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Tisch mit Bier, Tabak, Papers in einer dunklen Bar

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Ein typisches Wiener Beisl

Wenn man eine Melange oder einen Chai Latte trinken will, ist man hier nicht am richtigen Ort.

Von Todor Ovtcharov

So eine Bar gibt es in den meisten Wiener Bezirken. Doch viele von euch werden sich nie reintrauen. Bereits an der Tür riecht man Tschick und billige WC-Reiniger. Menschen mit abgenutzter Kleidung sitzen an der Theke und betrachten die Welt mit Augen, die das Tageslicht meiden. Wenn man eine Melange oder einen Chai Latte trinken will, ist man nicht am richtigen Ort.

Die Wände sind tapeziert mit Mahagonimitation, die Sitzmöbel gepolstert mit floralen Muster-Stoffen. An der Wand hängen bunte Girlanden. Niemand weiß, ob sie wegen dem vergangenen Weihnachten oder wegen dem kommenden Fasching da sind. Die Girlanden sind ganzjährig da.

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Aus der Ecke dröhnt eine bunte Jukebox, wo ein zahnloser Onkel mit Tschick im Mund die eklektische Playlist aus deutscher Schlagermusik und Rock’‘n‘ Roll-Hits der 50-er und 60-er zusammenstellt. Der Zigarettenrauch ist allgegenwärtig. Er wurde aufgesaugt, von den Möbeln, von der Jukebox und vor allem von der Klientel, die so wirkt, als ob sie in die Barhocker eingenagelt wäre. Der Barbetreiber meint: Gott segne die neue Regierung, die uns weiterrauchen lässt. Österreich ist ein Raucherparadies, und so soll es auch bleiben!

Diese Bar ist wie aus den Liedern des neuen Wiener-Lied-Barden Voodoo Jürgens entsprungen, in einem Stadtteil mit jeder Menge Dönerbuden, Shishalokalen, Call Shops, Ethnoshops und Laufhäusern rundherum.

Unsere Bar hat auch ein bisschen Puff-Flair – der Chef hat einen pimpmäßigen weißen Anzug an mit einem orangenen Schal. Dazu kommt eine goldene Uhr, auf die er dauernd schaut. So sehen in amerikanischen Filmen Leute aus, die auf die Mafia warten, die sich das Schutzgeld holen kommt. Unser Mann will aber, dass wir alle wissen, dass er eine goldene Uhr hat. Nächstes Mal frage ihn, wie viel sie gekostet hat.

Unter der Klientel gibt es Frauen, die wie ehemalige Opernsängerinnen aussehen, mit einem voluminösen Brustkorb und verrauchten, tiefen Altstimmen. Es gibt Bauerarbeiter mit dreckigen Arbeitshosen und gewöhnliche Trinker, die nicht wissen, was sie in ihren Spritzern ertränken – ihr Leid oder sich selbst.

Das ist ein typisches Wiener Beisl. Es gehört zu dieser Stadt ebenso wie das Neujahrskonzert. Und wenn viele zum Neujahrskonzert aus reinem Snobismus gehen - hier treten alle mit reinen Gefühlen ein. Manchmal sitze ich dort mit meinen Kollegen nach Ende einer Schicht. Von der Seite unterscheiden wir uns wahrscheinlich nicht von der Stammklientel.

Bildcredits ganz oben:
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Mit dieser Klientel kann ich mich stundenlang unterhalten. Alle sind gleich interessant – die Prostituierte, der Kanalarbeiter, der Maler mit seinen ewig braunen Fingernägeln. Sogar die zufällig hereingetretenen versinken in dieser Bar und kommen nie wieder heraus: So wie ein Charles Aznavour-Fan, der für ein Konzert nach Wien gekommen war. Er ist so lange im Lokal geblieben, dass er sein Konzert fast verpasst hätte. Ich glaub, ab einem gewissen Moment war es ihm egal, ober zu einem Charles Aznavour- oder zu einem AC/DC-Konzert geht. Gestern unterhielt ich mich mit einem besoffenen Iren, der traurig über den Tod der Cranberries-Sängerin war. Er sagte mir in seinem kaum verständlichen Englisch: „Bis ich da rauskomme, werde ich zum Zombie!“

An der Wand hängt eine Tafel: “Reine Luft ist der Tod der Intelligenz! Wer reine Luft will, soll zum Zentralfriedhof!” Noch sind aber alle da.

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