FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Joaquin Phoenix in "A Beautiful Day"

Constantin Film

Der Mann mit dem Hammer

Der radikale Thriller „A Beautiful Day“ präsentiert Joaquin Phoenix in einer seiner extremsten Rollen.

Von Christian Fuchs

Gleich nach wenigen Minuten ist klar: Dieser Film hat mit konventionellem Genrekino nichts zu tun. „A Beautiful Day“ will dich herausfordern, verunsichern, aus der Fassung bringen. Die schottische Regisseurin Lynne Ramsay eröffnet ihr neues Werk mit einer Reihe irritierender Schnittfolgen, aus denen sich erst langsam Sinn herauskristallisiert. Wir lernen Joe kennen, den Mann, dessen gequältes Gesicht immer wieder die Leinwand ausfüllen wird. Der bullige, soziophobe Mittvierziger, unglaublich intensiv von Joaquin Phoenix gespielt, hat einen gefährlichen Job.

Joe rettet Kinder, die von einem Pädophilen-Ring entführt wurden. Die Aufträge bekommt er über einen Mittelsmann von den Eltern. Und die schätzen neben der Verlässlichkeit des Kriegsveteranen vor allem auch, dass er meistens einen Vorschlaghammer mitnimmt, wenn er die Kidnapper aufspürt. In den schmierigen Absteigen und Hinterzimmern, denen Joe einen Besuch abstattet, bleiben stets Blutlachen zurück.

Joaquin Phoenix in "A Beautiful Day"

Constantin Film

Verstörungskino

Es gäbe viele Möglichkeiten diese Reise ins Herz der Finsternis zu verfilmen. Man kann sich sofort einen formelhaften Hollywood-Selbstjustiz-Reißer vorstellen, in dem sich wahlweise Liam Neeson oder Bruce Willis durch moralisch fragwürdige Szenarien prügeln und schießen. Aber Lynne Ramsay, die mit „A Beautiful Day“ erst ihren vierten Streifen in einer 20-jährigen Karriere vorlegt, hat sich auf Verstörungskino spezialisiert, weit abseits des Multiplex-Mainstreams.

Da ist etwa die gebündelte, erstickende Tristesse ihres Debüts „Ratcatcher“, in dem ein Bub in absoluter Verwahrlosung aufwächst. Oder auch die psychologischen Abgründe von Ramsays vielfach ausgezeichnetem Drama „We Need to Talk About Kevin“, in dem Tilda Swinton als Mutter mit einem gespenstischen Sohn konfrontiert ist. Wenn dieses kontroverse Werk so etwas wie ein intellektueller Horrorfilm ist, dann hat Lynne Ramsay mit „A Beautiful Day“ ihre Version eines Thrillers gedreht. Das Portrait eines sehr gebrochenen Mannes, der beruflich anderen die Knochen bricht, kokettiert mit NeoNoir-Stereotypen. Aber nur, um gleichzeitig die dazugehörigen dramaturgischen Gesetze zu dekonstruieren.

Im Original „You Were Never Really Here“ betitelt, nach einem Roman von Jonathan Ames, wirkt der Film stellenweise mit seiner fragmentarischen Erzählweise fast wie ein Avantgarde-Werk. Die befremdlichen Bilder brennen sich nachhaltig in die Netzhaut ein. Die unfassbare Tonspur, inklusive der Musik von Radioheads Johnny Greenwood, könnte man auch als Klanginstallation beim Donaufestival aufführen. Aber, das ist wichtig zu erwähnen, „A Beautiful Day“ ist niemals anstrengend. Ramsay findet sogar kurze Momente der Poesie mitten im Chaos.

Joaquin Phoenix in "A Beautiful Day"

Constantin Film

Körperlich spürbarer Schrecken

Zum speziellen Ansatz der Regisseurin gehört auch ihr Umgang mit der omnipräsenten Brutalität. Man zuckt zwar jedes Mal im Kinosessel zusammen, wenn Joe seinen Hammer schwingt. Aber die Gewalt findet meistens außerhalb des Bildes statt, Lynne Ramsay vermeidet strikt genüsslich zelebrierte Splatterexzesse. Dass „A Beautiful Day“ dennoch einen Eindruck geballter Härte vermittelt, verdankt sich der perfekten Montage, dem erwähnten enervierenden Sounddesign und vor allem auch dem fantastischen Joaquin Phoenix, der den Schrecken von Joe’s Existenz körperlich spürbar macht.

Während vergleichbare Antihelden immer auch eine Aura der düsteren Coolness ausstrahlen - sogar Martin Scorseses psychopathischer „Taxi Driver“ hat Potential zur Identifikationsfigur - taumelt der vernarbte Verlierer Joe wie ein Zombie durch die Trümmerfelder des amerikanischen Albtraums. Der Ausnahmedarsteller Phoenix überzeugt dabei in jedem Augenblick, ob er zärtlich seine demente Mutter pflegt, einen verzweifelten Selbstmordversuch wagt oder im letzten Drittel des Films in die Hölle absteigt, als der Auftrag eine Politikertochter zu retten, in einer Katastrophe mündet.

Joaquin Phoenix in "A Beautiful Day"

Constantin Film

Der Schreiber dieser Zeilen verlässt die Pressevorführung jedenfalls pulverisiert und euphorisiert zugleich, im Bewusstsein einen möglichen Film des Jahres gesehen zu haben. Oder zumindest eine bedrückende und zugleich atemberaubende Lektion in Sachen Feelbad-Cinema. Ich kann nur sagen: Weg vom Laptop, ab ins Kino, „A Beautiful Day“ lässt jede eurer Lieblingsserien verblassen.

Aktuell: