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The Cloverfield Paradox Filmstill

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FILM

Virtuelle Videotheken-Wühlkiste

Als unlängst Netflix aus dem Nichts den aufwändigen Sci-Fi-Thriller „The Cloverfield Paradox“ veröffentlichte, befürchteten Kritiker das Ende des Kinos. Eine vorsichtige Entwarnung.

Von Christian Fuchs

Stimmt schon, so etwas hat es vorher noch nie gegeben. Man darf den aktuellsten Marketing-Schachzug von Netflix durchaus als heftigen Tabubruch bezeichnen. Nachdem Gerüchte die Runde machten, dass der Streaminganbieter dem Majorstudio Paramount den neuesten Beitrag zur „Coverfield“-Filmreihe abgekauft hätte, passierte das gänzlich Unerwartete. Ganz ohne Werbekampagne, nur von einem kurzen Teaser davor angekündigt, schaltete Netflix den Sci-Fi-Thriller in der Superbowl-Nacht frei. Einfach so, um maximale Aufmerksamkeit zu generieren.

Medienanalytiker schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Auch ein 40 Millionen teurer Beinahe-Blockbuster wie „The Cloverfield Paradox“, eigentlich für die große Leinwand gedreht, kann also direkt im Streaming-Nirvana landen. Ohne Ankündigung und vor allem ohne jeglichen Kinostart. Wenn dieses Beispiel Schule macht, dann scheint der Zeitpunkt absehbar, ängstigen sich Kritiker, wo in Multiplex-Sälen nur mehr gigantomanische Blockbuster laufen. Und alle anderen Filme, vor allem spannende, kleinere Werke ihre Premieren ausschließlich im Netz feiern.

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Schrullige Autorenfilmer auf Abwegen

Nun ist die letztere Befürchtung auf den ersten Blick nicht neu. Denn natürlich gibt es abseits der hausgemachten Serienerfolge wie „Stranger Things“, „Black Mirror“ oder „Mindhunter“ auch schon lange höchst ambitionierte Spielfilmproduktionen von Netflix. Dem Kindersoldatendrama „Beasts Of No Nation“ als Startschuss 2015 folgten etliche exklusiv produzierte Streifen von so renommierten Regisseuren wie Bong Joon-Ho („Okja“) oder Noah Baumbach („The Meyerowitz Stories“). Filme, die einerseits formal gelobt wurden, völlig zurecht übrigens, deren Macher man aber als Verräter am Kino kritisierte, siehe die Kontroversen beim vorjährigen Cannes-Festival.

Dass Netflix noch massiver in den Spielfilmmarkt einsteigen wird, zeichnet sich ab. Für die Streamingfirma ist es eben auch immer noch billiger, einen Film von einem bekannten Regisseur drehen zu lassen, als sich die immens teuren Rechte an Marvel-Erfolgen oder der Star-Wars-Saga zu sichern. Zumal der Disney-Konzern, der diese Lizenzen verkauft, selber seinen eigenen Streamingchannel plant.

Dass Typen wie der supere Noah Baumbach, gar nicht zu reden von entschieden unbekannteren Filmemachern, ihr schrulliges Autorenkino bald nur mehr für Netflix und das Wohnzimmer machen, diese Perspektive mag echte Cinephile melancholisch stimmen. Auf der anderen Seite scheint das Publikum für Filme einer bestimmten Kategorie - die erwachsene Themen ansprechen und mittelgroße Summen kosten - draußen in der kalten Multiplex-Welt langsam wegzubrechen, engagierte Programmkinos können da nur einen Teil dieser Entwicklung abfangen.

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Auslöschung im Wohnzimmer

Eigens produzierte Netflix-Filme sind allerdings die eine Sache. Wirklich düster ist die Aussicht, dass der Streaminganbieter jetzt Filme vor dem Start aufkauft, die tatsächlich für die große Leinwand gedreht wurden. Weil „Annihilation“ von Alex Garland, einer der vielversprechendsten Science-Fiction-Filme dieses Jahres, bei Testvorführungen dem Publikum angeblich „zu kompliziert“ war, ist er bei Netflix gelandet. Nur in den USA wird der dystopische Thriller mit Natalie Portman kurze Zeit im Kino zu sehen sein. Wer hierzulande der „Auslöschung“ entgegenfiebert, wie der Schreiber dieser Zeilen, kann die spektakulären Bilder leider nur in den eigenen vier Wänden erleben.

Weitere Aufkäufe von Werken, die im Vorfeld nicht den gewünschten kommerziellen Erfolg versprechen, werden folgen. Kein Wunder also, dass deziedierte Kino-Fetischisten wie Christopher Nolan lieber den Netflix-Konkurrenten Amazon Studios loben, der seine Produktionen größtenteils vorher in Lichtspielhäusern laufen lässt und erst danach digital auswertet.

Um zurück zum Anfang zu kommen: All die erwähnten pessimistischen Prognosen kollidierten nun bei FilmliebhaberInnen und KinobetreiberInnen in der Superbowl-Nacht. Dabei ist ausgerechnet „The Cloverfield Paradox“ als Film selbst die Aufregung nicht wert. Der dritte Beitrag zur bewusst mysteriös gehaltenen Sci-Fi-Horror-Franchise von Produzent JJ Abrams enttäuscht auf allen Ebenen. Was anno 2008 mit dem Found-Footage-Schocker „Cloverfield“ begann, in dem ein riesiges Monster aus dem Nichts plötzlich in New York auftauchte, und mit dem extrem spannenden Kammerspiel „10 Cloverfield Lane“ vor zwei Jahren fortgeführt wurde, ist nun in der Sackgasse gelandet.

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Denn der in der nahen Zukunft in einer Raumstation spielende „The Cloverfield Paradox“ gibt neben ein paar missglückten Pseudo-Erklärungen für die unheimlichen Phänomene weder formal noch inhaltlich was her. Lässige Schauspieler wie Daniel Brühl, Ziyi Zhang, Chris O’Dowd oder Elisabeth Debicki werden gnadenlos verheizt. In einer vergangenen Ära wäre „The Cloverfield Paradox“ wohl direkt in der Videotheken-Wühlkiste gelandet, heute „only on Netflix“. Schon bedrohlicher klingt da, dass Martin Scorseses aufwändiger Mafia-Krimi „The Irishman“ mit Robert deNiro und Al Pacino auch nur für den Streamingkanal gedreht wird. Wenn so ein Film nächstes Jahr nicht den Weg auf die Riesenleinwand findet, dann werden wir Filmfreaks wohl bittere Tränen weinen.

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