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Gundelach

Simen Skari

artist of the week

Trommeln in der Tiefe

Der norwegische Musiker Gundelach hat die Depression überwunden. Trotzdem nährt sie sein Debütalbum „Baltus“. Unser FM4 Artist Of The Week.

Von Lisa Schneider

„You don’t know how it feels to be alone“ singt Kai Gundelach auf „Control“, der Single seines Debütalbums „Baltus“, die das Album wie keine andere inhaltlich bündelt. Es ist die eigene Dunkelheit, die er umkreist, um sie schließlich aber nicht zu verstecken, sondern frei zu lassen. Nichts, worauf er stolz ist, nur stolz darauf, diese Tiefen erlebt und hinter sich gelassen zu haben.

Es beginnt im Untergrund

Kai Gundelach wächst am Rand von Oslo auf, schummelt sich mit einer falschen ID schon früh in die Clubs der Szene, um aufzulegen. Er macht sich bald einen Namen, ist einer der vielen upcoming stars der norwegischen Clubszene. Fluid-traurig tröpfelnder Clubsound, wie aus einer geheimnisvollen Höhle, tanzbar, aber verdeckt und vermischt mit den Emotionen, dem Schweiß und der Neugierde der Menschen, für die er auflegt.

2015 wird Gundelach seinen ersten eigenen Song, „Spiders“ veröffentlichen. Wie es einem Karriereboost nur gut tun kann, entdeckt sie ein großer Player des internationalen Popbusiness für sich, Pharrell Williams. Er spielt den Song in seiner Radiosendung Beats 1, auch BBC1 Radio klatscht in die Hände. Das könnte wirklich der nächste große skandinavische Export werden, zieht er doch die gern, oft und durchaus oft abgekaute - in dem Fall aber durchaus individuelle - nordische Melancholie wie eine dunkle Schleppe hinter sich her.

Immer größer, immer mehr

Was folgt, ist ein Liveauftritt nach dem anderen. Gundelach tourt durch Europa, spielt 2016 seinen ersten großen Gig am Oya Festival in Oslo, vor 6000 Menschen. Aber auch vor kleineren Ansammlungen, und vor allem auf vielen Festivals, so etwa auch vor zwei Jahren in Wien am JaJaJa Festival im WUK. Er veröffentlicht seine selbstbetitelte Debüt-EP, für viel mehr ist zwischen Bus, Bühne und Schlafentzug nicht Zeit. Jetzt, im März 2018, ist sein Debütalbum „Baltus“ erschienen, beim amerikanischen Label Terrible Records, in guter Gesellschaft von Solange, Blood Orange, Public Access TV.

Gundelach Cover "Baltus"

Terrible Records

„Baltus“, das Debütalbum von Gundelach, erscheint via Terrible Records.

Quoth the raven

Auch wenn der Titel des Albums wie der Name eines bärtigen Wikingers klingt, er reicht in Gundelachs Kindheit zurück. Vor dem Haus seiner Eltern, erzählt er, stand ein riesiger Baum, und für einige Jahre war er das Zuhause einer riesig großen Krähe, genannt Baltus. Gern möchte man da an Game Of Thrones denken, an den dunklen Raben mit den drei Augen, die alles sehen. Die Krähe, in Literatur und Kunst oft als Symbol des Dunkelsten, des Todes; später vermehrt auch Symbol von Melancholie und Einsamkeit. Tiefes Schwarz, es fließt in die Zeilen auf „Baltus“ und unter Gundelachs Haut: seine Krähe hat er sich auf den Unterarm tättowieren lassen.

„I was very depressed when I wrote that song“, erzählt Gundelach, über den erwähnten Song „Control“, „of course, when you are depressed, you can’t appreciate any of the things you do, you think like anything’s just not good enough. But when I found out about those texts years ago, found them again, they suddenly appeared to be really beautiful.“ Der mittlerweile 28-jährige hat seine Depressionen überwunden, er denkt sich jetzt zurück in die Zeit, „I no longer suffer from the anxiety I suffered from back in those days, so I somehow loan this feelings from past days“. Musik als Therapie, das hat man oft gehört, auch bei Gundelach ist es ähnlich, und doch wieder nicht. Die Therapie ist nicht mehr nötig, wohl aber das abschließende Betrachten einer prägenden Lebensphase.

„Duckhunting“ heißt der Song, der nach einem kurzen Intro das Debütalbum von Gundelach eröffnet. Dass Justin Vernons Falsett als Referenz herhalten muss, mag in diesem Zusammenhang wenig erstaunlich klingen; hat er, überreizt von Liebesschmerz, dem Druck von Industrie und Außenwelt in einer alten Jagdhütte in Wisconsin sein erstes, fabelhaftes Album aufgenommen. Von Amerika schielt Gundelachs „Baltus“ dreiäugig auch hinüber nach Island, zu Jonsi, zu Asgeir.

Nun endet das Album aber nicht nach dem Opener, und Gundelach wühlt sich aus dem Referenzendschungel, vorbei am schwerwiegenden Inhalt seiner Texte, auf der Suche nach der Mischung, die genug Selbst und genug der Anderen in sich vereint.

LIVE

Gundelach wird am 2. Juni auf der FM4 Stage am Stream Festival in Linz spielen.

While my guitar is weeping

Und das gelingt, je weiter das Album fortschreitet. Ab „Control“ stehen Songs wie „Hurt“, „Past The Building“ oder „Games“ – die beiden letztgenannten aufgenommen mit der norwegischen Künstlerin ARY – in einer neuen Tradition des Musikers, die es mit zähen Claps, mit retro-chicen 80er-Jahre-Synthesizern und durchaus technoiden Einflüssen schafft, Originalität zu entwickeln.

Es ist von atmosphärischen Vocals aufgefüllter Dancepop, oszillierend zwischen Club und Radiostation, aber im Gegensatz zum reinen Dancefloorhype durch oft bemerkenswert feine Gitarrenfertigkeiten hervorgehoben. Die klaren Saitenklänge werden abgeschwächt und ummodelliert, und trotzdem bleibt an manchen Stellen ein saftiges Gitarrensolo stehen. Und auch das zeigt, wie der Albumtitel, den Weg zurück in Gundelachs Kindheit und Teenagerzeit. Die Gitarre ist sein Instrument, wie bei Bruce Springsteen verändert die erste elektronische im Alter von 13 Jahren sein Leben. Von analog zu elektronisch hinein in eine goldenen Mischung, das ist „Baltus“.

Die eigene Dunkelheit macht die Kunst, den Kampf gegen sich selbst hat Kai Gundelach gewonnen. „Baltus“ ist die Krähe, die nur den Tod der Vergangenheit will.

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