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szenenbilder aus "I, Tonya"

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FILM

Ay, Tonya!

„You rose from the ashes, survived all the crashes“ singt Sufjan Stevens über Eiskunstläuferin Tonya Harding und von genau diesen „ashes“ und „crashes“ erzählt auch die grandiose Achterbahnfahrt von einem Film namens „I, Tonya“.

Von Pia Reiser

Die meisten Biopics erzählen ihre Geschichten so, als würde einen ein Experte im Frack räuspernd und flüsternd durch ein Museum führen. Nicht so „I, Tonya“. Der Film fühlt sich so an, als würde eine begabte Kinderpunk-Band in Neon-Turnanzügen einem direkt ins Gesicht brüllen - und man findet das dann auch noch richtig gut und punkbrüllt mit. Ein Film, wie ein Stromschlag, und Stromschlag das trifft auch ganz gut die von Dauerwellen und Bleichmitteln gepeinigte Frisur von Tonya Harding.

T-o-n-y-a- H-a-r-d-i-n-g. Diesen Namen kennt 1994 jeder und hauptsächlich nicht deswegen, weil die Eiskunstläuferin die erste Amerikanerin ist, die in einem Bewerb einen dreifachen Axel gesprungen ist. Auch Hardings damaligen Ehemann Jeff Gillooly kennt man damals namentlich. To gillolly someone wird zum Synoym für jemandem die Kniescheibe zertrümmern. Genau das hat ein Mann - angeheuert von Gillolly - mit Eiskunstläuferin Nancy Kerrigan gemacht, Hardings größter Konkurrentin. Ob und wieviel Harding von diesem Vorhaben wusste, war lange nicht klar, doch noch während Kerrigans verzweifeltes „Why“ nach der Attacke durch die Gänge der Eishalle in Detroit hallte, wurde aus Tonya Harding durch die Boulevardpresse the evil witch. Und Kerrigan endgültig die Eisprinzessin in den Vera Wang-Kostümen.

szenenbilder aus "I, Tonya"

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„I, Tonya“ von Regisseur Craig Gillespie ist nun ein aus Polyester und Pophits genähtes Spektakel, das ohne große Psychologisierungen davon erzählt, wie aus der Olympiahoffnung Harding jemand werden konnte, der wohl von den „Einschüchterungsplänen“ ihres Mannes gegen Kerrigan wusste und nichts dagegen gemacht hat. I mean who smashes in their best friend’s knee, what kind of a person does that fragt Margot Robbie als Harding gleich zu Beginn des Films und spricht direkt in die Kamera, direkt zu uns. Damit stellt „I, Tonya“ auch gleich mal klar, dass es mit klassischen Biopics, die sich gern salbungsvoll damit schmücken, eine wahre Geschichte zu erzählen, nichts gemein hat.

„I, Tonya“ setzt sich aus Spielfilm und Mockumentary zusammen. Nicht nur Robbie als Harding kommentiert das Geschehen als talking head sondern auch Sebastian Stan als Jeff Gillolly und Allison Janney als Tonya Hardings Mutter LaVona - und so hanebüchen es sich teilweise anhört, was sie erzählen, die meisten dieser Statements stammen aus tatsächlichen Interviews mit Gillolly und den Hardings. Der Film kleistert also Fakt und Fiktion zusammen, lässt den Spielfilm für ein paar Verschnaufen mit den ruhigen Einstellungen der Interview-Sequenzen zu Ruhe kommen, um dann wieder weiterzubrettern.

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Wurde mit einem Oscar für ihre Rolle als LaVona Harding ausgezeichnet: Allison Janney

Mit dem Tempo und Energie einer wütenden Eiskunstläuferin kuft „I, Tonya“ über die Leinwand, um zunächst vom Aufwachsen der kleinen Tonya Maxene zu erzählen, das in einem Umfeld stattfindet, in dem für paillettenbestickte Söckchen und Eisprinzessin-Sensibilitäten kein Platz ist. Tonyas Zuhause ist eigentlich schon eine Endstation: Ein Trailer inmitten der red neck-Trübseligkeit, eine Mutter, die sie schlägt und im Streit mit ihrer Teenagertochter schon mal ein Messer nach ihr wirft. Die Gewalt gehört zum Alltag von Tonya Harding, wie das Trainieren auf dem Eis, das sie im Alter von vier Jahren beginnt. Die Diskrepanz zwischen der brutalen Rohheit, die für Harding Alltag ist, und dem künstlich herausgeputzten Glamour der Welt des Eiskunstlaufens könnte größer nicht sein.

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Doch egal, wie sehr sich Tonya Harding bemüht, am Eis ein larger than life-Lächeln aufzusetzen, und die selbstgenähten Kostüme so glitzerig wie möglich zu machen, das „White Trash“-Label kann sie nie abschütteln. Wut und Frustration nisten sich in Hardings Gesichtszügen ein und „I, Tonya“ bringt grandios ihre Präsenz am Eis, Eleganz, deren Motor aber oft angestaute Wut ist, auf die Leinwand. Sportkommentatoren haben immer betont, dass Hardings Stärke das Athletische sei, nicht das Künstlerische. In Margot Robbies Harding steckt irgendwann so ein Groll, sie müsste eigentlich Wälder roden, wenn nicht das Eiskunstlaufen Ventil wie Exit-Strategie gleichermaßen für diesen Groll wären.

„With her fierce make up she looks like a child’s drawing of an angry babysitter“, so beschreibt David Sedaris Tonya Harding in „Theft by Finding“ und tatsächlich ist im Falle Harding das Make Up eine Kriegsbemalung, das Rouge eine Kampfansage an den Rest der Welt. Auch Hardings Musik-Auswahl, zu der sie sich bei Bewerben aufs Eis begibt schreit alles andere als „Liebt mich“. Harding gleitet, springt, pirouettet und dreifachaxelt zu ZZ Tops „Sleeping Bag“ oder zum Soundtrack von „Jurassic Park“. Eisprinzessin, my ass.

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„I, Tonya“ startet am 23. März 2018 in den österreichischen Kinos

Angetrieben von einem schlagfertigen Voice-Over und einem ohrwurmigen („Gloria“!) wie energetischen („Gone Daddy Gone“) Soundtrack protokolliert der Film auch, wie Harding von der Brutalität, Eitelkeit und Dummheit der Menschen in ihrer engsten Umgebung zurückgehalten wird. Die fast cartoonhafte Blödheit von Figuren wie Shawn, Tonyas selbsternanntem Bodyguard, erinnert an die zynische und schwarzhumorige Welt der Coen-Brüder. Den dicklichen, dümmlichen Mann, der sich für einen Geheimdienst-Experten hält, könnte man für eine Erfindung des Drehbuchs halten - bis man im Abspann den echten Shawn sieht. Kannste dir nicht ausdenken, sowas.

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Mit den verschiedenen Erzählern, dem ausschweifenden Soundtrack und auch dem Durchbrechen der vierten Wand wurde „I, Tonya“ als das „Goodfellas of figure skating“ beschrieben und mit so wohlmeinenden Scorsese-Referenzen rückt die amerikanische Kritik nicht leichterhand raus. „I, Tonya“ rüttelt an dem Bild, das man von Tonya Harding hatte und das, ohne sich auch nur eine Sekunde lang in die getragene Selbstverliebtheit des Genres „Biopic“ zu begeben. Ein dreifacher Axel in Filmform.

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