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Sophie Stockinger in "L'Animale"

Geyerhalter Film

Ins Land schauen und rausschauen

„Von Waldheim bis Wanda“: Das Programm der Diagonale 2018 ist online und macht klar, wie sehr das Kino die Zeitenfolge auflöst. Vergangenheit, Gegenwart, VR-Future - wir sind mittendrin im österreichischen Film.

Von Maria Motter

Die Bilder in Worte fassen, das liegt Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber. Wenn die Intendanten der Diagonale ihr drittes Festival ankündigen, liegen ihnen so viele Filme am Herzen, dass sie sich vor JournalistInnen laut daran erinnern, aufpassen zu müssen.

Aber kann man das Kino überhaupt zu sehr lieben? Die Emoji-Herzen hüpfen unter Trailer-Postings und während des Filmfestivals wird garantiert der eine und andere Film auszumachen sein, der einen vor den Kopf stößt und fordert, vielleicht überfordert.

Weil man nicht immer auf Nummer Sicher gehen kann und schon gar nicht bei Filmfestivals. Da sind oft die Vorstellungen die besten, für die man sich einfach ein Ticket gekauft hat, weil das Filmstill gut aussieht.

Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber schicken noch euphorische Zeilen im dicken Programmbuch des Festivals voraus, in denen sie sich zugleich höchst skeptisch gegen fragwürdige Ideologien aussprechen.

"Fahnden wir also nach Gegenentwürfen.
Auf der Leinwand, in der Dorfdisco und
darüber hinaus.

Für immer Kino!
Um zu fühlen. Um zu verstehen."

Ist das ihr Begriff von Kino und ihre Aufforderung? „Unser Begriff von Kino ist natürlich einer, der immer mit Emotion zu tun hat. Das hat mit der eigenen Sozialisierung zu tun: Man geht als Jugendlicher oder schon als Kind ins Kino und kann dort weinen, lachen, sich ärgern und streiten. Irgendwann beginnt man, sich denkend und nicht nur fühlend dem Kino anzunähern“, sagt Peter Schernhuber. „Wenn wir es in der Festivalwoche einmal ins Kino schaffen und dann Momente vorkommen wie beispielsweise in Katharina Mücksteins ’L’Animale’, dann geht uns das Herz auf und so soll Diagonale sein.“ Hinzu fügt Sebastian Höglinger: „Kino ist immer zwischen Aufklärung und Propaganda. Da muss man schon auch vorsichtig sein. Kino ist nicht rein empathisch, aber es sind trotzdem Geschichten über Menschen, die man sich da anschaut, in der einen oder anderen Form, und deshalb ist Kino noch immer ein guter Ort, um die eigene Empathie zu trainieren.“

Die Diagonale in Zahlen:

Aus 500 Einreichungen hat das Intendantenduo Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber 167 Filme und Videos für die Diagonale 2018 ausgewählt: Dokus, Spielfilme, innovatives Kino und Musikvideos! 103 Filme laufen im Wettbewerb, davon sind 81 Premieren und 47 Uraufführungen.

Der Eröffnungsfilm führt vor Gericht

Eröffnet wird die Diagonale von Christian Froschs Spielfilm „Murer - Anatomie eines Prozesses“. Das Gerichtsdrama mit 73 Sprechrollen (!) rollt den Fall des Großbauern und Lokalpolitikers Franz Murer auf, der 1963 in Graz vor Gericht stand. „Er war im deutschbesetzten Wilna stellvertretender Gebietskommissar gewesen. Vor dem Krieg hatten 80 000 Juden in der Hauptstadt von Litauen gelebt. Genau 250 waren noch am Leben, als es mit der Herrschaft der Nazis zu Ende ging“, schreibt Simon Wiesenthal im Jahr des Prozesses im Nachrichtenmagazin Spiegel unter der Überschrift „Doch die Mörder leben noch“. Und Doron Rabinovici schreibt im Standard: „Sein Prozess im Graz der Sechzigerjahre verkam zum Tribunal gegen die Opfer“.

Filmstills

Diagonale

Zumutungen und Zärtlichkeit

Doppelte Böden und Zumutungen beherrscht der österreichische Film, dann wieder die Zärtlichkeit intimer Porträts von Figuren, die real nicht existieren, sondern in Drehbüchern geboren wurden. „Gatekeeper“ von Loretta Pflaum und Lawrence Tooley birgt schon den Psychothriller in der Kurzbeschreibung: Da fährt eine Frau einen Mann nieder und nimmt den Verletzten mit zu sich nach Hause statt die Rettung zur rufen. Stefan A. Lukacs „Cops“ könnte man rufen: Laurence Rupp hat seine Muskeln auftrainiert für die Rolle als junger WEGA-Beamter, der bei einem Einsatz einen tödlichen Schuss abfeuert. Bilder einer Familie liefern mehrere Filme im Programm: „Onkel Wanja“ von Anna Martinetz, „Zerschlag mein Herz“ von Alexandra Makarova begleitet Roma-Kinder aus der Slowakei nach Wien und im Dokumentarfilm ist es allen voran Stefan Bohuns „Bruder Jakob, schläfst du noch?“, der nach dem Selbstmord eines Familienmitglieds das Aufeinander-Zugehen zeigt. In vielen weiteren Dokus ist die - oft eigene - Familie Ausgangspunkt und Zentrum.

Diagonale - Festival des österreichischen Films, 13.-18.März, Graz. Der Vorverkauf startet am 7. März

Berlinale-Hits auf der Diagonale

Ruth Beckermanns neuer Dokumentarfilm „Waldheims Walzer“ ist zur Gänze aus Archivmaterial montiert und dabei von einer Punktgenauigkeit, die eine Spannung aufbaut, die bis zum Filmende hält. Kurt Waldheim, der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, tritt als Kandidat der Bundespräsidentschaftswahlen an, doch als sich ein Zeitungsartikel seiner Vergangenheit während des Nationalsozialismus widmet, beginnt ein Kampf ums eigene Image. „Waldheims Walzer“ verhandelt mehr als Waldheims berufliche Karriere, es geht um die Frage, wie in Österreich mit den Taten im Nationalsozialismus umgegangen wird. „Waldheims Walzer“ kannst du dir anschauen, ohne zuvor von Waldheim gehört zu haben. Auf der Berlinale erhielt Ruth Beckermann dafür den Preis für die beste Doku!

Filmstill aus "Waldheims Walzer"

Filmladen

Und in Berlin hat ein weiterer österreichischer Film überzeugt: „L’Animale“ war von der Uraufführung an ein Publikumsliebling. Für die Schauspielerin Sophie Stockinger wollte die Regisseurin Katharina Mückstein regelrecht ein Drehbuch schreiben, das sie nach vorangegangenen Projekten mit ihr drehen konnte: Die tolle Coming-of-age-Geschichte „L’Animale“ ist es geworden.

Wie das wohl wird

Sebastian Brauneis führte bei der „Sendung ohne Namen“ und bei der Serie „Bösterreich“ mit Nicholas Ofczarek und Robert Palfrader „Regie, er arbeitet als Gestalter bei „Willkommen Österreich“ mit und hat jetzt bei der Diagonale seinen Spielfilm „Zauberer“ im Wettbewerb. Über die Arbeit daran spricht er mit dem Autor Clemens J. Setz und mit Nicholas Ofczarek am Diagonale-Samstag öffentlich (Empfehlung!), denn „Zauberer“ basiert auf einer Kurzgeschichte des Autors und die drei haben das Drehbuch gemeinsam geschrieben.

Filmstill "Zauberer"

Superfilm

„Zauberer“

Für die Spielfilme von Ludwig Wüst empfiehlt sich eine gute Begleitung, haben sie es doch zu sehr in sich und können einen heftig schocken. Seinen „Heimatfilm“ stellt er ab dem Kinostart seines neuen Werks „Aufbruch“ online frei. „Aufbruch“ hat auf der Diagonale Premiere und darin tritt der Regisseur als Schauspieler mit Claudia Martini vor die Kamera: „Der Film ist eine Perle dieses Jahrgangs und Kino, das die Kulturtechnik Kino umarmt“, schwärmt Sebastian Höglinger.

Die Fanbase des Nikolaus Geyrhalter wird auch in diesem Jahr wieder wachsen: „Die bauliche Maßnahme“ startet an der befahrbaren Grenze des Brenners und führt schnurstracks zu jener Thematik, welche Grenzen wir hier in Europa anderen und damit auch uns setzen. In seinen fantastischen Dokus hat sich der Regisseur und Kameramann Nikolaus Geyrhalter vielfach angeschaut, was nach verheerenden Ereignissen an Orten und in Menschen übrig blieb. Mit „Die bauliche Maßnahme“ ist er mittendrin in der Debatte, die Bundeskanzler Sebastian Kurz als den „Kampf gegen die illegale Migration“ täglich führt.

An dieser Stelle ein Wehmutstropen: „Styx“, ein Spielfilm, der auf hoher See spielt und mit einer kleinen Segelyacht auf Kurs auf die Insel Ascension ist, die Charles Darwin im 19. Jahrhundert als Experimentierfeld diente, ist leider nicht auf der Diagonale zu sehen. „Styx“ überrumpelt die ZuschauerInnen mit einer drängenden Entscheidung, die zur Gewissensfrage wird.

Ein Tribute für Amos Vogel

Die Diagonale bietet die Gelegenheit, sich in Themen, Biografien, in eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort zu vertiefen. Ja sich wegzubeamen und zu staunen. Die Programmreihe „In Referenz“ empfiehlt sich: Zum Beispiel das Tribute für Amos Vogel, geboren 1921 in Wien als Amos Vogelbaum, 1938 vor den NationalsozialistInnen erst nach Kuba, dann in die USA geflohen, wo er 2012 in New York verstorben ist.

Der Eintrag zu seinem Namen auf der Seite der Stadt Wien ist karg, sein Leben war voll Liebe zum Film. Er hat das New York Filmfestival begründet und sich mit „Film als subversiver Kunst“ beschäftigt, wie ein Buchtitel lauttet. „Emigration, N.Y. - Die Geschichte einer Vertreibung“ von Egon Humer versammelt zwölf jüdische Frauen und Männer, die während der Shoa Österreich verlassen mussten und zum Zeitpunkt des Films seit über einem halben Jahrhundert in New York leben. Unter ihnen ist Amos Vogel.

Das sollte man sich anschauen, nicht bloß, weil in die Diagonale-Woche das Datum des „Anschlusses“ Österreichs an Hitler-Deutschland am 12. März 1938 also vor 80 Jahren fällt.

Previews

Augenmerk auch auf die Previews: In „Die letzte Party deines Lebens“ konfrontiert Dominik Hartl junge Menschen in der Maturaparty-Euphorie mit einem maskierten Killer. Es ist der zweite Langspielfilm des gebürtigen Schladmingers nach „Angriff der Lederhosenzombies“. Auch in „Die Kinder der Toten“ hat die Maske ganze Arbeit geleistet: Basiernd auf dem „Gespensterroman“ - wie sie ihn nennt – von Elfriede Jelinek, hat das Nature Theater of Oklahoma in der Obersteiermark einen Stummfilm mit allen gedreht, die mitwirken wollten.

Filmstill "Due letzte Party deines Lebens"

Petro Domenigg/Thimfilm

Die letzte Party deines Lebens

Vom „Zauber der Saison“ erzählt ein Special, das in Kooperation mit dem Österreichischen Filmmuseum gezeigt wird. Das historische Special blickt in die Provinz und hinaus: „Kein schöner Land“ ist der Titel, wobei die Intendanten die Provinz an sich nicht negativ konnotiert verstanden wissen wollen. Garantiert ist ein Wiedersehen mit oder für viele wohl erstes Kennenlernen mit Peter Alexander „Im weißen Rössl“, leinwandgroß.

In die Zukunft tritt man an zwei Tagen im Schubertkino: Hier kannst du testen, wie dir Screenings von CGI-, VR- und 360°-Arbeiten taugen. Das wird ein Virtual-Reality-Labor.

Als internationalen Gast begrüßt die Diagonale die iranische Künstlerin und Filmemacherin Shirin Neshat, die ihren jüngsten Spielfilm „Looking for Oum Kulthum“ mitbringt.

Ihren wertschätzenden Zugang, die Diagonale „aus der Stadt heraus zu entwickeln“, setzt das Intendantenduo fort. Da ist der Festivaldistrikt rund um das Grazer Kunsthaus, der sich erstmals beim steirischen herbst 2012 auftat und von der Diagonale erfolgreich aufgenommen und weiter adaptiert wird, und dort sind die Kooperationen, die von der Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus sowie dem Künstlerhaus zur Umsicht reichen, diesmal neben dem Haus der Architektur (HdA) auch im blendend Keller Partys zu geben.

Das Street Cinema Graz unternimmt eine Kurzfilmwanderung und tanzt anschließend auf der Murinsel. In der Samstagnacht bei der Diagonale Awards Party spielen Cid Rim und weitergetanzt wird zu Dahlia Ahmed und Melodien für Millionen! Zuvor werden die höchstdotieren Filmpreise des Landes vergeben.

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