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Rapper Nazar

APA/ROLAND SCHLAGER

Flucht, Angst und abgefrorene Kinderzehen

Wien Favoriten ist nach wie vor der Wohnort der persisch-österreichischen Rappers Nazar. In Favoriten spielen auch große Teile seiner Autobiographie „Mich kriegt ihr nicht“, die seit kurzem vorliegt.

Von Natalie Brunner

Das Buch beginnt mit einer Erklärung, die meine erste Frage und die von vielen wegnimmt: Warum schreibt ein Rapper ein Buch? Ist nicht die große Kunst eines MCs komplexe Geschichten so knapp wie möglich in Reime und Verse zu packen?

Cover Buch Mich kriegt ihr nicht

Edition a

Mich kriegt ihr nicht“ von Nazar.
Verlag: Edition a

Warum schreibe ich eigentlich dieses Buch? Aus Narzissmus, weil ich ein eingebildeter Straßenrapper bin, der glaubt, dass er bis jetzt ein ganz besonders spannendes Leben hatte? Weil ich damit angeben will, wie ich von Ardalan Afshar zu Nazar geworden bin, es an die Spitze geschafft habe, zum erfolgreichsten österreichischen Rapper wurde? Weil ich Mitleid für meine sogenannte „schwere Kindheit" will, die Gewalt in meinem Umfeld, die mich erst zum Opfer und dann zum Täter gemacht hat? Oder weil ich einfach größenwahnsinnig bin und euch in einem Buch die ganze Welt und ihr Funktionieren erklären will, damit ihr auch so gescheit werdet wie ich? Nichts von alledem. Auf all das scheiße ich. Ich schreibe dieses Buch aus einem einzigen Grund. Weil ich euch erklären will, wieso sie mich bis jetzt nicht gekriegt haben und mich auch in Zukunft nicht kriegen werden.“

Kopfschmerztabletten mit Supermann-Logo

Nazars Buch ist mehr als eine Autobiographie, geschrieben im lockeren Plauderton. Der Titel verrät es schon: „Mich kriegt ihr nicht“ ist ein bisschen auch ein Fähnleinfieselschweif des Überlebens eines Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den späten 90er und frühen 2000er in Wien. Ein Lächeln ins Gesicht hat mir der Absatz über den Verkauf der selbstgebastelten XTCs gezaubert. Sehr oft habe ich diese oder ähnliche Geschichten schon gehört. Endlich einer der sagt: Ja, ich wars.

Auf den Biosphere-Festen im Budocenter wurde uns unser Zeug so aus den Händen gerissen, dass uns regelmäßig der Nachschub ausging. Irgendwann stellten wir fest, dass Kopfschmerztabletten mit Supermann-Logo bei den Ravern genauso beliebt waren und sie darauf genauso heftig abgingen wie auf alles andere, was wir im Angebot hatten. Da man diese Tabletten rezeptfrei in der Apotheke bekam, ging unsere Gewinnspanne durch die Decke.

Ardalan Afshar, geboren 1984, veröffentlichte 2008 unter dem Künstlernamen „Nazar“ sein erstes Studioalbum „Kinder des Himmels“. Heute ist er einer der bekanntesten heimischen Rapper.

„Mich kriegt ihr nicht“ ist auch mehr als die Geschichte einer Rappers, der wie es Nazar so schön im Interview sagt, nur solche Probleme hat, wie im Sonnenstudio unerkannt zu bleiben. Es ist ein Leben an dessen Anfang eine Flucht, Angst, Ungewissheit, abgefrorene Kinderzehen, schwere Krankheit aber auch Hoffnung stand. Nazars Vater war im Irak Krieg gestorben und die einzige Überlebenschance für den Vierjährigen war medizinische Behandlung im Westen - das Ziel waren die USA. Seiner Mutter war von Schleppern auf dem Weg vom Iran in die Türkei sämtliches Geld und die Wertsachen gestohlen worden. Sie hielt sich und ihre zwei Söhne mit Gelegenheitsjobs über Wasser und versuchte mit ihren Kindern in den Westen zu kommen.

FM4 Interviewpodcast

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Das Gespräch mit Nazar gibt es auch im FM4 Interview-Podcast

Noch einmal probierten wir es dann über Bulgarien, wo wir sogar eine ganze Woche im Gefängnis zubrachten, bis uns die Behörden zurück in die Türkei überstellten. Das muss für meine Mutter der absolute Wahnsinn gewesen sein: Mit zwei Kindern, eines davon sterbenskrank, im Gefängnis eines fremden Landes! Ich weiß wirklich nicht, wo meine Mutter die Kraft hergenommen hat, um das alles zu überstehen. Aber sie machte einfach weiter, ließ sich nicht abbringen von ihrem Plan. Inzwischen war mein Zustand kritisch geworden. Die Eiterblasen hatten sich vermehrt, das Fieber war mit Verstärkung zurück. Es sah nicht gut aus.
Meine Mutter beschloss, es noch ein letztes Mal zu versuchen. Sie buchte drei Flugtickets, für mich, meinen Bruder und sich selbst nach Wien. Vielleicht würde ein Wunder geschehen und wir könnten von Wien aus die USA erreichen. Als wir in Wien landeten, muss es mir schon so schlecht gegangen sein, dass es auch für die Behörden sichtbar war. In jedem Fall gelang es meiner Mutter offenbar, der österreichischen Polizei begreiflich zu machen, dass eine Rückschiebung in die Türkei meinen Tod bedeuten würde. Ich habe in meinem Leben mit der Polizei nicht viele gute Erfahrungen gemacht. Aber an diesem Tag, zu dieser Stunde, als wir in Wien ankamen, muss unter der Uniform ein Mensch hinter dem Schalter gesessen sein. Es ist seltsam, dass das Leben oder Nicht-Leben manchmal von solchen Zufällen abhängt: Ein anderes Land, oder ein anderer Beamter, oder irgendeine andere ganz belanglose Verschiebung, und ich wäre vielleicht gestorben, ohne dass meine Mutter überhaupt jemals erfahren hätte, unter welcher Krankheit ich eigentlich litt.

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