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Tanja Paar

Pamela Rußmann

Der Horror an der letzten Ecke

Tanja Paars Debutroman „Die Unversehrten“ holt die große Katastrophe in den kleinen Kreis der Familie. Der Twist am Ende der Geschichte lässt einem den Mund offen stehen.

Von Lisa Schneider

„Die Unversehrten“ nennt die Grazer Autorin Tanja Paar ihren Debutroman. Aber das ist nur der erste Schein, der trügt. „Unversehrt“ bleibt in dieser Geschichte niemand.

Violenta verliebt sich in Martin. Sie lernen sich während des Studiums kennen, führen eine Fernbeziehung zwischen Berlin und Bologna. Das ist in Ordnung, der Abstand gut tut, das Durchatmen nach den intensiven Liebeswochenenden, Luft rein, Luft raus. Sie muss zur Kenntnis nehmen, dass er nicht treu sein kann, es ist ein Sport für ihn. Sie lernt damit umzugehen.

Wenn Untreue zu Liebe werden muss

Es kommt, wie es kommen muss: Eines Tages bedeutet ihm eine Frau mehr als es eine heiße Affäre erlaubt. Sie heißt Klara. Und sie wird schwanger.

Tanja Paar

Pamela Rußmann

Tanja Paar, geboren in Graz, wohnhaft in Wien, ist Journalistin, Moderatorin und Medientrainerin. Neben ihrem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Graz, Wien und Lausanne arbeitete sie freiberuflich beim FALTER und dem Nachrichtenmagazin Profil. Danach war sie zwölf Jahre Redakteurin der österreichischen Tageszeitung derStandard.

Martins Weg ist mit diesem Ereignis vorgezeichnet, als Klara beschließt, das Kind zu behalten. In Berlin ergibt sich die oberflächlich schöne Familienidylle, es bröselt und bröckelt von innen. Martin zwängt sich ins Korsett des Familienvaters, was soll man tun, es ist die Pflicht. Der Bierbauch wächst, die Karriere nicht ganz so, Verdruss, nostalgisches Seufzen, hätte ich aufgepasst, jetzt verpasse ich das Leben.

Auf einer Konferenz trifft er zufällig Violenta wieder. Sie ist nicht zufällig dort, die Businessfrau mit dem Kostüm, das sie älter erscheinen lässt, als sie ist. Sie ist das Gegenteil von Klara, legt keinen Wert auf Romantik und die große Geste, wollte nie Kinder.

Zum Verwechseln ähnlich

Aber sind die beiden wirklich so verschieden? Tanja Paar führt auf eine ungewisse Fährte. Manche der kurz gehaltenen Kapitel lassen nicht erraten, aus welcher Perspektive sie erzählt werden.

Ganz besonders fein arrangiert liest sich das in einem dreiseitigen Abriss, der sich wortwörtlich, an versetzen Stellen im Buch, wiederholt. Es geht darum, dass Martin die aktuell Geliebte in ein Waldbad vor den Toren der Stadt mitnimmt, die Sonne brennt, das Wasser spritzt kühl, das Erdbeereis kribbelt die Zunge hinauf. Die frische Liebe, sie ist herrlich. Zu beiden Frauen sagt er dieselben Worte: „Irgendwann wirst du nicht mehr neben mir liegen wollen, wahrscheinlich schon bald. Bald wirst du einen möglichst großen Abstand zwischen uns bringen wollen.“

Weder Violenta noch Klara – wieder im selben Wortlaut antwortend – glaubt ihm. Er ist doch der tollste Hecht, den es gibt.

Das Verwechslungsspiel, oder vielmehr die Idee, dass Frauen aus Martins Perspektive tatsächlich austauschbare Figuren in seinem groß angelegten Lebenstraum aus Liebe, Sex und Zärtlichkeit sind, spitzt sich gegen Ende des Romans noch mehrere Male zu. Ohne zuviel vorwegzunehmen: Als Violenta Klara kurz vor Schluss im Gefängnis besucht, wird sie in Gedanken festhalten, wie ähnlich sie sich sehen, wie ähnlich sie fühlen, „als wären sie Schwestern“.

Cover Tanja Paar "Die Unversehrten"

Haymon Verlag

„Die Unversehrten“ ist der Debutroman von Tanja Paar, erschienen im Haymon Verlag.

Der schmerzhafteste Hieb wartet an der letzten Ecke

Der Roman beginnt mit brennender Liebe, bis zum Ende hat sie alles versengt.

Geschichten über gescheiterte Dreiecksbeziehungen gibt es genug, über eifersüchtige Frauen, nie befriedigte Liebhaber, über Sorgerechtsstreitereien, Patchwork, den Fluch der Zeit, und die dunkle, böse Galle. Wie Tanja Paar ihren Roman „Die Unversehrten“ aber in nur gut 160 Seiten von einer mehr oder weniger trivialen Beziehung zwischen drei Menschen aufs Schlimmste, auf reduzierte Gewalt, zuspitzt, und wie sie so kurz vor dem Ende noch besagten Twist einsetzt, ist bemerkenswert. Es werden drei Menschen porträtiert, die sich in ihren Lebens- und Liebeserfahrungen in die Ecke und gleichzeitig über ihre Grenzen hinaus getrieben sehen; die Frage nach der Schuld lässt sich so gar nicht mehr stellen. Es ist schrecklich, und es ist das Leben.

Womöglich bezieht sich das „unversehrt“ im Titel nicht auf die Romanfiguren, sondern auf die LeserInnen. Das, was dir alles nicht passiert, und an das dich nicht einmal ein schlimmer Alptraum denken lässt.

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