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Punk is dead

Im Internet behauptet ein ehemaliger KGB-Agent, dass die Punk Bewegung und die Sex Pistols vom russischen Geheimdienst erfunden worden seien. Bulgariens bekanntester Punk war am Boden zerstört.

Von Todor Ovtcharov

Bate Petjo ist am Boden zerstört. Um zu wissen, wie unglaublich dieses Ereignis ist, muss man ihn kennen. Er ist einer, der nie, wirklich nie, weder vor Menschen noch vor Menschengruppen - und schon gar nicht vor dem ganzen System! - nachgegeben hat. Bate Petjo war immer gegen alles und er war immer siegreich. Egal, was das gekostet hat. Und es hat immer viel gekostet!

Bate Petjo ist einer der ältesten bulgarischen Punker. Mit 45 ist er in meinem Geburtsland Bulgarien ein Veteran der Punkbewegung, die sich wegen des Eisernen Vorhangs dort erst viel später verbreitet hat, nämlich erst Mitte bis Ende der 1980er Jahre mit Gorbatschows Perestrojka. Damals wurde Petjo mit seinem Rieseniro und der Sicherheitsnadeln in der Nase von den Menschen wie ein Außerirdischer betrachtet. Heute betrachtet man ihn genauso. Im Gegensatz zu den meisten seiner Altersgenossen scheißt er auf Gehaltserhöhungen und Familienurlaub auf den Kanaren. Er hat immer noch einen Iro und einen leichten französischen Akzent, aufgrund seiner fehlenden Vorderzähne. Ich war dabei, als er sie verlor, aber darüber erzähle ich euch später.

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Als ich ein Teenager war, war Bate Petjo unser Seelenguru. Ich hatte nie den Mut, mir eine Sicherheitsnadel in die Nase zu stecken, aber ich verfolgte Bate Petjo in seinen anarchistischen Aktionen. Ich verteilte die Zeitung der Anarchisten an Haushalte. Dabei fühlte ich mich wie ein Anarchoapostel oder wie ein Mitglied der französichen Resistance gegen die Nazis. Am Abend kamen wir alle in einem dreckigen Loch zusammen, das wir Vereinslokal nannten. In der Mitte des Lokals stand ein gestohlenes Schild von einer Busstation.

„Hauptbahnhof“ stand darauf, deshalb nannten alle den Club „der Bahnhof“. Es gab Konzerte von lustigen Bands mit Namen wie „Totale Penner“, „Sonderschule“ und „Hühnerkopf“. Es wurde auch immer wieder gefährlich - der Bahnhof wurde regelmäßig von Skinhead-Gruppen angegriffen. Da die Rechten immer in der Mehrzahl waren, wurden wir ab und zu auch geschlagen. Aber Bate Petjo hielt dagegen wie ein Löwe!

Er war wie das tapfere Schneiderlein, er stürzte sich auf die Skinheadhorden und schlug gleich Sieben auf einem Streich. Dabei, ihn wie das tapfere Schneiderlein zu sehen, half vielleicht auch die Sicherheitsnadel in seiner Nase. Bei einem dieser Kämpfe flog er gegen das Schild der Busstation und man sah, wie in Zeitlupe seine vorderen zwei Zähne herausfielen. Da sprach er auch zum ersten Mal mit einem französischen Akzent. Er stand auf und schrie: „Isch lebe noch!“

Genau mit diesem französischen Akzent rief er mich vor ein paar Tagen an. Statt seiner fröhlichen Stimme hörte ich einen am Boden zerstörten Mann. Was war nur passiert? Bate Petjo schickte mir einen Artikel von einer Punkfansite. Ein ehemaliger KGB-Agent habe behauptet, dass die Punk Bewegung und die Sex Pistols vom russischen Geheimdienst erfunden worden seien. Das Ziel der russischen Propaganda sei gewesen, die westliche Gesellschaft durch dekadenten Verfall zu schwächen. Sogar der Text von „God save the Queen“ solle von der KGB stammen.

Ich versuchte, meinen Punkerfreund zu beruhigen. Es gäbe keine Nachweise, dass das stimme und ob so ein KGB-Agent überhaupt existiere. Es hört sich unglaublich an, dass die KGB eine “Punkkulturabteilung” gehabt haben soll. Bate Petjo ist trotzdem am Boden zerstört. Jemand hat seine Götter mit dreckigen Händen berührt und er, der gottlose Anarchist, weiß nicht mehr, wen er anbeten soll. “Stell dir vor, so viele Jahren habe ich auf John Lydon gehört, in Wirklichkeit hörte ich auf Iossif Kobson!” Der unzerstörbare Bate Petjo ist zerstört. Das, was ihm sein ganzes Leben lang Mut gegeben hat, der Glaube an der Anarchie, ist ihm auf den Kopf gefallen. Die Anarchie der Internet-Nachrichten hat ihn überrollt. Nur sein Iro steht noch inmitten der Trümmer.

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