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Lucy Fricke

Dagmar Morath

Buch

Starke Töchter aus schlechtem Hause

Lucy Fricke schließt mit „Töchter“ bei „Thelma und Louise“ und „Tschick“ an. Da wird über das Unglück gelacht. Das ist gut so. Sehr gut.

von Zita Bereuter

Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen die Frauen miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann? Den Bechdel-Test (für Filme) besteht der neue Roman „Töchter“ von Lucy Fricke bravourös. Da liest man lapidar: Erst redet man drei, vier Jahrzehnte über Männer, und dann redet man über Krankheiten. Wenn das kein vergeudetes Leben ist.

Cover Lucy Fricke "Töchter"

Rowohlt Verlag

Lucy Fricke: Töchter, Rowohlt 2018

Die Frauenliteratur habe zurecht einen enorm schlechten Ruf, erklärt Lucy Fricke. „Dieser Bereich der Chicklit, in dem Frauen versuchen, die Liebe ihres Lebens zu finden und den Mann zu bekommen, und denken, das sei die Rettung. Das hat mich nicht nur gelangweilt, sondern regelrecht abgestoßen. Und ‚Frauen, die Prosecco trinken‘ - damit will man irgendwie nichts zu tun haben. Das war schon der Ansatz zu sagen, ich schreibe einen Roman, in dem es nicht um Männer im Sinne von Partner oder Liebe geht, sondern um zwei relativ normale, coole, starke Frauen schreiben, die schon einiges durchgemacht haben und sich da nicht mehr vergewissern müssen und keine Bestätigung durch Männer brauchen, sondern wirklich mal Gas geben. Und dabei Spaß haben.“

Wo Töchter sind, müssen auch Eltern sein. In diesem Fall liegt das Augenmerk auf den Vätern. Richtiger, auf deren Abwesenheit. Denn sowohl Betty, die Erzählerin, als auch ihre beste Freundin Martha wurden von ihren Müttern großgezogen. Das hat die Töchter geprägt. Das verbindet sie. Jahrzehntelang haben sie nichts von ihren Vätern gehört und plötzlich bestimmen die ihr Leben. Bettys Stiefvater ist vor etlichen Jahren gestorben. Marthas Vater ist todkrank und will in der Schweiz sterben. Martha soll ihn begleiten. Betty soll die beiden hinfahren. Auf dieser Reise zeigen sich die Höhen und Tiefen des Lebens, vor allem die Abgründe, die es in Familien geben kann.

Je persönlicher man wird, desto allgemeingültiger wird das auch, weil dann jeder was erkennt.

Autorin Lucy Fricke

Dagmar Morath

Lucy Fricke, geboren in Hamburg, lebt in Berlin. Nach „Durst ist schlimmer als Heimweh“, „Ich habe Freunde mitgebracht “ und „Takeshis Haut“ ist „Töchter“ ihr vierter Roman.

Man liest in der deutschsprachigen Literatur selten von einer Freundschaft, die so durch dick und dünn geht. Schon gar nicht von Frauen. „Es gab niemanden, mit dem ich so lauthals über das Unglück lachen konnte wie mit ihr." „Das war die Basis unserer Freundschaft, dass wir an die andere glaubten, wenn ihr die Kraft dafür abhandenkam.“ Was melancholisch, traurig und hart klingt, ist mit großartig schwarzem Humor geschrieben. „Tätowierungen (...] sind ins Fleisch gebrannte Geschichten. Also, diese Generation ist gut vorbereitet auf die Demenz. Da können sie ihren Körper anschauen und sich erinnern, der Rest lagert in der Cloud. Am besten lässt man sich schon jetzt das Passwort über die Pulsader stechen. “ Beim Schreiben lache sie oft, sagt Lucy Fricke. Das zuzugeben ist ihr zwar etwas unangenehm - wer lacht schon gern über eigene Witze? Aber über das Unglück zu lachen, schaffe Distanz, erklärt sie. „Weil man sich mit Humor und Selbstironie auf eine andere Ebene begeben kann. Wenn man anfängt, über seine Probleme zu lachen, schüttelt man sie damit auch ab.“

Lucy Fricke kennt einige der Probleme der „Töchter“ aus ihrem eigenen Leben. Nicht nur aus ihren früheren Büchern weiß man, dass auch sie ohne Vater aufgewachsen ist und viel Zeit auf der Reeperbahn in St. Pauli verbracht hat. Ihre Herkunft hat sie früher geheimhalten wollen. Die wechselnden Väter, die Probleme daheim. Mittlerweile bekennt sie sich dazu und sieht auch, wie wichtig all das für sie war.

Auch wenn er viel Persönliches beinhaltet, sei der Roman „Töchter“ kein autobiographischer. Lucy Fricke schreibt hemmungslos, sagt sie, und versucht dabei nicht gut auszusehen. Das mache gelungene Geschichten aus. Es sei wichtig, die eigenen Unzulänglichkeiten und die eigenen Peinlichkeiten zu benennen. „Das tut so gut, wenn man sich plötzlich nicht mehr allein fühlt. Das ist das, was man mit Texten erreichen kann – dass Leser teilhaben und wirklich einen Vertrauten finden in einem Buch.“ Betty, Martha und Lucy Fricke werden allerdings zu Vertrauten, mit denen man sehr gerne die Zeit verbringt.

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