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Screenshot aus "A Case of Distrust"

The Wandering Ben

A Case of Distrust

In einer schick in Szene gesetzten Whodunit-Geschichte lösen wir als Privatdetektivin einen mysteriösen, sich wandelnden Fall im Gangster-Milieu der 1920er Jahre.

Von Robert Glashüttner

Die Zwischenkriegszeit strahlt in der historischen Nachbetrachtung eine erstaunliche Aufbruchsära aus. Nur zwanzig Jahre liegen zwischen dem Ende des Ersten und dem Anfang des Zweiten Weltkrieges, und doch hat während dieser kurzen Zeit die moderne westliche Welt vor allem in Sachen Kunst und Gesellschaft weite Schritte nach vorne gemacht. Die 1920er Jahre gelten als besonders progressiv, was Themen wie unterschiedliche Lebensformen, Gleichberechtigung, Homosexualität oder politische Anteilnahme der BürgerInnen betrifft.

„A Case of Distrust“ vom kleinen Indie-Team The Wandering Ben (rund um den Designer Ben Wander) ist für Windows und Mac erschienen.

Dennoch hat einem wohl auch damals mitunter ein rauer Wind entgegen geweht, wenn man sich als „neue Frau“ in dieser Zeit behaupten und beispielsweise Polizistin werden wollte. Lang hat es Phyllis Cadence Malone als Cop in San Francisco tatsächlich nicht ausgehalten: Als ihr Onkel Lewis stirbt und sie fortan keinen Protegé mehr am Kommissariat hat, beschließt Malone, Privatdetektivin zu werden - 1924 auch kein üblicher Frauenberuf.

Von Speakeasies und Jazzbars

Von der ersten Minute an überträgt sich in „A Case of Distrust“ der hochurbane Glam eines aufblühenden San Francisco. Wir spielen einen interaktiven Krimi, der verboten schick daherkommt: in wunderschön gezeichneten Silhouetten und den besten Sepia-Tönen. Doch das Großstadtleben in diesem Spiel ist nicht nur glamorös, sondern auch lasterhaft: Malones neuer Beruf führt sie schnell ins Gangsterleben der damaligen Zeit, in Speakeasies, Jazzbars, subterranen Coffee Houses oder Barber Shops, die von zwielichtigen Gestalten betrieben werden.

Das Arbeitsleben als Privatdetektivin mit mäßig viel Erfahrung ist alles andere als einfach. Bevor endlich ein großer Auftrag reinkommt, üben wir erst mal das mit der Beweisführung im Trockentraining: Im vielleicht besten Games-Tutorial überhaupt müssen wir unsere hungrige Katze davon überzeugen, dass es in unserer Wohnung keinerlei Essen gibt. Also gilt es, die Wohnung so lange zu inspizieren, bis wir auf den Kühlschrank stoßen. Fortan ist in unserem Notizbuch der Kühlschrank vermerkt, und nun kann Malone die Katze mit der sich darin befindenden Leere konfrontieren. Erster Fall – gelöst!

Eine Frage des Stils

„A Case of Distrust“ blüht visuell in einem stilsicheren Minimalismus auf: Die Silhouetten der Gegenstände, Tiere und Menschen sind zwar Standbilder, die jedoch manchmal leicht animiert werden, wenn wir etwa mit dem Barmann oder unserem ehemaligen Vorgesetzten auf der Polizeistation sprechen. Das sieht trotz der Abstraktion deshalb so verblüffend echt aus, weil die Animationen von SchauspielerInnen eingespielt und danach mittels Rotoskopie-Technik ins Spiel eingefügt worden sind.

Screenshot aus "A Case of Distrust"

The Wandering Ben

Schnüffeln und nachfragen

Lehrreiche Taxifahrten

Zwischen den Schauplätzen wechseln wir stets im Taxi, wo die Fahrer mit uns oft über Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Sport plaudern. Der Inhalt dieser Smalltalks ist nicht erfunden, sondern basiert auf historischen Fakten - wie auch viele Orte und Namen, die im Spiel vorkommen.

In jeder Szene können wir Dinge und Figuren im Raum begutachten, und in Dialogen wählen wir aus kleinen Multiple-Choice-Menüs aus, wie das Gespräch weitergehen soll. Unser Hirnschmalz kommt zum Einsatz, wenn wir unser gefundenes Wissen – das immer in Form von Beweisen (Dinge) und Aussagen (Personen) im Notizbuch vermerkt wird – gezielt zur Sprache bringen und damit den Fall vorantreiben. Im Gegensatz zu klassischen Grafik-Adventures, wo wir Gegenstände im Inventar mit anderen Gegenständen oder Figuren kombinieren, geht es in „A Case of Distrust“ rein um Dialoge. Wir konfrontieren unsere Gesprächspartner mit Beobachtungen und Statements und schauen dann, wie sie reagieren. Wir bohren nach, wer wann wo was gemacht hat oder haben könnte, überprüfen die Alibis und entspinnen das Beziehungsgeflecht der Verdächtigen.

Eine graphisch toll und eigenständig inszenierte Whodunit-Geschichte im San Francisco der Roaring Twenties ist für sich genommen schon ein Gewinn. Mit dem elegant designten Gameplay, wo wir Hinweise und Aussagen kombinieren, wird das Ganze aber nochmal besser. Der Fall wird inhaltlich und sprachlich überlegt und ausgeklügelt in Szene gesetzt. „A Case of Distrust“ ist das beste Mittel gegen matte Fernsehkrimis und überzeugt auch Wenig- und NichtspielerInnen vom großen Potenzial interaktiver Erzählungen. Nur einigermaßen gut Englisch sollte man können, weil das Spiel nicht in anderen Sprachen verfügbar ist. Zur Übersetzung von Slang- und Fachausdrücken aus den 1920er Jahren empfiehlt sich ein Dictionary am Zweitbildschirm.

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