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MARC CARNAL

Die Zehn Gebote - Persönliche Bilanz

Habe ich gelogen, meines nächsten Frau begehrt, gestohlen oder gar getötet? Sollte ich eines Tages doch noch zum Christen werden, will ich für die Lebensbeichte bestens vorbereitet sein.

Von Marc Carnal

Das Praktische am Katholizismus ist ja, dass man keine ungebrochene Glaubenslaufbahn vorweisen muss, um an ein Last Minute-Ticket ins Himmelsreich zu gelangen. Wenn meine Auslegung des etwas diffusen Regelwerks richtig ist, könnte ich auch im hohen Alter noch konvertieren, den angehäuften Sündenkatalog beichten, ein paar Vaterunser-Extraschichten einlegen und hätte dann immer noch intakte Chancen, vom lieben Gott begnadigt zu werden.

Aktuell habe ich noch keine Lust, den ganzen Kirchen-Quatsch mitzumachen. Aber wer weiß, womöglich werde ich noch mürbe, wenn das eigene Verenden statistisch näher rückt, und fülle mit zitternden Fingern das Christen-Anmeldeformular für Spätentschlossene aus, weil ich mich im Endspurt plötzlich doch vor Luzifers Qualenprogramm anscheiße.

Wenn ich dereinst im Beichtstuhl um Vergebung flehe, sollte ich natürlich wissen, was genau ich mir selbst zur Last lege. Um nicht unvorbereitet oder gar mit ersten Alzheimer-Symptomen zur Buße zu schreiten, liste ich nachfolgend eine persönliche Zwischenbilanz der Zehn Gebote auf, die ich fortan jährlich zu aktualisieren plane.

1. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.

Gleich das erste Gebot ist reichlich absurd. Wenn es nur einen Gott gibt, stellt sich die Frage nach Co-Göttern gar nicht. Gibt es dagegen doch mehrere, gesteht Gott mit diesem Gebot deren Existenz ja indirekt ein. Abgesehen von dieser theologischen Spitzfindigkeit befolge ich das Gebot aber bisher tadellos, nachdem ich weder an den Christen-Gott noch an Zeus, Allah, Osiris noch Krishna glaube.

2. Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren. FAIL

Rätselhaft, dass ich den alten Deppen da oben häufig verfluche, obwohl ich gleichzeitig seine Existenz verleugne. Beides jedenfalls dürfte seinen Namen verunehren. Ich muss mich in diesem Punkt also schuldig bekennen.

3. Du sollst den Tag des Herrn heiligen. FAIL

Sorry Leute, aber ich bin selbstständig. Während die Kollektivvertrag-Gesegneten nach dem Sonntagsbruch beim ersten Radler entspannt den Tag des Herrn heiligen, sitze ich SVA-Opfer mit roten Augen am Schreibtisch und fertige für schmale Honorare Texte an. Ich scheitere beim dritten Gebot an den Umständen, nicht am Willen.

4. Du sollst Vater und Mutter ehren.

Sie machen es einem nicht immer leicht, aber ich gebe mein Bestes.

5. Du sollst nicht töten.

Nachdem eine Religion, die das Schlachten von Tieren propagiert, mit diesem Gebot wohl nur das Ermorden von Menschen untersagt, kann ich reinen Gewissens verkünden, noch niemanden umgelegt zu habe. Aber kurz hat es mich gereizt, neben dieses Gebot FAIL zu schreiben, damit es die Leser schreckt.

Halbzeitpause

Jetzt heißt es ganz stark sein. Auch für Hartgesottene eine echte Prüfung: Die 10 Gebote - Das MUSICAL!

„Aber die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unruhige Übel, voll tödlichen Giftes.“ Jakobus 3.8

6. Du sollst nicht die Ehe brechen.

Ist damit eh nur die kirchliche Ehe gemeint? Meine standesamtliche Freundschafts-Hochzeit mit Frau Handke ist jetzt auch schon über zehn Jahre her, gebrochen haben wir diese Ehe beide in bestem Einvernehmen mehrfach. Das sollte aber nicht zählen.

7. Du sollst nicht stehlen.

Moralisch habe ich gegen Diebstahl in manchen Fällen nichts einzuwenden. Ich bin bloß viel zu feig, um etwas zu stehlen. So angestrengt ich auch nachdenke, mir fallen nur ein Salzstreuer und eine Postkarte ein, wenn ich an meine raren Diebstähle denke. Doch weder in Drogerie-, Super- noch Elektromärkten habe ich je etwas mitgehen lassen. Die Angst, für einen lächerlichen Klau belangt zu werden, ist viel zu groß. Hätte ich einen wasserdichten Plan, um eine Bank zu überfallen oder wertvolle Waren zu klauen, ich würde nicht zögern. Bei Drops oder Schnaps oder Chips, um nur drei Beispiele auf -ps zu nennen, stehen Thrill und mögliche Konsequenzen dagegen in keinem Verhältnis. Ich habe also bei diesem Gebot ein blendend reines Gewissen.

8. Du sollst nicht lügen. FAIL

Ein paradoxes Gebot: Wer behauptet, nie zu lügen, lügt erst recht. Die berühmte Statistik, der zufolge jeder Mensch zweihundert Mal lügt, scheint mir immer etwas übertrieben, weil die meisten ja gar nicht genug reden pro Tag, um derart viele Lügen unterzubringen. Aber niemals zu lügen, daran scheitern wir kleinen Schäfchen ebenso wie die Kirchenfürsten - Ein jeder Bischof flunkert regelmäßig, Kardinäle predigen gerne mit gespaltener Zunge und selbst der Papst soll zwischendurch ganz gerne schwindeln.
Die Kirche sollte dieses Gebot etwas lebensnaher formulieren: „Du sollst nicht öfter lügen, als es nötig ist, vor allem aber nicht so tun, als würdest du nie lügen - Gott ist ja nicht deppert!“

9. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau. FAIL

Herrgott nochmal, nichtmal begehren darf man? Dass man seines Nächsten Frau nicht anbraten oder ausspannen soll, ist noch einzusehen, aber ein elektrisierender Tagtraum mit meines Nächsten Geliebten in der Hauptrolle wird ja wohl noch erlaubt sein.
Außerdem: Was ist eigentlich mit Frauen, die auf ihrer Nächsten Mann scharf sind? Die dürfen hemmungslos begehren, während die Herren sofort in die Hölle hinabfahren, wenn sie verstohlen auf Liierte schielen?

10. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut.

Ich neige zu ausgeprägtem Neid auf Erfolg aller Art, bei materiellen Gütern ist mein Begehren aber schwach ausgeprägt. Der Umkehrschluss, ich wäre nicht gierig, stimmt allerdings nicht. Ich bin gierig, vergönne anderen aber trotzdem ihre Besitztümer.

Bilanz Stand 2018

Neben ein paar Streitfällen nur vier von zehn Geboten eindeutig gebrochen! Für einen Anti-Christen bin ich gar nicht schlecht unterwegs und blicke meiner späten Selbst-Bekehrung optimistisch entgegen.

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