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Rhye

Genvieve Medow

Sing me a lovesong

„Blood“ heißt das zweite Album von Rhye, es ist die erwartungsgemäße Fortsetzung des erfolgreichen Debuts „Woman“. Leider aber auch nicht viel mehr.

Von Lisa Schneider

Schreib’ mir ein Liebeslied. Und sie hat zehn bekommen: Mike Milosh, Kopf und mittlerweile einziges Mitglied der kanadischen Band Rhye, hat seiner Freundin das Album „Blood“ gewidmet. Vielmehr noch, es behandelt ihre gemeinsame Beziehung, aber auch die, die sich nur um das Ich mit dem Ich dreht. “It’s about reapproaching life, finding myself again, falling in love again. “Song for you” is therefore the most explicit song off “Blood”, it centers the whole idea, and when I wrote it as the last song to be finished for this record, I knew the project was complete.”

Das Thema, um das sich alles dreht

“Song for you” trägt also schon im Titel, wofür alles steht: “It was a very emotional scenery, recording this song. Even at the studio, I couldn’t barely – and all the others too – keep the tears from floating.”

Dass Mike Milosh über die Liebe schreibt, ist nichts Neues. Sein erstes Album, 2012/13 aufgenommen gemeinsam mit dem holländischen Produzenten Robin Hannibal, war ebenfalls einer Frau, seiner mittlerweile verflossenen Liebe gewidmet. “Woman” katapultierte sich als dezentes, fein anschmiegsames Schlafzimmer-R’n’B-Projekt in unzählige Spotify-Listen und erhielt euphorisches Feedback – und beschert Rhye schon nur mit dem Aufkommen des Gerüchts um ein zweites Album genug mediale Aufmerksamkeit.

Die wollte er eigentlich gar nicht. “I don’t aim to be a celebrity. If you don’t use your face as the first thing people see on the records, which pops up in the listener’s minds while listening to those songs, it allows their imagination to run with the sound. To create your own vision of what the project is, and there’s something really beautiful to that."

‚I don’t want to hide‘

2013, als “Woman” erschienen ist, war Mike Milosh gar nicht so einfach googlebar. Verstecken wollte er sich nicht, aber eben die Musik in den Vordergrund stellen. So hat er auch seine ersten Musikidole kennengelernt, erzählt er über eine leicht kratzige Telefonleitung nach L.A., wo der Kanadier mittlerweile lebt. “I’m talking about Led Zeppelin, for example. They didn’t put their foto on the cover of their LPs. It was not about the subject producing the music, but more of the individual listener to create their own picture.”

Hört man sich das erste Album von Rhye ohne Vorkenntnisse an, könnte man meinen, es sänge eine Frau. Und genau das hat Mike Milosh perfekt hineingepasst in das Mysterium rund um eine Band, von der niemand genau wusste, wer eigentlich dahintersteckt.

Gleichzeitig sieht er die Geheimniskrämerei nicht als Marketing-Gag. Als das Album Erfolg einfährt und die jahrelange Tour folgt, ist klar: “It would be a gimmick if I now would say: no fotos, please. People saw my face, at all those concerts, saw it in daylight. It’s also not that I want to hide. I just don’t ever want my personality to slip into the foreground.”

Lebenselixier

Die feminine Note, die Mike Miloshs Stimme in die Songs von Rhye einbringt, ist auch nach wie vor das, was sie bündelt und zusammenhält. So wurde “Blood” als Albumtitel herangezogen, er erklärt die Wortwahl als “something feminine, just life, thinking about that people get together, creating new live by exchanging their blood. Blood is somehow the substance that keeps not only the world, but also the songs together.”

Am Anfang steht der wunderschöne Song “Waste”:
Such a waste I’m waiting out in this
Such a waste I’m waiting out in this place

Der Track ist die Brücke zwischen erstem und zweitem Album: War “Woman”, noch die Nachzeichnung der letzten Liebesbeziehung, bricht “Waste” dieselbe herab auf das ewige Warten, den Limbus, in dem man festhängt, im hoffnungslosen Dahinleben danach, im Zwischenstadion zu Neuem. “It actually was the first song written for this new record. I didn’t want all the record to be about my breaking up with my ex-girlfriend, so with this song I tried to finish it off.”

“I’m going through changes” heißt es da auch, im Song, der das Neue vorbereitet. Rhye war nicht nur im Privaten Änderungen unterworfen: Labelwechsel Verabschiedung eines Gründungsmitglieds, Start des Solopojekts. Mike Milosh arbeitet nach wie vor mit vielen KünstlerInnen zusammen, vor allem für die Liveperformances, aber er steht alleine hinter den Songs von Rhye.

How to please the crowd

Rhye hat sich vor dem Release von “Woman” 2015 als Studioprojekt formiert, umgedacht wurde erst nach dem großen Erfolg. Man musste ja live spielen. Auch die Umsetzung war so erfolgreich, dass sie Mike Milosh & Co fast vier Jahre lang rund um den Globus geführt hat. Er erzählt gern Anekdoten darüber, etwa von einer Jam-Session nach einem Gig in Mexico City, bei der er seine Songs in ungezwungener Weise neu interpretiert hat.

Rhye Cover Blood

Concord Records

„Blood“ heißt das zweite Album von Rhye und erscheint via Loma Vista/Caroline.

Bei einer solchen Veranstaltung hat er seine jetzige Lebensgefährtin kennengelernt. Und vor allem ein Moment bei dieser Session in Mexico ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben: “We were all singing along, the band, me, and like 100 of people invited into that very intimate space. And when I started singing “Song to you”, like the very last lines, which always repeat themselves, the whole crowd was singing along, for like 15 minutes.”

Auch das ist ein schon bekanntes Rhye-Rezept, das mantra-ähnliche wiederholen von Satzteilen. “It’s the catharsis that comes with that, with the repetition. And that’s where the acceptance starts”. Die Akzeptanz dem eigenen Selbst gegenüber, aber auch gegenüber demjenigen, den man liebt. Der schon erwähnte “Song for you” komprimiert die Themen des Albums: Wir beide haben eine Vergangenheit, aber wir wollen die gemeinsame Zukunft.

Seine Partnerin hat Mike Milosh auch auf der ausgedehnten Tour begleitet, und sie ist auch die erste, die seine neuen Songs zu hören bekommt. Sie sind fast alle on the road entstanden. Gerade durch das Livespielen, oder vielmehr durch die Umsetzung des im Studio am Laptop entworfenen Albums hat sich Mike Milosh am meisten inspirieren lassen: Seine Kritik an der zeitgenössischen Musik ist zynisch, “it bores me, it sort of all sounds the same, the same beats, the same voices. Why would you make up a band project if you can’t produce your own sound?”

Alles live, alles echt, oder?

Diesem Anspruch an sich selbst will Mike Milosh auf “Blood” dadurch entsprechen, alles live einzuspielen - nicht nur auf der Bühne, sondern auch auf seinem Album. “All the strings, the bass, the guitar, this is all played live. The album actually IS played.” Da kommt nichts mehr vom Computer.

Am Mainstream geht Rhye auch mit “Blood” elegant vorbei, das soll niemanden stören. Es ist Musik nicht nur für Liebende, aber für LiebhaberInnen. Ein soulig instrumentiertes, minimalistisch arrangiertes R’n’B-Album, für schummrige Räume voller Geheimnisse, für leise gesäuselte Liebesgeständnisse, für die wunderbare Sinnlichkeit zu zweit. Watte, Kerzenwachs, verschütteter Rotwein.

Auf “Woman”, womöglich auch ohne inhärenten Live-Charm, gab es große Stücke wie “Open” oder “The Fall” zu hören. Melodien, die auch ohne die faszinierend androgyne Stimme von Mike Milosh überlebt hätten. Es ist eine bittere Ironie, dass gerade die Live-Kompatibilität den neuen Songs diese Qualitäten offenbar geraubt hat: “Blood” steht und fällt mit der Stimme, und so auch mit der Gesangsmelodie, weil alles Instrumentale nur mehr wie im Karussell rundherum passiert. Mit den eingebauten Liveerfahrunge hätte man annehmen können, mehr instrumentale Dynamik wäre im Spiel. Ist sie aber nicht.

„Blood“ ist in vielerlei Hinsicht die logische Fortsetzung von „Woman“. Schade ist, dass man von der größten Neuerung, der umgesetzten Live-Erfahrung, nur sehr wenig zu hören bekommt.

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