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Joja

Katherina Lochmann

Zu sensibel oder militant? Wahrscheinlich beides.

„Du bist zu sensibel“, wird eine Frau zu hören bekommen, die Zweifel an Gleichbehandlung hegt. Werden Missstände aufgezeigt und Verhaltensweisen kritisiert, mutiert Übersensibilität, laut Augenzeugen, schnell in „Männerhass“ und militanten Feminismus.

Von Joja

Joja aka Johanna Mayr-Keber ist Architektin und DJ seit den frühen 2000ern. Sie veranstaltet mit ihren V ARE Kolleginnen Misonica und Ventil-Labelbossin Ursula Winterauer die Serie Reform Act
tba++22/23 06 2018]

Ist eine Musikerin in ihrem Privatleben mit einem Musiker liiert, dann muss sie damit rechnen, in Interviews auf „seinen Einfluss auf ihren Sound“ angesprochen zu werden. Sie sollte sich daran gewöhnen, dass manche Soundtechniker ihr nicht zutrauen werden, den Unterschied zwischen XLR und Klinke zu kennen. Sie wird an der Bar des Clubs, in dem sie spielt, zur Kasse gebeten werden, während ihre männliche Begleitung für das Personal als Artist durchgeht und gratis bestellt.

Auch als Veranstalterin, Promoterin oder Journalistin wird sie erleben, wie männliche Acts grundsätzlich davon ausgehen werden, dass der Mann im Raum die Verantwortung trägt. Sie wird mit Kollegen zu tun haben, die nur darauf warten, dass sie Fehler macht. Sie wird den Typen, der vor ihr spielt, dezent darauf hinweisen, dass er bereits 30 Minuten überzieht und sie jetzt eigentlich bereit wäre. Sie wird gerade noch einen Übergang machen, während der nächste DJ schon neben ihr steht, ihr in den Mixer greift und klar erkennen lässt, dass er jetzt dran ist, auch wenn ihre Set-Time noch gar nicht vorbei ist. Sie wird in einem Gruppenchat der DJs für eine Party, wo alle anderen Männer sind, von einem Kollegen lesen müssen, dass es falsch wäre, sie zur Prime-Time spielen zu lassen, weil sie das nicht könne. Sie wird sehen, dass kein anderer in diesem Chat etwas dazu sagen wird. Sie wird bei der Party dann doch zum geplanten Slot spielen und plötzlich den großen Zweifler vor ihr abfeiern sehen und sich wundern.

Sie wird mit männlichen Kollegen spielen, die ihr sagen, dass ihr Sound super ist. Kollegen, die ihr Platz einräumen und das nicht aus sexueller Erwartungshaltung, sondern aus Respekt und Interesse. Sie wird den Unterschied spüren zwischen männlichen Mitstreitern, die sie stets kritisch beäugen werden und denen, die an ihrem Platz in der Musiklandschaft nie den geringsten Zweifel hatten. Sie wird Personen treffen, die sie unterstützen und fördern.

Die Musikszene ist ein schwieriges Gebiet. Prekäre Verhältnisse für alle Teilnehmenden reduzieren die Ressourcen für Empathie.

Für mich kristallisierte sich erst nach über einem Jahrzehnt der Teilnahme ein Gefühl heraus, dessen Herkunft ich lange nicht verorten konnte. Ich lebte im Glauben, es herrsche Gleichberechtigung. Lange konnte ich die Notwendigkeit von Feminismus nicht begreifen, viel zu lange habe ich gebraucht, um die Macht von Sprache nachvollziehen zu können, und empfand Binnen-I-Debatten als unnötig und von übersensiblen Frauen initiiert. Ich war total verfangen in patriarchalen Strukturen, empfand mich als gleichberechtigt und habe mich nie darüber gewundert, die einzige Frau in einem Raum zu sein.

Über die Jahre durfte ich mehr und mehr Frauen in meinem Umfeld finden, hatte dadurch die Möglichkeit, mich über Erfahrungen auszutauschen, und musste feststellen, dass gewisse Erlebnisse keine Einzelfälle sind.

Mit einigen (zumeist weißen, heterosexuellen, privilegierten) Männern gestaltet sich der Austausch über diese Thematik schwierig. Sie verfallen sofort in eine Verteidigungshaltung und nehmen automatisiert die Gegenposition ein. Sie fordern Beweise, meinen, sie hätten es genauso schwer, postulieren, ihnen hätte auch niemand geholfen, und sprechen mir so meine eigene Wahrnehmung ab. Sie werden über mich als „militante Feministin“ reden. Es ist ermüdend.

Es ist lähmend für „ladies nights“ angefragt zu werden, mit welchen sich Clubs selbstbeweihräuchern, um sich eigentlich der Verantwortung zu entziehen, ein ausgeglichenes Programm zu gestalten. Es kommt mir vor wie Ablasshandel.

Ich denke, dass auch 2018 noch Handlungsbedarf existiert. Vieles mutet an, als wäre die Gleichberechtigung schon vollzogen, auf den ersten Blick steht (hier in Österreich) nahezu alles allen offen. Geschichtlich betrachtet ist der Weg der Emanzipation aber erst sehr kurz beschritten und es wird noch viele Meter brauchen, um die alten Strukturen und Denkmuster zu überschreiben.

Oft, denke ich, ist es Personen gar nicht bewusst, wie sehr sie selbst noch fragwürdige Positionen manifestieren. Vor kurzem hörte ich folgende Aussage von einem jungen Journalisten: „He is gay, but the music he produces is really cool" ..?? w*at*he*u*k ... #seriously?

Vermutlich fällt es nicht besonders vielen Menschen auf, dass so eine Aussage frei von jeglicher Logik ist und eigentlich an der Zurechnungsfähigkeit des Aussprechenden zweifeln lässt.

Joja moderiert morgen, Freitag, FM4 La Boum De Luxe und freut sich schon auf den Besuch von Tina 303, Electric Indigo und V ka. Und es gibt eine weitere Ausgabe von Joyce Muniz & friends, diesmal mit Coco Cole (UK), VONDA7 (Polen) und IsaGT (Kolumbien).

Als Michael Reinboth von Compost Records bei uns in FM4 La Boum De Luxe zu Gast war, fragte ich ihn als langjährigen Kenner der Szene, wie er die Position von Frauen wahrnehme. Er meinte, es hätte schon immer aktive Frauen gegeben, nur dass sie nicht die gleiche Anerkennung für ihr Schaffen bekommen hätten.

In der ganzen Geschichte geht es nicht um Schuldzuschreibungen. Es geht darum, es in der Zukunft besser zu machen und am besten jetzt damit anzufangen.

Es ist schön, dass sich was ändert.

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