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Ruban Nielson Unknown Mortal Orchestra

UMO

Sex & Food

In seiner Heimat Neuseeland war er ein Punk-Star, in den USA hat er einen sehr eigenwilligen Pop-Sound entwickelt. Ruban Nielson und sein Unknown Mortal Orchestra legen mit „Sex & Food“ ein neues Album vor.

Von Christian Lehner

Manchmal ist die Realität verrückter als die Fiktion. Wenn Ruban Nielson an die Episode von vor drei Jahren zurückdenkt, huscht ihm immer noch ein staunendes Lächeln über das Gesicht. Damals erzählte er bei einem FM4-Interview zum letzten Album seiner Band Unknown Mortal Orchestra: „Ich bekam diesen Anruf. Am anderen Ende der Leitung war Frank Oceans Manager. Sie luden mich auf eine Studio-Session nach Malibu ein“. Der junge R&B-Superstar war über einen Freund auf die Musik des Unknown Mortal Orchestra gestoßen. Ocean war vor allem von dem sehr eigenwilligen Gitarrenstil Nielsons angetan.

„Ich wurde am Flughafen von einer Limo abholt und direkt in das Shangri La Studio von Rick Rubin gefahren“, so Ruban weiter. Unter diesen paradiesischen Umständen spielte er ohne Anweisungen einige Gitarren-Licks ein und hing eine Weile mit Frank Ocean ab.“ Das Resultat: künstlerisch unberührt. Keiner der dort aufgenommenen Parts wurde für Oceans Album „Blonde“ (2016) verwendet.

„Ich habe später viele Musiker getroffen, denen es ähnlich erging – darunter Kevin Parker von Tame Impala. Auch seine Licks schafften es nicht auf das Album", erzählt Nielson heute beim FM4-Interview in einem Berliner Hotel. Dafür erhielten die beiden großzügige Schecks und einen kleinen Einblick, wie in der Major League des Pop gearbeitet wird. Die Liner Notes von „Blonde“ listen über 70 Musiker, Texter, Produzenten, DJs und Techniker auf - das London Symphony Orchestra exklusive.

Flüssiges Gold

Für das neue Unknown Mortal Orchestra Album waren wesentlich weniger Kräfte nötig: die Stammbesetzung, bestehend aus Ruban an der Gitarre und Jake Portrait am Bass plus ein paar Helferleins, darunter auch Bruder Kody Nielson, halfen bei der Fertigstellung der auf Tour und einer Weltreise geschriebenen Songs. Vor Rubans Umzug in die USA vor etwa 10 Jahren betrieben die Nielsons in Neuseeland mit der Band The Mint Chicks einen der erfolgreichsten Gitarren-Acts ihrer Heimat.

Nach dem Band-Split verschlug es Ruban nach Portland, Oregon. Er hatte vorerst von der Musik genug und arbeitete in einer Filmproduktionsfirma. Das bisschen Pop-Kitzeln, das ab und dann einsetzte, vertrieb er sich mit Songexperimenten im Keller. Eines davon nannte er „Ffunny Ffrends“ und lud es anonym auf die Musiksite Bandcamp hoch. „Als ich am nächsten Tag in die Arbeit kam, erzählte mir ein Kollege von diesem verrückten Song, der gerade im Netz durch die Decke geht. Es war meiner“, so Ruban über den Gründungsimpuls des Unknown Mortal Orchestra.

Bereits in „Ffunny Ffrends“ war angelegt, was die Musik des Unkown Mortal Orchestra so besonders macht. Hier kollidieren Genres, die in dieser Form noch nicht zusammengedacht, oder besser, zusammengebracht wurden: 90er-Jahre Hip Hop, gespielt und gesampelt, wird mit P-Funk, Psychedelic, Soul, Prog- und Krautrock verschmolzen und gelegentlich mit zuckersüßen Pop-Hooks angereichert.

Nicht mehr selbstverständlich für zeitgenössische Popmusik: die Gitarrenmelodie bestimmt die Form – mal groovend, mal zäh, mal wild ausfransend. „Mein Gitarrenspiel ist ein Resultat meiner Einflüsse – von den Ramones bis Kevin Shields und Jimi Hendrix. Dazu kommen ein paar Eigenheiten, die aus meiner Persönlichkeit resultieren und die ich nicht ablegen kann.“ Gemeint ist vor allem Nielsons Einsatz der Stimme. Sie folgt fast immer der Vorgabe der Gitarre - egal ob sie sich aufsplittet, in den R&B morpht, oder um sich selbst dreht. „Das mag kitschig klingen, aber die Gitarre ist wie ein Freund, der mir die Hand reicht und mich durch den Song zieht. Das hilft vor allem bei den Konzerten. Ich bin eigentlich sehr schüchtern.“

Dann erzählt Nielson von einem Perfume Genius Konzert, bei dem er sich fragte, wie man überhaupt auf eine Bühne steigen und sich öffnen kann, bevor er realisierte, dass er genau das zu seinem Beruf gemacht hat.

Cover Unknown Mortal Orchestra "Sex & Food"

Jagjaguwar

„Sex & Food“ von Unknown Mortal Orchestraist auf Jagjauwar Records erschienen

Mit diesen Beschränkungen und der gleichzeitig „ grenzenlosen Freiheit, die man sich im Pop heute nehmen muss, um etwas Bedeutungsvolles zu schaffen“, hat Nielson - ähnlich wie der vorhin erwähnte Kevin Parker von Tame Impala - eine Art psychedelischen Soul geschaffen, der perfekt zu dem erodierenden Männerbild und dem labilen Selbstverständnis unserer Zeit passt.

Nielson Blick war dabei stets nach innen gerichtet. Seine Songs reflektierten die seltsamen Gemütszustände und –wallungen, die durch die Anstöße des Lebens entstehen. Nicht der Stein, der ins Wasser fällt, sondern die Wellen, die er ausslöst, interessierten ihn. Auf dem letzten Unknown Mortal Orchestra Album „Multi Love“ befasste er sich mit der Dreiecksbeziehung, die er mit seiner Frau und einer gemeinsamen Bekannten eingegangen ist und die Pitchfork.com, dem Zentralorgan progressiver Popmusik, ein langes Portrait wert war.

Die Beziehung ist längst vorüber, der Stein heißt nun Trump und die Wellen resultieren aus dessen Politik. „Sex & Food“ lautet der vordergründig unterkomplexe Titel des vierten Unknown Mortal Orchestra Albums. Man denkt an „Brot und Spiele“, die An- oder Abwesenheit von Liebe in diesen Begriffen und die Reduzierung auf menschliche Grundbedürfnisse. „Ich wollte kein politisches Album schreiben. So etwas kann ich, glaube ich, gar nicht, aber ich war mir völlig im Klaren, dass die gesellschaftlich Umstände, die wir derzeit in den USA erleben, in irgendeiner Form einfließen werden. Das ist derzeit wohl unvermeidbar.“

American Guilt

„American Guilt“ lautet der Titel der ersten, krachenden Single-Auskopplung, die viele Fans zunächst verstörte, weil der Sound des Unkown Mortal Orchestra über die Jahre immer weicher und flüssiger geworden ist. Das Stück bäumt sich wie ein klassisches Riffmonster auf, droht jedoch durch diverse Verzerrer-Effekte fast zu zerbröseln. Ähnlich wie bei Jack Whites aktueller Schnappatmungstechnik, leidet auch dieser Rock’n’Roll an Asthma.

Inhaltlich macht der Song sichtbar, was seit Trump wie ein Kontrastmittel in die amerikanische Gesellschaft geflossen ist. Defizite wie Gun Culture, Rassismus und Sexismus, die unter dem liberalen Vorgänger Barak Obama oft bloß benannt wurden und im akademischen Milieu oder den betroffenen Communities versandeten, erleben nun einen breiteren Widerstand und stellen das System Amerika als solches in Frage.

„Je länger ich in den Staaten lebe, desto mehr beschleicht mich dieses Unbehagen“, sagt Ruban Nielson. „Jeder Steuerdollar, den ich hier bezahle, geht zu einem großen Teil an das US-Militär. Wie verantwortungslos ist es, dass ich meine Kinder in die Schule schicke in Anbetracht der zahlreichen Shootings?“

Ruban Nielson Unknown Mortal Orchestra Berlin

Christian Lehner

Ruban Nielson beim FM4-Interview in Berlin

„Sex & Food“ ist ein Album der scharfen Kontraste, eine 12 Stücke umfassende Songsammlung zwischen Aufruhr und Abtauchen. Und wie so viele „vierte Alben“ ist es eine Zusammenführung des bisherigen Schaffens und ein Ausblick, was da in Zukunft noch möglich sein wird. Mit Stücken wie „Major League Chemicals“ und “American Guilt” schließen Unknown Mortal Orchestra an das etwas schroffe Frühwerk der Band an. Mit den an Disco und Soul orientierten Songs wie „Honeybee“ oder „Everyone Acts Crazy Nowadays“ werden Brücken zum letzten Album „Multi-Love“ geschlagen. Ein persönliches Highlight ist „The Internet of Love (That Way)”. Hier wird der Hendrix-Einfluss deutlich hörbar, ohne sich jedoch anzubiedern.

Nielson demonstriert, dass der tausendfach totgesagten Rockmusik noch immer neue Ansätze und Ideen entwachsen können. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das nächste Mal das Telefon mit einer einschlägigen Anfrage läutet.

FM4 Interview: Ruban Nielson von Unknown Mortal Orchestra:

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