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Dolores O'Riordan

GUILLAUME SOUVANT / AFP

Dolores O’Riordan ist tot

Die Musikerin und Sängerin der Band The Cranberries ist unerwartet im Alter von nur 46 Jahren in London gestorben.

Von Christian Pausch

Ich erinnere mich an eine Schulreise nach Ost-Europa für die ich zwar meinen Discman (es waren die frühen 2000er) eingepackt, aber aus unerfindlichen Gründen nur eine einzige CD mitgenommen hatte: „Stars: The Best of 1992-2002“ von The Cranberries. Die Enttäuschung darüber, dass ich meine sorgfältig für die Reise bestückte CD-Box tatsächlich in meinem Kinderzimmer vergessen hatte, wich allerdings schnell einer großen Begeisterung für diese eine CD, die zum Glück in meinen Rucksack gerutscht ist. Viele Stunden im Bus durch Tschechien, Polen, die West-Ukraine und Ungarn kommen mir seitdem in den Sinn, wann immer ich Dolores O’Riordans Stimme höre. Diese Stimme, die so einzigartig ist und unverkennbar.

The Cranberries haben sieben Alben und zwei Best-Of-Alben veröffentlicht. Erst 2017 erschien eine Zusammenarbeit mit dem Irish Chamber Orchestra unter dem Titel "Something Else“.

Hits wie „Linger“, „Salvation“, „Ode to my family“, „You and Me“, „Animal Instinct“, oder der titelgebende Song "Stars“ waren der Soundtrack dieser Reise. Doch es sind nicht nur die Lenin-Statuen, die in der Ukraine noch öffentliche Plätze zierten, während sie in Ungarn bereits in Museen verwahrt wurden, die ich mit The Cranberries verbinde, es sind auch gänzlich andere Orte: die vielen Tanzflächen unzähliger Sommer-Kirtags-Partys. Denn dort lief immer und läuft wohl bis heute der Welthit der Band aus dem Jahr 1994: "Zombie“.

Als pseudo-reflektierter und Songtext-affiner Teenager hat es mich immer schon immens gestört, wie ungeniert zu diesem Lied getanzt und mitgegröhlt wurde, wo doch alle hätten wissen sollen, dass es sich um ein tragisch-kritisches Lied handelte. Es ist neben „Sunday Bloody Sunday“ (1983) von U2 - übrigens wurde auch dieses Lied auf den gleichen Festen als Party-Hit verstanden – der wohl berühmteste Song zum Nordirlandkonflikt. Die katholische Irin O’Riordan besingt in „Zombie“ den Tod zweier Kinder, die bei einem Bombenattentat der IRA am 20. März 1993 im englischen Warrington ums Leben gekommen sind:

Another head hangs lowly
Another child is slowly taken
And the violence, caused such silence
Who are we mistaken?

Im Jahr 1993 – also ein Jahr vor der Veröffentlichung des Liedes – sind durch den Terror der IRA in London, Warrington und vor allem in Belfast insgesamt dreizehn Menschen ums Leben gekommen und über 150 wurden verletzt.

„Zombie“ ist einer der wenigen Cranberries-Songs mit deutlichem Rock-Gitarrenriff und sticht im Schaffen der sonst eher sanft-poppigen Band hervor. Dass der Song trotz des tragischen Inhalts auch Party-Qualitäten besitzt und dass das okay und sogar ein großer Teil des Erfolges dieses Liedes ist, wurde mir erst später bewusst. Heute akzeptiere ich die grölenden Partygäste auf 90er Partys, auch wenn ich immer noch dafür bin, sich hin und wieder den Ursprung des Liedes in Erinnerung zu rufen.


The Cranberries live in Wiesen, 2010.

Meine Best-Of CD läuft hier gerade auf Repeat. In meiner Erinnerung sehe ich weite ungarische Ebenen, polnische Häuserreihen und tschechische Atomkraftwerke vorbeiziehen. Ich sehe meinen ukrainischen Gast-Bruder und mich mit jeweils einem Stöpsel im Ohr die Schule schwänzen und – beide nur dem Schul-Englisch mächtig – über die Bedeutung von Dolores O’Riordans Texte sinnieren.

Die Musik und Texte der Cranberries haben für mich bis heute eine ganz spezielle melancholische Schönheit, wie man sie sonst nur noch im Soundtrack von Teenage-Roadmovies findet. Ein wenig kitschig, nicht zu komplex, aber immer grundehrlich.

We used to be so free
We were living for the love we had
Living not for reality
(…)
We’ll always be this free
We will be living for the love we have
Living not for reality

Zuletzt hat O’Riordan zusammen mit Andy Rourke (The Smiths) unter dem Namen D.A.R.K. im September 2016 ein Album veröffentlicht. Die Sängerin ist heute im Alter von nur 46 Jahren in London verstorben. Sie war für eine Aufnahme-Session in die britische Hauptstadt gekommen. Zu den Umständen ihres Todes ist derzeit noch nichts bekannt.

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