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Filmstill ★

Sixpackfilm/Johann-Lurf

Da kannst du nicht wegklicken!

Die Diagonale hat mit „Murer - Anatomie eines Prozesses“ begonnen und sie geht auch mit ihm zu Ende: Christian Froschs Gerichtsdrama wird als bester Spielfilm ausgezeichnet. Und Nikolaus Geyrhalters „Die bauliche Maßnahme“ wird zum besten Dokumentarfilm gekürt.

Von Maria Motter

In dem einen Kinosaal leuchten die Sterne am Firmament in Szenen aus 553 Spielfilmen und in dem anderen Kinosaal blinken Armbänder an Handgelenken zu kurz eingespielten Takten Gigi D’Agostinos „L’Amour Toujours“. Selbst für die letzten Mitternachtsvorstellungen der Diagonale 2018 wurden Wartenummern ausgegeben und dann waren alle Sitzplätze besetzt. Johannes Lurf zeigt in „★“ alle klaren Sternenhimmel, die er in der Filmgeschichte von 1905 bis 2017 finden konnte. Betörend ist auch die Tonebene dazu, ebenfalls aus den Originalwerken. In vielen Szenen wird gesprochen, in anderen erklingt Musik. Der Diagonale Preis Innovatives Kino geht gestern Abend an Johannes Lurf für „★“ und nur Minuten später ist das Publikum im KIZ RoyalKino mitten in diesem Zauber. Manche geben danach zu, sie wären kurz eingenickt, aber das Aufwachen sei umso schöner gewesen und die Müdigkeit, die sei der intensiven Diagonale-Woche geschuldet.

Filmstill "Die letzte Party"

Thimfilm / Gebhardt Productions GmbH / Petro Domenigg

„Die letzte Party deines Lebens“ steht als Schriftzug auf dem Merchandise, das mit Blinken auf Musik reagiert und von Promotion-Männern (wohlbemerkt mal keinen Frauen) jeder Besucherin und jedem Besucher beim Einlass in die Hand gegeben wird. In der Preview des kurzweiligen Horrorfilms „Die letzte Party deines Lebens“ von Dominik Hartl rockt dann der Filmemacher und Shortynale-Filmfestival-Initiator Christoph Rainer das anschließende Publikumsgespräch und entlockt den Beteiligten einige Geschichten. Der Film schickt das Publikum zur Matura-XL-Party auf eine kroatische Insel, ganz bewusst ist der Film für ein junges Publikum gemacht worden, das sonst vom österreichischen Film eher übersehen werde, so die Producer. „Aber so sozialkritisches Drama, das hätte sich doch auch angeboten?“, fragt Christoph Rainer zurück. Das darf auch als Seitenhieb verstanden werden. „Und dann habt ihr gedacht, wer könnte geiler sein als der ‚Lederhosenzombie‘-Regisseur?“, fragt Rainer. „Exakt das war’s“, antwortet der Produzent.

In der letzten Nacht der Diagonale 2018 wird klar, wie viel das österreichische Filmschaffen noch ist und noch sein könnte. Bei der Preisverleihung im Orpheum streicht zuvor der Filmproduzent Dieter Pochlatko für die Verwertungsgesellschaft für audiovisuelle Medien die Bedeutung des Kinderfilms hervor. 120000 KinobesucherInnen sahen bisher „Hilfe, ich hab meine Eltern geschrumpft“ und die Produzentin Katja Dor-Helmer sagt, dass der Kinderfilm noch immer nicht von allen ernstgenommen werde. Der Produzent Wolfgang Ritzberger wird auch mit dem Preis für außergewöhnliche Produktionsleistungen bedacht: Fast 90000 Menschen haben sich bisher Adrian Goigingers autobiografisches Spielfilmdebüt „Die beste aller Welten“ angesehen. Der Film tourt weltweit, die Liste der Auszeichnungen geht inzwischen über zwei Seiten.

Die bauliche Maßnahme Filmstill

Geyerhalterfilm

Die beste Dokumentation

Für „Die bauliche Maßnahme“ wird Nikolaus Geyrhalter mit dem Großen Diagonale Preis des Landes Steiermark, dotiert wie der Spielfilmpreis mit 21000€, ausgezeichnet. Den angekündigten Bau eines Grenzzaunes am Brenner wollte der Regisseur, Kameramann und Produzent Nikolaus Geyrhalter begleiten. Sein Film ist sehr unaufgeregt bei einem Thema, das sonst geradezu hysterisch besprochen wird. Zu Wort kommen BewohnerInnen der Tiroler Bergwelt, die einem im Osten Österreichs manchmal fremder erscheint als andere Länder der Welt. Die ProtagonistInnen halten regelrechte Reden. Allein ihre Eloquenz führt einem das eigene Klischeedenken vor Augen. Hat der erneut ausgezeichnete Dokumentarfilmemacher einen Tipp, wie man den Ton seines Films auch für die Diskussion im Alltag annehmen könnte?

„Man muss sich die Zeit nehmen, zuzuhören. Das ist das, was in der Politik nicht passiert und das, was im Alltag auch immer weniger passiert. Ich glaube, wir leben alle in unserer Blase, haben sehr schnell unsere Meinungen und setzen uns mit anderen auch gar nicht mehr auseinander, weil es unbequem ist. Aber in Wahrheit kommt die Gesellschaft damit nicht weiter.“ So schnell Meinungen zu verdammen wie es heute passiere, sei sinnlos und führe mehr zu einer Spaltung der Gesellschaft. Das zeige sich an den Wahlen, daran dass die Mitte fehle und man nur noch die Extreme sehe.

„Ich glaube, dass das Kino zunehmend zu einem Ort wird, in dem ein wirklicher Diskurs stattfinden kann. Weil man dort mit Meinungen konfrontiert ist, denen man sich sonst nicht aussetzen würde, weil man weiterklicken würde. Genau diese Zeit, die man sich nehmen muss, dieses Aussitzen, dieses Nicht-flüchten-können ermöglicht einen Diskurs, der sonst kaum mehr möglich ist“, sagt Nikolaus Geyrhalter. Woran er als Nächstes arbeitet, verrät er noch nicht.

Szene aus Murer

Prisma Film / Ricardo Vaz Palma

Der beste Spielfilm

Die Diagonale 2018 hat mit „Murer - Anatomie eines Prozesses“ als Eröffnungsfilm in der Helmut-List-Halle begonnen und sie endet, nein, sie setzt sich jetzt fort mit dem Großen Diagonale Preis Spielfilm für das packend inszenierte Gerichtssaaldrama um den historischen Fall Franz Murer. „Ich finde es unglaublich, dass man in einem Festival so hervorgehoben wird. Das ist eine wahnsinnige Ehre“, freut sich der Regisseur Christian Frosch über seinen Preis. Er wünscht sich, dass das Thema der Geschichtsverdrängung, dass der Film anstößt, präsent bleibt. „Eines muss man schon sagen: Wir haben schon geschafft, dass der Name Murer jetzt bekannter ist als vorher.“ Franz Murer, steirischer Lokalpolitiker und Großbauer, ist 1941 bis 1943 für das Ghetto von Vilnius verantwortlich gewesen. Der Autor Doron Rabinovici hat am Diagonale-Samstag in Graz nach den Vorführungen von Ruth Beckermanns exzellenter Dokumentation „Waldheims Walzer“ und von „Murer - Anatomie eines Prozesses“ die Publikumsgespräche geführt. Rabinovici schreibt: „Franz Murer, der in jenem Ghetto, aus dem meine Mutter, Schoschana Rabinovici, stammt und unter den Opfern als „Schlächter von Wilna“ bekannt gewesen war,“ wurde „später, im Österreich der sechziger Jahre vor Gericht trotz seiner Schuld freigesprochen. Womöglich wäre zu berichten, daß am Tag der Urteilsverkündung alle Blumenhandlungen der Stadt ausverkauft waren, da der Ausgang des Prozesses und der Angeklagte gefeiert wurden.“

Sein Film sei kein Film über den Holocaust, sagt Christian Frosch. „Es ist ein Film über die Zweite Republik, genau über die Zeit, in der man noch traumatisiert ist, wenn man so will, und dieses Trauma reicht ja bis heute. Das habe ich beim Drehen gemerkt: Jeder, der da steht, hat damit eine Geschichte - von der einen oder anderen Seite. Karls Vater war bei der SS, Ursulas Onkel... und wir haben die gegenteilige Geschichte von den jüdischen Zeugen, deren Eltern und Großeltern in der Shoa umgekommen sind. Es war schon eine sehr explosive Mischung, wo man merkt, wir alle haben irgendwie damit zu tun.“

Wird sich Christian Frosch wieder einem historischen Stoff widmen? „Ich hoffe nicht. Jetzt nach zwei historischen Stoffen würde ich gern was komplett anderes machen. Ich habe ein fertiges Drehbuch, aber das ist ein ungelegtes Ei. Mal schauen, ob es wieder ein Geld dafür gibt. Dann gibt es das Projekt, sonst ist es ein Buch, das herumliegt und verstaubt“.

Schauspielpreise an Ensembles

Unter den 17 Preisen, die im Rahmen der Preisverleihung auf der Diagonale im Gesamtwert von 117.000 Euro vergeben wurden, sind auch jene für die besten Schauspielleistungen. Die Jury konnte sich jedoch nicht entscheiden und hat daher die Ensembles von „COPS“ und „L’Animale“ ausgezeichnet. Je 3000 Euro also für jedes Ensemble. Eine Entscheidung wie ein Jury-Versagen. Ob jetzt alle SchauspielerInnen den Preis in ihrer Vita anführen? Die Ensembles freuen sich. „Wir freuen uns unheimlich! Oder freut sich jemand nicht?“, sagt Kathrin Resetarits und spricht für das ganze Team von „L’Animale“. Für Stefan A. Lukacs aka ISTVANs Polizeigewalt-Drama „COPS“ spricht Laurence Rupp, der für seine Rolle eine beeindruckende Transformation hingelegt hat und den WEGA-Beamten regelrecht verkörpert, bis in die Zornesfalte. „Stefan hat es geschafft, so toll und subtil Chef zu sein und trotzdem diese Machtstrukturen, die man normalerweise auf einem Set kennt, gebrochen hat. Auf einmal hatten wir lauter Spieler.“ - „Er hat auch gespielt!“, ruft eine Kollegin ergänzend.

Noch ist Diagonale ’18! Abends sind die Großen Preisträgerfilme in Graz zu sehen und wie viele andere freue ich mich schon jetzt, wenn Georg Grigoriadis im KIZ RoyalKino als Saalregie dann in einem Jahr bei der Diagonale 2019 wieder daran erinnern wird: „Ich darf Sie bitten, schalten Sie Ihr Mobiltelefon jetzt so aus, dass es weder läutet, leuchtet noch vibriert.“ Wunderbar. In der Zwischenzeit haben hoffentlich all die Filme, die man in den letzten Tagen nicht geschafft hat und doch so unbedingt sehen will, einen regulären Kinostart.

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