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Ein Kunstwerk, Gitternetzwerk und Bleistiftzeichnung

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Meine Bekannte PG ist eine Königin der Kunst

Immer wieder läuft mir meine Bekannte PG über den Weg. Während sie für Performances übt, verkaufe ich Bier.

Von Todor Ovtcharov

Das vorletzte Mal traf ich auf PG vor ungefähr zehn Jahren. Ich verkaufte Bier an Fußballfans im Prater. Rundherum roch es nach Pisse und Rülpsern. PG hatte sich ein neues Kleid gekauft. Im Meer der schwitzigen Fußballtrikots sah sie wie ein Geist aus. Ihr Kleid war kurz, fast inexistent. Es war eines dieser Kleider, die aus zwei Stoffstücken bestehen und eine vierstellige Summe kosten.

Ich sagte ihr, dass es kaum einen unpassenderen Ort gibt, um ihr neues Kleid anzuziehen. Sie lächelte mich an wie Mona Lisa und erklärte mir, dass sie gerade für ein Performance übt.

Sie arbeite an ihrer Technik. Jedes Treffen mit einem Publikum bringe sie als Künstlerin weiter. Sie könne sich nicht mit Blödsinn beschäftigen, wie ich es machte. Das Ergebnis der Kunst sei ephemer und die Suche - ewig. Ich konnte ihr nicht erklären, dass ich keine emphemere Wurst essen kann und ich deshalb hackeln muss. Deshalb winkte ich ihr auch zu - nicht so grazös wie sie, da ich in meiner Hand zwei Bier hielt. Sie verschwand unter den Fans. Während ich weiter Bier verkaufte, dachte ich über die ephemere Kunst nach. Es ist leicht für PG eine Künstlerin zu sein. Ihre Eltern haben viel Geld und können sie unterstützen. Alleine ihr Kleid kostete so viel, wie drei meiner Gehälter als Barkeeper. Ich fragte mich, ob ich sie beneiden soll und träumen soll, wie sie zu sein? Aber viel Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht, da ich weiter Bierkisten schleppen musste. Und sie waren gar nicht ephemer, sondern eher schwer.

Ab und zu hörte ich was über PG. Ich hörte, dass sie in London studiert, dass sie in einem Ashram in Indien lebt, dass sie ein Praktikum bei Lagerfeld und bei Gaultier gemacht hat. Oder vielleicht machten sie ein Praktikum bei ihr?

Vor einigen Tagen sah ich in der Menschemenge einen farbigen Fleck. Eine junge Frau in einem grünen Anzug mit einer Orange in der Hand. Die Kombination des grünen Stoffs mit der orangen Frucht war bemerkenswert. Das war PG. Ich freute mich, sie zu sehen. Sie freute sich auch. Sie fragte mich, was ich mache. Ich erklärte ihr, was ich gerade arbeite. „Aber bitte, du machst weiter mit deinen blöden Jobs? Du musst dich weiterentwickeln!“ Ihre Stimme war weich und klar wie jene der Frauen, die die Zahlen beim Bingo aufsagen. Ich versuchte ihr zu widersprechen, als ich erklärte, dass ich in meinem Job das echte Leben betrachte. Ausserdem muss ich was essen. Sie lächelte mich gutmütig an, wie eine Königin.

„Wenn es dir Spaß macht...“, sagte sie „Mach weiter! Und ruf irgendwann an!“ Sie zog weiter in ihrem Anzug für eine vierstellige Summe. Ihre Telefonnummer gab sie mir nicht. Sie ist eine Königin und ich bin ein Prolet. Sie ist ephemer und ich bin ein Materialist. Eigentlich ist sie kein böser Mensch. Nur ihr Vater hat viel Kohle. Und wenn ich so weiter mache, kommt es mir vor, dass ich von Proletarierneid erfüllt bin...

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