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Eva Glawischnig

APA/HERBERT-PFARRHOFER

dailyblumenau

Politik und Moral

Mit ihrem Novomatic-Stunt hat Eva Glawischnig heftige Diskussionen über politische Moral ausgelöst. Allerdings steckt der Diskurs an der Oberfläche fest und erzählt so nicht nur von der Krise der politischen Elite, sondern viel mehr von der Krise des demokratischen Souveräns, also des Staats/Wahlvolks.

Von Martin Blumenau

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Schon am Tag der Bekanntgabe des neuen Betätigungsfeldes der ehemaligen Chefin der Grünen beim globalen Glücksspielkonzern aus Gumpoldskirchen waren die ersten Memes mit „Danke, Eva!“-Nachwahl-Plakaten im Umlauf. Es war klar, dass diese als klassisches Überlaufen interpretierbare Aktion der bei 5%-Umfragewerten grundelnden vormaligen Kärntner Regierungspartei bei den gestrigen Wahlen den Todesstoß versetzen würde. Ein Schelm oder ein politischer Narr, wer sich bei einem solchen Timing nichts denkt.

The daily blumenau bietet seit 2013 ebenso wie sein Vorgänger, das Journal, regelmäßig Einträge zu diesen Themenfeldern.

Es war Glawischnigs gefallsüchtiger und zugleich gouvernantenhafter Kurs zwischen gesellschaftlichem Dauerzeigefinger und Seitenblicke-Bussis, der aus einer kantigen Bewegung mit hohem Lässigkeitsfaktor die unbeweglichste politische Kraft des Landes geformt hat. Der bewusste Verzicht auf ein nachvollziehbares Profil kann aber bei einer zwar im Kern harmoniesüchtigen Gesellschaft, die sich entschlossen hat, ihre Angstfantasien durch repräsentatives Handlungs-Outsourcing an Drachentöter (auch Fantasiefiguren) einfangen zu lassen, nur bedingt punkten.

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Überlagert wurde diese Positionierungs-Frage aber durch die Frage nach der dahinterstehenden Moral eines solchen shifts. An sich nichts Ungewöhnliches : Ex-Politiker in der Privatwirtschaft – das ist Normalität. Wenn ehemalige VP-, SP- oder FP-Granden sich bei Großkonzernen verdingen, deren staatliche Kontrollore sie zuvor waren, dann hat das zwar ein Geschmäckle, wird aber von einer großen Mehrheit der Menschen als gegeben akzeptiert. Da existiert ein ungeschriebenes Eine-Hand-wäscht-die-andere-Übereinkommen zwischen Parteien und Wählerschaft – die Hoffnung, selber einmal zu profitieren. Wer sich einer Partei andient, kann mit Vorteilen rechnen oder gar mit Pöstchen honoriert werden, egal ob via ÖCV oder im Gemeindebau. Die Neos etwa haben ihre medienwirksamste Position einfach gleich an ihren größten Spender vergeben.

Die Moral kommt erst ins Spiel, wenn der Gegensatz zwischen vorheriger Ideologie und dem neuen Job eklatant wird. Alfred Gusenbauers Lobby-Einsatz für autoritäre Staatsmänner und Oligarchen sorgt immer wieder für öffentliche Abscheu. Dass konservative Politiker schon lange vorher in diesem Marktsegment tätig waren, flog unter den allgemeinen Interessens-Radar durch.

Glawischnigs Coup als Nachhaltigkeits-Beauftragte bei einem auch symbolisch stark aufgeladenen Gegner ihrer nunmehrigen Ex-Partei anzuheuern, wird auch deshalb als grenzüberschreitender Tabu-Bruch wahrgenommen, weil man einander diametral gegenüberstand, während die politische Elite von rechts bis hin zur SPÖ immer schon realpolitische, soll heißen: relativierende Positionen eingenommen haben. Und man ihnen dadurch bereits immer auch alles Schlechte zugetraut hat.

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Die Erregung ist also deshalb groß, weil die Grünen bis dato als die einzige Partei wahrgenommen wurden, die bei der politisch motivierten Job-Vergabe nicht mitgespielt haben. Stichwort: korruptions- und weitgehend skandalfrei.

Daran ändert sich auch durch Glawischnigs politisch-strategisch unsensiblen move nichts: Gerade weil sie und ihr Umfeld es waren, die die ideologische Schärfe und den direkten Zugriff zugunsten einer Wohlfühl-Wabbrigkeit aus der Partei genommen hatten, wirken die naiv angetragenen Begründungen für den 180 Grad-Schwenk bis zu einem gewissen Grad glaubwürdig.

Die eigentlichen Adressaten der Erregung sind aber nicht, wie es die Oberflächen-Debatte der letzten Tage glauben machen möchte, Glawischnig, auch nicht die glaubhaft in ihren Grundfesten geschockte Rest-Partei. Sondern der schon angesprochene Souverän, die bis vor kurzem etwa zehn Prozent des wählenden Staatsvolks, die sich bislang für Grün entschieden haben.

Ein ganzes Glaubenssystem gerät ins Wanken, und es wird doppelseitig befeuert: Von außen, also jenen Kräften (samt Fans), die an die eigenen Reihen marginale moralische Ansprüche stellen ebenso wie von innen, wo die immerwährende kritische Selbstreflexion systemimmanent ist. Diese Debatte ist sicherlich interessant, aber dann doch nur für die 5 Prozent der grünen Core-Wählerschaft. Und sie dient zur nachträglichen Rechtfertigung für jene 5%, die sich zuletzt abgesetzt hatten. Es bleibt aber ein Minderheiten-Diskurs.

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Viel interessanter ist das, was von außen in diese Positionierungs-Debatte hineingetragen wird: das reicht vom banalen Ätschibätschi-Du-also-auch bis hin zur Bausch&Bogen-Vereinnahmung der Grünen als im schlechten Sinn jetzt auch „angekommene“ Alt-Partei.

Der politischen Elite instrumentalisiert dieses Gespött (wiewohl es genau genommen geringe Substanz hat) so wie sie jegliches Geschehen zu ihrem jeweiligen Vorteil umdeutet - so weit, so langweilig.

Der Souverän hingegen zeigt in der plötzlich aufkommenden Moral-Debatte seine durch zu viel populistische Anfütterung bedenkenlos angenommene Janus-Köpfigkeit. Es werden hochgesteckte moralische Standards zur Norm erklärt, die weder die selber präferierte Partei oder Ideologie auch nur ansatzweise erfüllt, noch in den ganz normalen individuellen Leben auch nur angestreift werden.

Letztlich dient die Glawischnig-Affäre dazu, die anstrengenden „Gutmenschen“, die ein richtiges Leben zumindest anstreben, aufs eigene Level runterzuziehen. Dass die angeklagte moralische Verkommenheit der eigene Status Quo ist, wird niemand offen zugeben, die Erkenntnis trieft dennoch aus jeder einzelnen hämischen Wortmeldung.

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Es ist ein vielleicht recht österreichisches Problem, dass der Souverän nicht so viel von sich selber hält; vom moralischen Aspekt her gesehen. Jahrhundertelanger Untertanen-Ungeist hat hier ganze Arbeit geleistet. Der Herr Karl redet sich, nach außen hin, sein Leben schön. Nach innen weiß er um seine Verkommenheit.

Der Souverän steckt in einer Sinnkrise; er projiziert seine eigene Unsicherheit auf die Politik/Politiker. Er sucht die Schuld am fehlenden moralischen Kompass bei ihnen, verlangt nach Menschen, die Unmögliches vorleben, um sie postwendend für ihr Scheitern verdammen zu können.

Dass der moralische Kompass von ihm selber, dem Souverän, dem Wahl- und Staatsvolk ausgehen muss, ist verflüchtigtes Wissen. Verlorengegangen in einer parfümierten Wolke übertriebener Bauchpinselei. Dass er immer recht habe; dass seine Ängste immer ernstgenommen werden müssten; dass seine gefühlte Befindlichkeit die Realität aussticht.

So behandelt man Millionärskinder; und auch das ist pädagogisch falsch. Ein Souverän, der eine ganze liberale Demokratie tragen muss, braucht eine andere Ansprache, eine, die ihn ernst nimmt und ihm die Wirklichkeit zumutet.

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Ich will damit keinem trockenen Fakten-Fetischismus das Wort reden.

Denn eines zeigt die aktuelle Erregung auch: Themen der Moral emotionalisieren. Die konturierte Betonung von Andersartigkeit, die in anderen, angstbesetzten Kontexten funktioniert, greift auch hier. Und das konstruktive Nebeneinander von vielen Andersartigen, und die dabei entstehende Reibung macht das Wesen der liberalen Demokratie aus und verhindert das Abgleiten in den gleichgeschalteten, national durchsetzten Illiberalismus einiger benachbarten Demokratien mit schon deutlich autoritären Zügen.

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