelhaus mit artgerechtem Futter für drei verschiedene heimische Vogelarten und schreib schließlich ein Sonett auf Englisch aus der Sicht eines Buchfinks über dein Projekt.
  • Erstelle ein fiktives Instagram-Profil aus der Sicht eines Hundes und poste einen Monat lang täglich mindestens zwei Fotos oder Videos, die typische Motive, Beschreibungstexte und Hashtags persiflieren.

Von nun an bekommt jeder Schüler monatlich eine Liste an Aufgaben*, die er vorrangig alleine lösen muss. Ist jemand dazu nicht in der Lage, können Mitschüler um Hilfe gebeten werden, die natürlich bereitwillig geleistet wird, schließlich könnte man bei der nächsten Aufgabe auch umgekehrt Unterstützung gebrauchen. Das fördert den Gemeinschaftssinn, man will sich die guten Beziehungen im vielfältigen Kompetenz-Netzwerk ja nicht verbauen - jedes potenzielle Mobbingopfer kann irgendwas besonders gut.

Zur Unterstützung arbeitet an jeder Schule ein kleiner Kreis an erwachsenen Experten, die von den Schülern bei großer Ratlosigkeit konsultiert werden können. Zusätzlich sorgen ein paar Sozialpädagogen für eine halbwegs entspanntes Miteinander. Diese Personaleinsparungen finanzieren die horrenden Lehrerlöhne in den ersten fünf Jahren. Mein Modell basiert auf der These, dass unsere Schulen nicht mehr, sondern weniger Lehrkräfte brauchen!

Die gelösten Aufgaben werden regelmäßig einer Kommission präsentiert. Hat ein Schüler 200 dieser Aufgaben zufriedenstellend gelöst, hat er unabhängig vom Alter die Schule beendet und bekommt ein Abschlusszeugnis, indem anhand seiner Bemühungen die Stärken und Talente umrissen werden. Manche schließen ihre Schullaufbahn bereits mit 15 ab, andere erst mit 20.

Ist man mit der Schule fertig, darf man hackln gehen oder studieren.

Nachdem ich kein Akademiker bin, mangelt es mir in diesem Bereich zwar an hinreichenden Einblicken. Doch auch mein Blick von außen ist gestochen scharf. Deshalb plane ich auch für die Universitäten eine saftige Reform:

Eine Handvoll Studienrichtungen wie Medizin oder Rechtswissenschaften bleiben natürlich unangetastet. Wer Urologe oder Staranwalt werden möchte, soll das ruhig ordentlich lernen. Die allermeisten Fakultäten werden unter meiner Regentschaft aber aufgelöst. Ich fand es insgeheim schon immer ein bisschen doof, dass man sich als Student gleich am Beginn entscheiden muss, ob man Tubist, Afrikanist oder Genderspezialist werden möchte.

In meinem Modell können Studenten einfach alle Vorlesungen und Seminare aus sämtlichen Fachgebieten besuchen, die sie ansprechend finden. Vormittags Mikrobiologie-Vorlesung, mittags ein Seminar über experimentelle Bauteilcharakterisierung, nachmittags Wirtschaftspädagogik, abends Latein.

Nach 50 Prüfungen errechnet ein schlauer Algorithmus eine Tendenz in den Neigungen und Interessen jedes Studenten und grenzt anhand derer das weitere Angebot dezent ein. Dennoch bleibt die Auswahl groß.

Hat man 100 Prüfungen absolviert, muss man eine Abschlussarbeit schreiben. UND ZWAR EINE INTERESSANTE! Nix mit Blabla-Themen wie „Das Geschäftsmodell als Basis für den Unternehmenserfolg“ oder „Der Einfluss des Alters auf den Medienkonsum“. Diplomarbeiten müssen fundiert, ausführlich, investigativ, schillernd und beherzt sein. Wer über diese Anforderungen auch nur einmal jammert, wird der Uni verwiesen!

Hat man die Abschlussarbeit geschrieben, wird anhand des Themas und aller absolvierten Prüfungen von einem ebenfalls sehr schlauen Algorithmus ein individueller Titel generiert. So könnte man beispielsweise als „Religionspädagogischer Anglo-Betriebswirtschafts-Astronom“ oder „Sinologischer Volkswirtschafts-Botaniker“ die Uni verlassen und mit diesen interdisziplinären Deluxe-Skills sogleich eine steile Karriere starten.
Klingt doch vernünftiger, als Tausenden Theaterwissenschaftlern den Mindestsicherungsantrag gleich ans Zeugnis anzuheften, oder?

Soweit meine Pläne als Bildungsminister.

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