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Blick in den Plenarsaal während der Budgetrede des Finanzministers Hartwig Löger (ÖVP) im Rahmen einer Sitzung des Nationalrates im Parlament in Wien am Mittwoch, 21. März 2018.

APA/ GEORG HOCHMUTH

„Integration braucht Zeit“

Die ÖVP-FPÖ-Koalition will vor allem in Integration und Bildung sparen. Das macht das Land aber nicht sicherer, wie die Sozialpolitik-Expertin Judith Kohlenberger im FM4-Interview festhält.

Von Sophie Liebhart

Seit einer guten Woche gibt es den Budgetplan der neuen Regierung und fest steht: Es wird in vielen Bereichen gespart. Betroffen sind vor allem Integration und Bildung. Judith Kohlenberger vom Institut für Sozialpolitik der WU Wien im Interview über die Bedeutung und Folgen diese Sparmaßnahmen haben könnten.

Sophie Liebhart: Vieles was das Budget angeht, ist ja noch sehr vage. Was weiß man denn schon?

Coverbild: Blick in den Plenarsaal während der Budgetrede des Finanzministers Hartwig Löger (ÖVP) im Rahmen einer Sitzung des Nationalrates im Parlament in Wien am Mittwoch, 21. März 2018.

Judith Kohlenberger: Was man weiß ist, dass von diesen Kürzungen im Bildungsbereich vor allem der mit 80 Millionen Euro dotierte Integrationstopf betroffen ist. Der läuft heuer aus und wird nicht verlängert. Er wurde vor mehr als zwei Jahren geschaffen, um mit dem verstärkten Betreuungsaufwand für Geflüchtete zurecht zu kommen.

Und wir wissen, dass davon das Unterstützungspersonal an Schulen betroffen sein wird. Die Anzahl der österreichweit rund 850 Förderlehrerinnen und Förderlehrer wird halbiert, wenn es nach den jetzigen Budgetplänen geht. Betroffen sind vor allem auch Stellen der Schulsozialarbeiter, also Unterstützungspersonal für reguläre Lehrerinnen und Lehrer. Ein wichtiger Aspekt gerade bei geflüchteten Kindern und Jugendlichen sind da zum Beispiel Schulpsychologinnen und Schulpsychologen.

Und die sind gänzlich aus dem Integrationstopf finanziert und die werden wegfallen. Außer man findet alternative Finanzierungsmöglichkeiten.

Judith Kohlenberger

Raimo Rudi Rumpler

Judith Kohlenberger

Welche Projekte sind denn neben den Schulen konkret betroffen?

Ein ganz konkretes Beispiel sind die Wiener Jugendcolleges. Die sind zu einem Viertel vom AMS finanziert, das heißt dieser Teil oder auch noch ein größerer könnte wegfallen. Und diese Jugendcolleges finde ich ganz relevant, weil sie sich an eine Zielgruppe richten, die so ein bisschen durch die Maschen des Netzes fällt. Das sind Geflüchtete zwischen 15 und 21 Jahren, also Personen, die nicht mehr schulpflichtig sind. Demografisch gesehen ist das eine große, relevante Gruppe. Diese Personen sind sehr jung und deshalb werden sie dem Arbeitsmarkt sehr lange zur Verfügung stehen. Daher macht es doppelt Sinn, in diese Leute zu investieren. Die Jugendcolleges greifen da wirklich in einen relevanten Bereich ein, bieten Deutschkurse, Arbeitstrainings und sollen für den Schulabschluss oder den Jobeinstieg fit machen.

Sind auch Programme für Erwachsene von den Kürzungen betroffen?

Ja, ganz klar. Im Rahmen des Integrationsjahres wurden erst vergangenen Herbst Programme geschaffen, die Geflüchtete ein ganzes Jahr lang bei der Integration unterstützen sollen – mit Kompetenzclearing, Bewerbungstrainings und weiterführenden Deutschkursen. Auch Asylwerbende sollten im Rahmen dessen bereits die Asylantragsphase sinnvoll nützen. Und dieses Budget soll nun gänzlich gestrichen werden.

Welche Integrationsmaßnahmen werden denn mit dem gekürzten Budget noch möglich sein?

Ich denke, man wird wahrscheinlich abwägen müssen, ob es zu Kürzungen bei bestimmten Gruppen kommt oder ob man flächendeckend deckelt, sprich man kann Deutschkurse nur noch bis zu einem sehr niedrigen Niveau finanzieren und weiterführende Qualifizierungen werden einfach nicht ausfinanziert.

Welche Folgen könnte all das haben?

Ökonomisch und gesellschaftlich betrachtet ist es billiger, Menschen bei der Integration zu unterstützen, anstatt sie komplett alleine zu lassen.

Die Folgekosten einer verpassten Integration sind hoch. Sie betreffen einerseits die Arbeitslosenquote unter Geflüchteten. Also sprich die Mindestsicherung, die die Volkswirtschaft dann trägt und die Tatsache, dass Geflüchtete eben nicht zu Beitragszahlern werden, weil sie nicht arbeiten. Es geht aber auch um den sozialen Zusammenhalt und um die physische und psychische Gesundheit von Geflüchteten. Denn bei einem anerkannten Flüchtling wird, wie auch bei österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, die Volkswirtschaft für Gesundheitskosten aufkommen müssen.

Geld für Integration ist immer auch Geld für die Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger.

Und zu guter Letzt möchte ich einen Bereich nennen, in den eigentlich stark investiert wird, die Sicherheit: Kürzungen der Integrationsmittel machen das Land nicht sicherer – weder subjektiv noch objektiv. Geld für Integration ist immer auch Geld für die Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger und soll langfristig den sozialen Zusammenhalt sichern. Und das sehe ich jetzt gefährdet durch solche Kürzungen.

Aber die Flüchtlingszahlen gehen doch zurück. Sind die Kürzungen in dem Bereich also nicht auch gerechtfertigt?

Ja, das ist immer die Argumentation, warum jetzt bei der Integration gekürzt wird, dass die Flüchtlingszahlen zurückgehen. Aber ich sehe da einen zeitlichen Widerspruch, einen Logikfehler. Die Zahlen gehen tatsächlich zurück, das stimmt. Aber wir bearbeiten jetzt noch die Asylanträge aus 2017, teilweise noch aus 2016. Und Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse werden ja erst nach Erhalt eines Asylstatus wirklich relevant. Und dann sind solche Maßnahmen nicht punktuell, sondern nur über einen längeren Zeitraum sinnvoll. Man lernt eine neue Sprache ja nicht von heute auf morgen.

Integration braucht Zeit und Investitionen brauchen Zeit, bevor sie sinnvoll wirken können.

Im Bildungsbereich, und Integration ist ja zu einem großen Teil Bildung, sieht man viele Investitionen erst nach einigen Jahrzehnten. Man weiß, dass ein ganzer Jahrgang, von Schulbeginn bis Schulabschluss, eine neue Reform durchlaufen muss, bevor man sinnvoll evaluieren kann und bevor die Ergebnisse spürbar und messbar werden. Das heißt, da hat man mit einer gewissen zeitlichen Verlagerung zu tun bei solchen Investitionen. Und im Integrationsbereich ist es ähnlich. Integration braucht Zeit und Investitionen brauchen Zeit, bevor sie sinnvoll wirken können. Und beides lässt man jetzt nicht zu.

Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) während der Budgetrede im Rahmen einer Sitzung des Nationalrates im Parlament in Wien am Mittwoch, 21. März 2018.

APA/ GEORG HOCHMUTH

Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) während der Budgetrede im Rahmen einer Sitzung des Nationalrates im Parlament am 21. März 2018.

Wie ist ihr Eindruck von der Stimmung bei all jenen Menschen, die sich in der Integrationsarbeit engagieren?

Ich glaube, dass die Zivilgesellschaft, was ehrenamtliches Engagement betrifft, gerade wegen des Gegenwindes in dem Bereich noch einmal einen Auftrieb erfahren hat. Und mit den jetzigen Kürzungen kann man auch vermuten, dass die Zivilgesellschaft noch mehr schultern muss, was zum Beispiel Zusatzangebote bei Deutschkursen oder sozialer Integration angeht. Vieles, was nicht mehr finanziert wird, wird auf freiwilliger, ehrenamtlicher Arbeit beruhen müssen.

Ich glaube, viele denken sich, „jetzt erst recht“.

Ich glaube, dass viele Personen, die einfach im Stillen Integrationsarbeit geleistet haben, sich denken, jetzt erst recht. Hoffentlich. Natürlich muss man umgekehrt sagen, viele freiwillige Helfende sind von einer gewissen Demoralisierung betroffen. Ich glaube, es geht da auch um eine Wertschätzung einerseits für Personen, die zu uns gekommen sind, aber auch für jene, die sich in dem Bereich engagieren.

Was würden Sie sich denn in der jetzigen Situation wünschen?

Gerade bei der Integration von Geflüchteten und von MigrantInnen gibt es international eine sehr gute Datenlage und das über Jahrzehnte. Das heißt, wir wissen eigentlich, was funktioniert und was nicht funktioniert. Deshalb würde ich mir eine evidenzbasierte Politikgestaltung wünschen, die diese Forschungsergebnisse wahrnimmt und sie auch verantwortungsvoll umsetzt.

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