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Ein Hochstapler, jede Menge Bobos und eine entflohene Katze

Ein Hochstapler kann mithilfe von Alkohol Gedanken lesen und hat sich in eine reiche Clique eingeschlichen, von denen er profitiert. Cordula Simons neuer Roman bietet eine spannende Geschichte voll unangenehmer Zeitgenossen.

Von Conny Lee

Es war vor sechs Jahren, in Cordula Simons Debütroman Der potemkinsche Hund, da lief einer, der von den Toten wiederauferstanden war, einem Hund hinterher durch die Stadt und war völlig verloren, weil er kein Geld hatte und nicht wusste, wer er war. Ihr neuer Roman stellt sich beinahe das Gegenteil dar: Diesmal weiß nur der Protagonist, wer er ist, und allen anderen lügt er etwas vor. Und anstatt, dass er selbst einen Hund verfolgt, trottet ihm nun eine Katze hinterher, der er zur Flucht aus ihrem unfreiwillig veganen Wohnungskatzen-Dasein verholfen hat.

Cover Der Neubauer von Cordula Simon

Residenz Verlag

„Der Neubauer“ von Cordula Simon, erschienen beim Residenz Verlag

Der Titel von Cordula Simons neuem Buch ist „Der Neubauer“. Wer dieser Neubauer ist, bleibt allerdings die längste Zeit unbeantwortet. Die Hauptfigur ist der Erzähler, der sich als vermögend ausgibt, um von einer Runde wohlhabender Menschen akzeptiert zu werden. Er manipuliert sie und sagt ihnen, was sie hören wollen, was ihm durch seine spezielle Fähigkeit möglich ist. Der Erzähler kann nämlich, wenn er genug Alkohol getrunken hat, die Gedanken anderer Betrunkener hören.

Sobald wir am Boden der Flasche angelangt waren, verdrückte sich die Gesellschaft. Wir waren wieder nur zu dritt. Moni saß wieder neben mir. Sie legte die Hände zwischen die Knie, rieb ihre Hände aneinander. Wir sind immer für dich da, weißt du, während sie dachte: Du hast Scheiße gebaut, irgendwie hast du Scheiße gebaut, und ich werde herausfinden, um welche Art von Fäkalien es sich handelt. Verlogenes Miststück. Mitgefühl heucheln.

Die Geschichte beginnt damit, dass sich der Erzähler während eines Dienstes vor zwei reichen Bekannten verstecken muss. Die wissen nichts über seine wahre Identität und dürfen ihn nicht in diesem Job sehen. Weil er sich versteckt, verliert er seinen Job im Supermarkt, und durch den Verlust des Einkommens muss er auch aus seiner Wohnung ausziehen. Mit nichts als einer Reisetasche ausgestattet nistet er sich für den Rest der Erzählung bei diversen Bekannten ein, denen er als Erklärung eine diffuse Geschichte auftischt. Er werde von der Mafia verfolgt. Das macht ihn für die gelangweilte Clique von Bobos nur noch interessanter.

Nacht für Nacht geht es auf Parties, in reich ausgestattete Wohnungen und teure Clubs. Und dort, in den Köpfen der Betrunkenen, hört der Erzähler immer wieder den einen Namen „Neubauer“ - von dem alle hoffen, dass er heute Abend noch kommt. Auftauchen wird er allerdings nie.

Nicht ohne die Katze

Foto Cordula Simon

Bibi Stift

Cordula Simon

geboren 1986 in Graz. Studierte deutsche und russische Philologie in Graz und Odessa, wo sie von 2011 bis 2015 auch lebte. Mitglied der Literaturgruppe „plattform“ und Koordinatorin der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz. Zahlreiche Veröffentlichungen u. a. in „manuskripte“, „lichtungen“, „Zeit-Campus“ sowie „Fleisch“. 2013 Teilnahme an den „7. Tagen der deutschsprachigen Literatur“. Cordula Simon war Stipendiatin des Literarischen Colloquiums Berlin und erhielt für ihr Werk zahlreiche Preise. Bisher veröffentlichte sie: „Der potemkinsche Hund“ ( 2012), „Ostrov Mogila“ (2013), „Wie man schlafen soll“ (2016), „Der Neubauer“ (2018).

Der Erzähler ist ein unangenehmer und rücksichtsloser Hausgast, der die Gastfreundschaft überstrapaziert, weshalb er nach kurzer Zeit immer eine neue Unterkunft finden muss. Zum Beispiel die von Vitus, der ihn zu Yoga und veganer Ernährung bekehren wollte. Schließlich hat Vitus auch seine Katze auf veganes Futter umgestellt. Der Erzähler ist allerdings nicht nur unbelehrbar, sondern verhilft, als er Vitus’ Wohnung wieder verlässt, auch der Katze zur Flucht, die ihm danach bis zum Ende der Geschichte nicht mehr von der Seite weicht. Sie begleitet ihn, wenn er von Couch zu Couch und von Party zu Party zieht. Die beiden werden Verbündete in ihrer gemeinsamen Verachtung für die Leute, denen sie begegnen.

Eure Bedeutungslosigkeit ist die einzige Wahrheit. Ihr haltet euch für die Wächter der Moral, für die Retter der Witwen und Waisen, dabei ist das alles pure Eitelkeit. Aufgeplustert und an der Wirklichkeit vorbei. Eure einzigen Probleme sind, ob eure Bücher in Reih und Glied stehen, wie viele Höflichkeitslikes ihr bekommen habt und wo die nächste Party ist. Die verzogenen Prinzen und Prinzessinen auf dem Weg zur Selbstverwirklichung seid ihr. Ihr umgebt euch nur mit Nickäffchen, wie ihr selbst es seid.

Cordula Simon verwendet in „Der Neubauer“ keine Anführungszeichen. Dadurch wird es oft schwierig zu unterscheiden, was der Erzähler gesagt und was er nur gedacht hat. Das ist es wohl auch, was die Autorin mit diesem Kniff bezweckt: Die Grenzen zwischen Gedachtem und Gesagtem verwischen nicht nur für den Erzähler, wenn er getrunken hat (was meistens der Fall ist), sondern ebenso für uns als LeserInnen.

Die Hauptfigur ist zynisch, menschenverachtend und misogyn. Auch die Menschen um ihn herum wirken hohl und oberflächlich, was aber vor allem daran liegt, dass wir sie durch seine Augen sehen. Und für ihn sind alle anderen wohlstandsverwahrloste Rich Kids, die ihn niemals akzeptierten, wüssten sie über seine wahren Vermögensverhältnisse Bescheid. Er sieht in allem nur das Schlechte, und so lauten seine zwei Leitsprüche „Die Welt ist schlecht“ und „Schlechten Menschen geht es immer gut.“

Warum liest man nun aber ein Buch über einen derart unguten Typen?

Vielleicht, weil man erleben will, ob und wie sein Lügenkonstrukt endlich auffliegt. Oder weil man versucht, diese zynische Figur zu verstehen und auf ihre Läuterung hofft.

Oder es liegt einfach daran, dass Cordula Simon sehr einnehmend und spannend schreibt. Auch, wenn einige Motive bei ihr immer irgendwie im Unklaren bleiben und nicht zu Ende erklärt werden. Zum Beispiel, wer denn dieser Neubauer nun wirklich ist: eine nebulöse Figur, die immer wieder genannt wird, ein großes Fragezeichen, das auch nicht richtig geklärt wird, als er endlich auftritt. Zumindest ich für meinen Teil habe bis zum Schluss nicht verstanden, was es mit diesem ominösen Neubauer auf sich hat. Das einzige, was ich weiß ist, dass er der Titelgeber für ein spannendes Buch war.

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